Lohningers österreichische Wurzeln sind in seiner Küche unverkennbar.

Lohningers österreichische Wurzeln sind in seiner Küche unverkennbar.
© Restaurant Lohninger

Alpenküche Reloaded

Bono und Keith Richards ­lieben ihn. Er kochte für die thailändische Königsfamilie ebenso wie für die Helfer von 9/11. Die erstaunliche Karriere des Mario Lohninger führt vom österreichischen Maria Alm über New York nach ­Frankfurt. Das Porträt eines Ausnahmetalents.

Wenn ein junger Koch von der heimatlichen Alm nach New York zieht, dann kann er bei diesem Gefälle abstürzen oder neue Höhen erreichen. Mario Lohninger begegnete den Hochhausschluchten fast genauso unerschrocken wie zu Hause in Österreich dem mächtigen Hundstein.
Lohninger hat es in New York innerhalb kürzester Zeit zu Weltruhm geschafft. Heute hat er mit seinem gleichnamigen Restaurant in Frankfurt eine Heimat gefunden, wo er mit besonderer Hingabe die Küche Österreichs pflegt. Es gibt umwerfend gutes Ochsenbackerl-Gulasch mit Topfenspätzle, luftig souffliertes Wiener Schnitzel und prächtiges Ochsenfilet aus dem Bergheu. Daneben gibt es auch wunderbare kreative Lohninger-Gerichte wie den famosen Black Cod in geräucherter Consommé oder kurz gegarten Lachs in Orangen-Ingwer-Marinade. Global, regional, genial. Die Geschichte des Kochs ist es ebenso.

Starkoch in New York

»New York machte schon ein wenig Angst, doch ich fand Halt in der Küche, die ja mein Lebensmittelpunkt war.« Der damals 22-jährige Lohninger arbeitete sechs Tage in der Woche beim In-Italiener »San Domenico«. Erlebnishunger und Appetit auf Küchenkarriere trieben den jungen Österreicher an. »Das war für mich ein Schlaraffenland«, erinnert sich Mario Lohninger mit leuchtenden Augen. Dabei konnte er kaum Englisch, sauste auf Rollerblades zu einer Sprachschule in Harlem. »Jeder Tag war ein Erlebnis, ich fühlte mich frei.«
Es sollte noch abenteuerlicher werden. Mario Lohninger, der prominente Förderer wie die österreichischen Spitzenköche Karl und Rudi Obauer auf seiner Seite hatte, wurde mit ihrer Rückendeckung von David Bouley angeheuert. Der Amerikaner mit französischen Wurzeln war seinerzeit der Starkoch in New York und in seinem gleichnamigen Restaurant über Monate ausgebucht. Für sein neues Domizil »Danube« suchte er dem Namen entsprechend einen Österreicher als Küchenchef.
Der Interior-Designer Jacques Garcia machte daraus das schönste und schickste Restaurant der Stadt, einen Jugendstilpalast. Mario Lohninger war mit 24 Jahren ein extrem junger Küchenchef, setzte aber gleich selbstbewusst seinen Namen auf die Speisekarte, was Altmeister Bouley nicht sonderlich gefiel.

Mario Lohninger sorgte in Frankfurt bereits mit den Lokalen «Silk» und «Micro» für Furore.
© Restaurant Lohninger
Mario Lohninger sorgte in Frankfurt bereits mit den Lokalen «Silk» und «Micro» für Furore.

Doch es waren die Küche des jungen Österreichers und seine Rezepte, die halb New York in Erregung versetzten. Mit Gröstl vom Maine-Hummer, Kavalierspitz und Rinderbäckchen in Zweigelt-Sauce wurde Lohninger zum Liebling der Society. »Die New Yorker Gourmets weinen Freudentränen in ihre Schnitzel«, dichtete damals die Presse. Dass der gewitzte Koch mit einem modischen Zopf und Designergarderobe auffiel, unterfütterte seinen Ruf als Kreativer.
Die nimmersatten Celebritys hatten ein neues Objekt der Begierde – Sarah Jessica Parker, Naomi Campbell, Jennifer Lopez, Leonardo DiCaprio, Bill Murray, Michael Douglas, Liam Neeson, Lou Reed, die Clintons und die thailändische Königsfamilie machten das Gästebuch zum Who’s who. Paul McCartney kam und auch Yoko Ono. Sogar die vielbeschäftigten Küchenstars Alain Ducasse und Ferran Adrià lockte der gute Ruf ins »Danube«. An Keith Richards, der mit Federn im Haar und guter Laune aufkreuzte, kann sich der Stones-Fan Lohninger noch besonders gut erinnern. »Der wollte nirgendwo Zucker drin haben und achtete streng darauf, dass er nur Gesundes auf den Teller bekam.«
Sein emotionalstes Erlebnis bescherte Lohninger aber die Band U2. Mastermind David Howell Evans, aka »The Edge«, feierte seine Junggesellen-Abschiedsparty im »Danube«, gemeinsam mit den Topmodels Linda Evangelista, Helena Christensen und Christy Turlington. Nach dem Dinner stürmte Leadsänger Bono in die Küche, drückte Mario Lohninger an sein Herz und stimmte eine halbstündige Lobeshymne auf dessen gute Küche und das Leben an. Bono erinnerte dabei an die schlechten Zeiten, als er sich ein solches Essen hätte nie leisten können, aber dennoch gezielt darauf gespart habe.

Lohninger-Kreation: Weideochse im Buchweizenmantel.
© Restaurant Lohninger
Lohninger-Kreation: Weideochse im Buchweizenmantel.

Vom Glitzer und Glamour zum Ground Zero war es ein Höllenritt. Mario Lohninger tauschte einen Tag vor der Katastrophe an der gleichen Stelle und zur gleichen Zeit eine Hose um, die er sich eine Nummer zu groß gekauft hatte. Am 11. September stoppte dann gegen neun Uhr auf dem Weg zum Restaurant seine U-Bahn, es war kein Taxi mehr zu bekommen, das Funknetz brach zusammen. Irgendwann hörte er einen Knall und spürte die Erde beben. Bald darauf kamen ihm schon blutende und von weißem Staub überdeckte Menschenmassen entgegen. Mit dem Einsturz des World Trade Center stürzte ganz New York in die Krise. Mario Lohninger machte aus der Not eine Tugend, er und seine Küchenbrigade sowie weitere 200 Helfer errichteten am Ground Zero ein Versorgungslager, aus dem täglich bis zu 30.000 Essen herausgingen. Mit der Gasmaske auf dem Gesicht kochte er Schweinsbraten, Currys, Nudeln, Tomatensuppe und Ratatouille. Das »Danube« ­wurde geschlossen und diente wochenlang als Vorbereitungsstätte für das Küchencamp am Ground Zero. Welch eine leichte Kost waren dagegen die vielen Caterings für Bill Clinton. 

»Hemmungslos kochen«

Maria Alm, Paris, Los Angeles, New York – ein höchst ungewöhnlicher Weg. Es gibt kein Erfolgsrezept, aber eine Matrix, eine ­Urmaterie im Leben eines Kochs. Dieser Mutterstoff heißt Geschmackstalent und entwickelt sich innerhalb einer Umgebung und Familie, in der Sinnlichkeit erfahrbar wird. So war es bei Mario Lohninger, der wie Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann im Salzburger Land aufwuchs.
Lohningers Eltern führten in der Bergwelt von Leogang das Lokal »Sonnrain«. Eingebettet in ein beschauliches Alpenpanorama, belebt durch den Duft von saftigen Wiesen und frisch gebackenem Brot, gestärkt von einem Vater und einer Mutter, die Qualitätsstreben mit Gefühl vorlebten, lernte Mario früh, seine Sinne zu schärfen. In Opas Backstube sah er, mit welcher Hingabe Semmeln von Hand gemacht wurden, doch sein kulinarisches Vorbild war Vater Paul, der immer noch gemeinsam mit ihm am Herd steht. Er war für seine gute und frische Küche bekannt, wagte sich aber auch an ungewöhnliche Kombinationen wie geschmortes Schöpsenfleisch mit schwarzem Rettich. »Zum Reinlegen«, schwärmt Mario noch heute. Der kleine Mario verkaufte Eis und belegte Brote an Wanderer, später durfte er dann auch die Schnitzel panieren und Eier mit Speck zubereiten.
Obwohl er bereits in jungen Jahren Lust aufs Kochen verspürte, war das Skifahren seine größte Leidenschaft. Mit drei Jahren wollte Mario wie sein großes Vorbild Franz Klammer Olympiasieger werden, Siege bei Abfahrtsrennen ließen hoffen. Doch ein Skiunfall mit offenem Bruch und zehnstündiger OP zog ihn aus dem Verkehr. Ein Jahr konnte der quicklebendige Junge kaum laufen. Danach steckte der 14-Jährige Energie und Ehrgeiz ins Kochen und betrieb auch das als »Hochleistungssport«. Bei seinem ersten Lehrmeister Volker Klein vom »Brandlhof« in Saalfelden hörte er spannende Geschichten von Hongkong, Java, Chile und Shanghai aus dessen Zeit auf einem Kreuzfahrtschiff. Das weckte in Mario Lohninger die Sehnsucht nach der großen weiten Welt. »In Maria Alm war ich umringt von Bergen als Begrenzung.« Kochen und dabei den Horizont erweitern war nun das Lebensziel. Das brachte Lohninger zunächst nach Werfen bei Salzburg zu Karl und Rudi Obauer, zwei ganz Große ihrer Zunft. Dort lernte er »hemmungslos kochen«, ein Begriff, den er immer noch gerne als Charakterisierung für seine leidenschaftliche Arbeit benutzt. Doch was ist für ihn hemmungsloses Kochen? »Nicht berechenbar und überraschend bleiben, mit Gefühl und weniger mit dem Kopf kochen, sich etwas trauen, Kind bleiben.«
Am Anfang musste er sechs Stunden am Tag nur mörsern, als er jedoch bei seinem ersten Personalessen mit Fleischknödeln glänzte, wurde sein Talent sichtbar und gefördert. Nun ging es nur noch bergauf. Zu Hans Haas nach München ins »Tantris«, zu Guy Savoy nach Paris, zu Wolfgang Puck nach Los Angeles. Einer seiner Kollegen ­vermittelte den Kontakt zum »San Domenico« in New York, wo die Karriere von Lohninger einen ersten Höhepunkt erfuhr. Dort lernte er im »Danube« den Techno-Derwisch Sven Väth kennen, der ihm von seinen Plänen zum »Cocoon Club« erzählte und ihn dafür begeistern konnte.

Das «Lohninger» in Frankfurt bietet geniale Regionalküche.
© Restaurant Lohninger
Das «Lohninger» in Frankfurt bietet geniale Regionalküche.

Stern in Frankfurt

Gemeinsam mit Väth sowie seinen Eltern ­Erika und Paul wagte sich Lohninger dann an das ungewöhnlichste gastronomische Objekt in Deutschland und eröffnete im Sommer 2004 in Frankfurt den gigantischen Musikpalast mit den Restaurants »Silk« und «Micro«. Erika Lohninger dirigierte den Service, Paul und Mario führten die Küche. Beinahe wie in früheren Zeiten, aber diesmal in einem Club.
Im »Silk«, in dem der Gast in milchigem Mondscheinlicht mit dezent sphärischer DJ-Musik auf eine genussvolle Space-Odyssey geschickt wurde, hatte Lohninger seine ­Vision von einem modernen Restaurant konsequent umgesetzt.
Nicht an Tischen, sondern an lümmeltauglichen weißen Ledergarnituren wurde eine ex­travertierte Küche serviert, die Gang für Gang mit präzisen, ausgefeilten und bestens abgeschmeckten Miniaturen verblüffte – Gänseleber mit Gröstl von Carabineros, karamellisierte Jakobsmuschel mit Babycalamari in Ananas-Kapern-Sud oder Mispelstrudel und Fichtensprossen-Eis. Dem Michelin war das einen Stern wert. Das Nachbarlokal »Micro« wurde aus der gleichen Küche gespeist, doch das Konzept war anders. Serviert wurden die Lieblingsspeisen von Mario Lohninger aus aller Welt – filigrane Sushi-Kreationen, Alpines wie Tatar vom Weideochsen mit Steinpilzkaramell und goldgelbem Wachtelei oder saftiges US-Steak von der Morgan Ranch mit hausgemachten Pommes frites und Sauce béarnaise. Nach acht Jahren wurden die beiden Restaurants »Silk« und »Micro« geschlossen, die Diskothek im gleichen Haus und die abseitige Lage im Frankfurter Stadtteil Fechenheim erwiesen sich als nicht weiter tragfähig. Inzwischen ist Mario Lohninger 42 Jahre alt, verheiratet und Vater einer Tochter. Mutter Erika und Vater Paul stehen immer noch an seiner Seite. Und die Sehnsucht nach seiner Heimat Österreich stillt er im eigenen Familienbetrieb. Dort zieht er jetzt sogar mindestens viermal im Jahr mit seiner rechten Hand Dirk Schommer und Vater Paul einen Heurigen-Tag auf, dessen Lust-Küche begeistert.
Nirgendwo sonst in Deutschland kann man in solcher Qualität Schweinsbraten mit krosser Kruste und schmelzige Semmelknödel, hausgemachte Kalbssülze, schlotzigen Kartoffelsalat, feine Kalbsbratwurst mit rauchigem Sauerkraut, allerbeste selbstgemachte Blutwurst, Wiener Backhendl und Kaiserschmarrn erleben.
Aus dem Falstaff Magazin 08/2016.
Damit auch Sie Gröstl vom Maine-Hummer kochen können, hat Mario Lohninger uns das Rezept verraten.

Ludwig Fienhold
Autor
Mehr entdecken
Mehr zum Thema