Strand und Skyline der «weißen Stadt».

Strand und Skyline der «weißen Stadt».
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Tel Aviv: Die lässige Stadt am Meer

In Tel Aviv gilt das Motto: Genieße das Leben ­– und zwar besser heute als morgen. Das hat auch die Restaurant- und Lokalszene geprägt.

Die Sonne versinkt blutrot im Meer, und die Leute drängen ins Lokal. Irgendwo in einer Ecke auf der weitläufigen Terrasse wird gerade ein Tisch frei. Überall grüne Plastikstühle, ein Kellner kommt und legt ein großes Blatt Papier auf den Tisch. Ein paar Minuten später bringt er schweigend ein Dutzend kleiner Teller mit Vorspeisen. Dazu Fladenbrot und ein Krug Zitronenlimonade. Bestellt hat das alles niemand, es ist einfach da.

Im »The old Man and the Sea« in Tel Aviv-Jaffa hält man nicht viel von steifen Restaurant-Sitten. Dafür ist der Blick aufs Meer großartig, und die Mezze und Fischgerichte sind richtig gut. Da macht es auch nichts, wenn der Kellner nach dem Essen mit einem kleinen Rollwagen vorbeifährt und all die kleinen Teller, Speisereste und das Besteck mit ein paar schwungvollen Handbewegungen vom Tisch auf den Wagen befördert. Auch so kann man Abservieren.

Das Leben genießen

Tel Aviv ist eine lässige Stadt, eine Stadt am Meer, mit einem weitläufigen Strand. Eine Stadt, in der sich die Menschen locker und ungezwungen geben und das Leben genießen. Und zwar besser heute als morgen. Eine Lebenseinstellung, so scheint es, als Reaktion auf die ständigen Bedrohungen durch die Krisenherde in den angrenzenden Ländern, aber auch im eigenen Land.

Die Lust, schnell und auf unkomplizierte Weise aus dem Vollen zu schöpfen, hat auch die Restaurantszene geprägt. Klassische Gourmettempel alter, mitteleuropäischer Prägung gibt es kaum, dafür aber jede Menge junger Lokale mit lockerer Atmosphäre und einer Küche mit Einflüssen aus allen Ecken der Welt. Lebenshungrige, höchst engagierte Köche überbieten sich mit kreativen Ideen bei der Verarbeitung lokaler, frischer Produkte, die es in Israel das ganze Jahr über gibt – sie müssen nicht extra eingeflogen werden. Und auch Streetfood muss man in Tel Aviv nicht lange suchen: Falafel, Schawarma und Hummus gibt es für wenig Geld an jeder Ecke. Dabei war die israelische Restaurantszene lange Zeit alles andere als aufregend. Wer noch vor zwei Jahrzehnten das Land bereiste, vermochte zwar mehr oder weniger interessante Begegnungen mit der Küche der jüdischen Einwanderer zu machen – aber niemand hätte damals Vergleiche mit der weltweiten Spitzengastronomie gezogen. Damals waren die Speisekarten der Restaurants und Hotels zumeist eher eintönig und fantasielos; die israelische Durchschnittsküche orientierte sich in dieser Zeit vor allem auch an den (ideologisch geprägten) Speisezetteln der Kibbuzim, der damals noch viel präsenteren Gemeinschaftssiedlungen. Die Gastronomie des Kibbuz war geradezu sprichwörtlich simpel – und bot den verwöhnten Reisenden aus Europa und Amerika mancherlei Anlass zu Spott und Hohn. Eier, Gurken, Tomaten, Milchprodukte und am Sabbat, als Gipfel der kulinarischen Extra­vaganz, auch noch ein Huhn – das war die Standard-Diät des Kibbuz und damit auch die Grundlage der Menüs zahlreicher Restaurants landauf, landab.

Neue Restaurantszene

Inzwischen hat sich die israelische Gesellschaft jedoch grundlegend gewandelt. Israel hat sich zu einer wohl etablierten, wirtschaftlich erfolgreichen Nation entwickelt. Der Pioniergeist von einst ist fast völlig verschwunden und existiert nur noch museal, als nationaler Mythos. Die Millionen von Einwanderern sind längst zu Israeli geworden, und die große Mehrheit der Bewohner sind Sabras, im Land Geborene. Deren hohe Ansprüche – gerade was Gastronomie, Hotellerie und Restaurantkultur betrifft – wurden von zahlreichen Auslandsreisen geprägt, die ja früher für die Mehrheit der Bevölkerung fast unerschwinglich waren.  

So ist in Israel eine neue, aufsehenerregende Gastronomieszene entstanden. Die Entwicklung ist geradezu atemberaubend: Kaum hat man Israel am Flughafen Ben Gurion den Rücken gekehrt, sind bereits wieder neue Lokale aus dem Boden geschossen. Stadtgespräch in Tel Aviv ist derzeit das »Topolopompo«. Es gilt gegenwärtig als das aufregendste Restaurant der »Weißen Stadt« im unverfälschten Bauhaus-Stil. Das »Topolopompo« ist allerdings relativ teuer (ein Abendessen ohne Getränke kann über 800 Schekel, also rund 200 Euro kosten) – doch die Qualität der Speisen wird einhellig gelobt. Der ungewöhnliche Name ist koreanisch – sehr exotisch selbst für israelische Verhältnisse – und bedeutet »Feuerdrache«, der laut Eigentümer und Küchenchef Avi Conforti Geist und Materie beherrscht.  Sein Konzept ist originell, denn die Speisekarte ist nicht wie üblich in »Vor- und Hauptspeisen« aufgegliedert, sondern in verschiedene Arten von »Feuer«, sprich: Kategorien wie »vibrant« (»energiegeladen«), »soulful« (»beseelt«) und »luxurious«. Conforti will laut eigenen Aussagen eine vielfältige, spielerische und soziale Erfahrung vermitteln, die über das rein Kulinarische weit hinausgeht. Aufregend auch die ambitiöse Innenarchitektur, die umgerechnet weit über zwei Millionen Euro gekostet haben soll.

Aus Falstaff Magazin Nr. 05/2015

Herbert Hacker
Herbert Hacker
Autor
Charles E. Ritterband
Autor
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