© Miguel de Guzman

Worauf es bei der Gestaltung der Dachterrasse ankommt

Was träumen wir nicht alle von einer Dachterrasse mit Blick auf die Stadt! Doch Achtung: Um den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, empfiehlt es sich, in Zeiten von Klimakrise und Urban Heat Islands ein paar grundlegende Dos and Don’ts zu beachten.

08.06.2022 - By Wojciech Czaja

Clubhaus, Kindergarten, Fitnessraum, Planschbecken und sogar eine 300 Meter lange Laufstrecke: Mit ihrem umfassenden Funktionsprogramm ist die Dachterrasse im 18. Stock der berühmten Unité d’Habitation in Marseille so etwas wie der Urtyp urbaner Rooftop-Terrassen. Mit dem großzügigen Raum-angebot wollte Architekt Le Corbusier den Bewohner:innen der insgesamt 337 Woh-nungen eine Alternative zum städtischen Freiraum aufzeigen und dabei gleichzeitig die Vorzüge der exponierten Lage unterstreichen – denn in 56 Meter Höhe ist die Aussicht gewaltig, die mediterrane Windbrise nahezu paradiesisch

Unité d’Habitation, Marseille Die wahrscheinlich berühmteste Dachterrasse der Welt: Auf dem zum Teil beschatteten, 3.000 Quadratmeter großen Dach der Unité d’Habitation in Marseille plante Architekt Le Corbusier sogar eine Laufstrecke und einen Kindergarten. In Zeiten von Klimakrise und Urban Heat Islands freilich müsste man den Betonbelag gegen Holz und Begrünung tauschen. fondationlecorbusier.fr, citeradieuse-marseille.com

© Stefan Boness/Visum/picturedesk.com

Kein Wunder also, dass Le Corbusier selbst sein Wohnhaus lieber als »Cité Radieuse«, als sogenannte »strahlende Stadt« bezeichnet wissen wollte. Der zwischen 1947 und 1952 errichtete Wohnblock wurde in den Folge­jahren mehrere Male kopiert – und findet sich heute in geringen Abwandlungen in Briey, Nantes-Rezé, Firminy Vert und sogar in Berlin-Charlottenburg wieder. Vielen anderen urbanen Wohnprojekten in aller Welt diente dieser Prototyp der Moderne als Vorbild, wenngleich sich am fast flächen­deckenden Einsatz von Beton das Baujahr allzu leicht ablesen lässt. Aufgrund der aktuellen Erderwärmung und des zunehmenden Urban-Heat Phänomens wäre so eine Dachterrasse ohne Begrünung heute absolut undenkbar.

MB Duplex, Tel Aviv Wie kann man sich bestmöglich für ein heißes, mediterranes Klima wappnen? Die Architekten von studioDO beantworten diese Frage mit hellen Textilien, einer Terrassenbrause mit Blick auf die Dachlandschaft von Tel Aviv und viel Begrünung, die für wohlige Düfte und ein angenehmes Mikroklima sorgt. Für Pflanzentröge dieser Größe ist es ratsam, ein statisches Gutachten einzuholen. studio-do.co

© Tal Nisim

Die meisten Menschen wünschen sich heute eine Dachterrasse mit Blick in den Süden«, sagt Markus Zilker, Architekt und Partner bei einszueins architektur, die in diversen Baugruppenprojekten in den letzten Jahren bereits zahlreiche Dachterrassen realisiert haben. »Doch damit die Terrasse auch im Sommer nutzbar ist, braucht sie unbedingt eine Verschattung in Form von Pflanzen, Pergolen, Vordächern oder anderen baulichen Maßnahmen.« Mit einer ebenerdigen ­Einfamilienhausterrasse dürfe man eine Rooftop-Terrasse nicht vergleichen, denn: »Das Einfamilienhaus wirft einen Schatten, der Erdboden dient als kühler Speicher, oft stehen rundherum Büsche, Hecken und Bäume. All das fehlt auf einer Dachterrasse«, so Zilker

Inclined Slab House, Nova Lima, Brasilien Inmitten der saftigen Hügellandschaft von Minas Gerais befindet sich dieses Split-Level-Haus aus Stahl, Glas und Beton. Dank dem weit ausladenden Flugdach, das sich wie ein geknickter Flügel auf das Haus legt, ist die Terrasse großzügig verschattet und lässt sich auch an heißen Tagen gut nutzen. Einziger Wermutstropfen: Potenzielles Dachgrün ist hier einer zelebrierten Betonästhetik zum Opfer gefallen. tetro.com.br

© Jomar Braganca

Als ideale Himmelsrichtung für Terrassen nennt Zilker den Norden, idealerweise mit einem leichten Schwenk Richtung Osten oder Westen. Auch Ostterrassen eignen sich gut, da sie dem Sonneneintrag nur kurz am Vormittag ausgesetzt sind. Von Südterrassen hingegen – sofern sie nicht gedeckt sind oder andere bauliche Verschattungsmaßnahmen haben – rät der Architekt dringend ab. Wer mit Begrünung arbeiten möchte, sollte dies mit Vorsicht tun. Die meisten Dachflächen sind für eine maximale Nutzlast von 300 Kilogramm pro Quadratmeter konzipiert. Als Faustregel gilt: Blumentöpfe und erdbefüllte Gebinde, die man gerade noch selbst tragen kann, können unbedenklich verwendet werden. Aber: »Ohne statisches Gutachten Finger weg von Hochbeeten!« Bei Starkregen nämlich saugen sich die Beete wie ein Schwamm mit Wasser voll und wiegen gleich einmal eine Viertel- oder halbe Tonne.

Ático ED11, Madrid Viel Wasser, viel Schönheit und ein Rundumblick auf die Innenstadt von Madrid: Architektin Idoia Otegui schuf hier oben eine nahezu ideale Oase. Leider fehlen hier Verschattungen, die auch im Hochsommer einen angenehmen Aufenthalt ermög-lichen könnten. Achtung: Ohne statische Berechnung, behördliche Einreichung und konstruktive Ertüchtigung
des Hauses ist so ein Projekt undenkbar. iotegui.com

© Miguel de Guzman

Das Gleiche gilt freilich für Wasserspiele aller Art. Aufblasbare Kinderplanschbecken bis zu 20 Zentimeter Höhe sind in der Regel kein Problem. Alles andere wie etwa ein Whirlpool muss in jedem Fall statisch abgeklärt werden. Um den Komfort zu steigern, am Abend nicht in der Dunkelheit zu sitzen und beim Blumengießen nicht wahnsinnig zu werden, sollte man auch auf die kleinen Dinge nicht vergessen: Licht, Steckdose und Wasseranschluss.

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 04/2022

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