Keine überfüllten Plätze und Wege, entspannte Gondolieri: Venedig im Sommer 2020.

Keine überfüllten Plätze und Wege, entspannte Gondolieri: Venedig im Sommer 2020.
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Venedig: Endlich wieder Serenissima!

Venedig wird seinem Beinamen »La Serenissima« tatsächlich wieder gerecht und präsentiert sich dieser Tage ohne Touristenhorden so heiter und gelassen wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Venedig entwickelt frühmorgens und spätabends einen ganz besonderen Zauber. Wir starten also zeitig, um kurz nach acht Uhr in der Früh, am Fischmarkt von Rialto, gleich bei der berühmten Brücke. Das ist die Zeit, wenn die Halle den Venezianern gehört, beste Ware noch reichlich vorhanden ist und die Köche der angesagten Restaurants sich mit Moleche (den lokalen »Soft shell crabs«, dazu gleich mehr), Muscheln aus der Lagune, traditionellem Sepia samt Tintensäcken und Wildgarnelen aus der oberen Adria eindecken, die sich hier nach Jahrzehnten wieder angesiedelt haben. Die Halle selbst ist ein wunderschöner, von Gewölben bestimmter Bau, die hemdsärmelige Marktatmosphäre ein willkommener Kontrast zur manchmal gar hübsch herpolierten Fassade der Stadt.

Freitag

Um neun Uhr sind wir unter den ersten Besuchern der kaum zehn Minuten entfernten Kirche Santa Maria Gloriosa dei Frari in Dorsoduro, einem Meisterwerk der Gotik und – mit Tizians größtem Werk »Mariä Himmelfahrt« (7 x 3,6 m!) gesegnet – ein in vielfacher Hinsicht überwältigender Bau. Die restliche Sakralkunst, da­runter ein weiterer großer Tizian und ein fantastisches Kruzifix aus dem 12. Jahrhundert, sollte man aber auch nicht versäumen. Kirchenkunst macht besonders hungrig, also schnell zurück nach Rialto, wo um Punkt zehn Uhr die »Osteria Naranzaria« (heißt so nach dem früheren Magazin für Zitrusfrüchte) öffnet und schon fantastische Cicchetti, Brötchen und andere, frisch frittierte Köstlichkeiten bereithält.

Damit die kulturellen Pflichten gleich am Anfang abgehakt werden (und weil es nur ein paar Minuten zu Fuß sind), geht es solcherart gestärkt zur Collezione Peggy Guggenheim, bei der natürlich zuvor Time-Slots reserviert worden sind: Trotz der Tourismusflaute ist dieses Juwel mit etlichen Schlüsselwerken der modernen Kunst nur mit entsprechender Vorlaufzeit zu besuchen. 

Danach ist noch Zeit, bei Piedàterre vorbeizuschauen, um für die Lieben daheim ein paar Furlane zu besorgen, die klassischen Samtschühchen der Gondolieri mit ihren rutschfesten Sohlen aus recycelten Fahrradreifen. Das extrem bequeme, an elegante Espadrilles gemahnende Schuhwerk eignet sich ideal als Hausschuh, aber auch für den schnellen Trip in die Stadt.

Jetzt geht es für einen leichten Lunch zurück ins Hotel, das vergangenes Jahr direkt am Canal Grande eröffnete »St. Regis«, konkret in dessen herausragendes Restaurant »Gio’s«. Dann ist Zeit für eine köstlichen Siesta am Zimmer – wir sind schließlich zum Spaß da! Später wird dann mit Aperitivo in der Bar »All’Arco« im Sestiere San Polo der Abend eingeläutet, wo die Fans der köstlichen Cicchetti stets bis auf die Gasse hinaus stehen. Ein Glas Wein, ein Spritz al bitter dazu, der Abend kann beginnen. Fürs Dinner haben wir im nahe gelegenen »Antiche Carampane« reserviert, dem Klassiker der venezianischen Fisch­küche. Mit etwas Glück sind die bereits erwähnten Moleche vorrätig, gefolgt von den legendären Tagliolini con granseola mit dem ausgelösten Fleisch der Meeresspinne – köstlich!

Samstag

Frühstück direkt am Canal Grande, das ist nur eines der Highlights des exklusiven »St. Regis«. Mit ein wenig Glück kann man vom Frühstückstisch aus ein paar Gondoliere-Lehrlingen dabei zusehen, wie sie ihre Ruder-Technik mit Wettrennen am kaum befahrenen Kanal messen – und dabei bemerkenswerten Speed entwickeln. Das Hotel ist im hocheleganten italienischen 1950er-Style, frei nach Designikone Gio Ponti, eingerichtet; die Terrasse mit dem bezaubernden Garten am Kanal (nachmittags mit atemberaubend köstlichen Cocktails!) ist einer der präch­tigsten neuen Orte in Venedig – und das Healthy Breakfast mit einer Eggs-Benedict-Abwandlung mit Avocado statt Schinken genau das Richtige, um sich für einen langen Tag in Venedig zu wappnen.

Als Erstes pilgern wir zur Basilica am Markusplatz, der Sakralbau mit seinen prachtvollen Mosaiken, dem golden schimmernden Halbdunkel der Kuppeln und den schwindelerregend schönen Mustern des Marmorbodens aus dem 11. Jahrhundert ist schließlich eine der beeindruckendsten Kirchen der Welt – und jetzt ausnahmsweise ohne lange Wartechlangen zu besuchen. Wer danach, Stichwort Kirchenhunger, ­Appetit verspürt, stärkt sich im »Quadrino« von Sternekoch Massimiliano Alajmo am Markusplatz – der kleine Ableger des luxuriösen »Quadri« bietet auch gepflegte Kleinigkeiten. Gleich daneben, ebenfalls am Markusplatz, ist eine Ikone des italienischen Designs der 1950er zu entdecken: Das Negozio Olivetti von Stararchitekt Carlo Scarpa war einst Ausstellungsraum für die Bü­romaschinen des italienischen Herstellers, nach umfassender Renovierung kann diese puristisch-elegante Ikone des Modernismus nun wieder besichtigt werden.

Für den »Pranzo« (das Mittagessen) haben wir in der nahen, zu Recht gerühmten »Osteria San Marco« reserviert, wo die dicken Bigoli in Cassopipa, klassisch venezianische Pasta mit allerhand Muscheln, legendär sind. Weil das Wetter so schön ­ist, geht es am Nachmittag hinaus auf den Lido, die Füße ein wenig vom Meerwasser umspielen lassen und über den herrlichen Sandstrand spazieren. Weil die Pandemie uns immer noch im Griff hat und die morbide Atmosphäre so prächtig zu Venedig passt, flanieren wir natürlich auch am legendären »Hotel des Bains« vorbei. Der prachtvolle Kasten inspirierte bekanntlich Thomas Mann zu seinem »Tod in Venedig«, wo er die Lagunenstadt im Griff einer Choleraepidemie porträtiert. Das Grand Hotel aber steht seit zehn Jahren leer und verfällt zusehends. Tadellose Cicchetti gibt es bei »Da Cri Cri e Tendina« am Lido, ­wo die Einheimischen abhängen, aber auch die Fischgerichte verdienen Beachtung.

Für den Abend ist beim Südtiroler Drei­sternekoch Norbert Niederkofler reserviert, der im hypernoblen Hotel »Aman« im Palazzo Papadopoli als Consultant Chef engagiert wurde. Der Dining Room des Restaurants »Arva« ist pure Rokoko-Pracht, die Küche von Executive Chef Da­rio Ossola ein lichterfülltes, vor mediterranen Aromen übergehendes Erlebnis.

Sonntag

Ein Tag in der beschaulichen Ruhe der Giudecca ist die beste Art, von Venedig Abschied zu nehmen. Dazu gehört natürlich ein Abstecher zu »Harry’s Dolci«, der Sommer-Dependance dieser legendenumwobenen Bar-Institution. Hier sitzt man bei herausragendem Service mit prachtvollem Venedig-Panorama direkt am Wasser und darf auch einfach nur auf einen Drink oder ein Eis vorbeischauen. Andrea Palladios wohl prächtigster Renaissance-Sakralbau, die Kirche S.S. Redentore, will natürlich beehrt werden, ebenso die Kirche San Sebastiano mit sehr schönen Veronese-Fresken. Vor allem aber flanieren wir entlang der Fondamenti, um den einzigartigen Blick auf Venedig zu genießen – und um entsprechenden Appetit anzuspazieren, bevor wir die »Trattoria Altanella« heimsuchen. Auf der Terrasse über dem beschaulichen Kanal zu sitzen, ist schon wunderbar. Die Küche mit ihren viel gerühmten gefüllten Artischocken, den Gnocchi al nero di seppia und der köstlichen Frittura di moleche ist aber die ­eigentliche Attraktion hier.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2020

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Severin Corti
Severin Corti
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