Die Cocktails, die im »Camparino« kreiert wurden, haben Geschichte geschrieben.

Die Cocktails, die im »Camparino« kreiert wurden, haben Geschichte geschrieben.
© Alberto Bernasconi | laif | picturedesk.com

Aperitivo-Kult in der »Bar Camparino« in Mailand

Kein Lokal ist so mit Campari – und damit mit der Geschichte der italienischen Drink-Kultur – verbunden wie die Mailänder Bar »Camparino«. Seit 105 Jahren wird hier der Aperitivo nicht nur serviert, sondern zelebriert.

Wer die rote Flasche genau betrachtet, merkt, dass das Etikett nicht Gaspare Campari, den Erfinder des Rezepts hinter dem Welterfolg, sondern seinen Sohn Davide ehrt. Und das mit gutem Grund: Praktisch alle Schritte auf dem Weg zur italienischen Weltmarke verdanken sich jenem Mann, der 1867 in der Galleria Vittorio Emanuele II geboren wurde – und bis heute Namensgeber der Holding »Davide Campari-Milano S. p. A.« ist.

Der nur 1,65 Meter große Davide entwickelte einen auch im historischen Abstand beeindruckenden Drive. Nachdem er als 21-Jähriger das Unternehmen, anfangs noch mit seinem Bruder Guido, übernommen hatte, formte er aus dem lokalen Spirituosenanbieter eine internationale Ikone. 

Die radikale Verkleinerung des Likörsortiments auf den »Bitter Campari« und einen süßeren »Cordial« geht ebenso auf ihn zurück wie die Verlegung der Produktion nach Sesto San Giovanni im Jahr 1904. Vor allem aber sorgte der innovative jüngste Sohn des Firmengründers für modernes Marketing und globale Vertriebsstrukturen.

Eine seiner legendären Ideen dafür lässt sich noch heute in der »Galleria Campari« in der Via Gramsci 161 bewundern. 1932 begann die Aufstellung des ersten »Aperitivo-Automaten«: Bereits perfekt vorgemischter »Campari-Soda« wurde in kleinen Flaschen verkauft. Deren ikonisches Design ohne jegliches Etikett ließ die rote Farbe des Likörs besonders gut zur Geltung kommen.

Verantwortlich dafür zeichnete Fortunato Depero, der als futuristischer Maler die Werbelinie mit zeitgenössischen Künstlern (darunter auch der Triestiner Jugendstil-Vertreter Marcello Dudovich) fortsetzte. Bis heute inspiriert Campari – zu dessen Bildsprache auch Federico Fellini, Milton Glaser oder Guido Crepax Beiträge leisteten – Designer. Matteo Thuns bei Lobmeyr gefertigte Campari-Gläser »Via col Vento« sind dafür nur ein Beispiel. Die markante Lampe aus »Mono-dose«-Flaschen, die Lichtdesigner Ingo Maurer als Hommage an Fortunato Depero auflegte, ein anderes. Sie findet man selbstverständlich auch im »Camparino in Galleria«, der Hochburg des Bitterlikörs, die – wenig überraschend – auch auf Davide Campari zurückgeht.

Das erste »Caffè Campari«

1915 eröffnete er die Bar an der Piazza del Duomo, die eine jüngere, urbane Klientel ansprechen sollte. Ein schicksalhafter Zeitpunkt – für die Familie ebenso wie für Italien, das gerade in den Ersten Weltkrieg eintrat. Und es war nicht der erste: Schon 1862 fiel der Umzug der Familie nach Mailand mit der Vertreibung der Österreicher aus Mailand und der Gründung des Königreichs Italien zusammen.

In dieser Aufbruchsstimmung wurden die ersten Liköre in der Galleria Vittorio Emanuele II gemischt und ab 1867 direkt im »Caffè Campari« verkauft. Über diesem ersten Lokal wurde Davide Campari auch als erster Mailänder in der mondänen Passage geboren. Seine eigene Bar gründete er also am Ort nicht nur seiner eigenen Wiege, sondern auch jener der italienischen Drink-Ikone!

Experimente sucht man bei den Kellnern in den schmucken weißen Barjacken daher vergeblich. Schließlich ist man immer noch dem Geist der Gründerfamilie verpflichtet. Daran erinnert schon das Jugendstil-Ambiente der Bar, das in den letzten Jahren mustergültig für den 105. Geburtstag auf Hochglanz gebracht wurde.

Nun zelebriert man etwa auch das Food-Pairing und empfiehlt zum Risotto Milanese einen »Americano« , während der »Campari Shakerato« bestens zum Branzino passt. Es sind zwei Empfehlungen aus dem Herzen des »Camparino«, ein Teil jener sieben Cocktails, die Geschichte geschrieben haben, wie es die Barkarte formuliert.

Einen frischeren »Campari Seltz« als den von Headbartender Tommaso Cecca gereichten wird man auch schwerlich irgendwo erhalten. »Mindestens drei Zentimeter hoch« muss der mit Stickstoff auf minus 17 Grad gefrostete Sodawasserschaum im Glas stehen, expliziert er beim Aufspritzen des rot blitzenden Likörs. Cecca ist stolz, die »legendärste Bar Mailands zu bespielen«, nachdem er bereits für Roberto Cavalli und die Familie Trussardi deren Lokale in der lombardischen Metropole eröffnet hat.

Zu »Americano«, »Campari Seltz« und »Shakerato« kommen als Campari-Ikonen noch der »Negroni« in klassischer Form und als »Sbagliato« mit Prosecco, die mit Wild-Turkey-Bourbon statt Gin gerührte Variante »Boulevardier« und ihr mixologischer Urahn, der »Milano-Torino«. Dieser ausgewogene Mix aus den Getränken, die Mailand (Campari) und Turin (Wermut) bekannt gemacht haben, zeigt ebenfalls, wie verwoben die Geschichte des »Camparino« mit seinem Namensgeber ist. Denn die ersten Sporen verdiente sich der junge Gaspare Campari als Bargehilfe in Turin. Im dortigen »Caffè Bassa« soll er auch die Kunst der Likörherstellung erlernt haben, mit der er sich später in Novara selbstständig machte. Ehe dann in Mailand eine Legende ihren Anfang nahm, die bis heute in der Galleria Vittorio Emanuele II – und mit den Originalrezepten jederzeit auch zu Hause – nachzukosten ist!

Erschienen im Falstaff Campari Booklet 2020.

Roland Graf
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