© Daniel Töchterle

Südtirol: Der Gipfel der Genüsse

In Südtirol lässt sich Pistenspaß ideal mit Gaumenfreuden verbinden. Mit 26 Michelin-Sternen in 19 Häusern ist die Region ein kulinarischer Hotspot.

Alta Badia

Von Bozen sind es knapp zwei Stunden hier he­rauf, von Venedig fast drei. St. Kassian, mitten in den Dolomiten, at the end of nowhere, möchte man meinen. Und doch ist es ein Hotspot für Genießer. Der 850-Einwohner-Ort darf sich mit fünf Michelin-Sternen schmücken. Vorrangiges Ziel der Gourmets ist dabei das Restaurant »St. Hubertus« im Hotel »Rosa Alpina«. Hier werkt mit Norbert Niederkofler einer der profiliertesten Köche des Alpenraums. Nach Lehr- und Wanderjahren, die ihn unter anderem zu Alfons Schuhbeck, Jörg Müller und Eckart Witzigmann in Deutschland und zu David Bouley nach New York führten, kehrte er in seine Heimat zurück. Mitte der 1990er Jahre eröffnete er im »Rosa Alpina« das »St. Hubertus«, 2001 wurde es mit dem ersten, 2006 mit dem zweiten und 2017 schließlich mit dem dritten Michelin-Stern ausgezeichnet. Der Jubel war groß, viele Jahre harter Arbeit hatten sich bezahlt gemacht.
Vor einigen Jahren lancierte Norbert Niederkofler, dem Vorbild der nordischen Küche folgend, mit »Cook the mountains« ein neues Konzept: Grundprodukte sollen nur aus der näheren Umgebung generiert werden, um kleinere Kreisläufe zu schaffen, viele der üblichen Edelprodukte wurden gar aus der Küche verbannt. »Wir sind wohl das erste Drei-Sterne-Lokal, das keine Gänsestopfleber und keinen Hummer auf der Karte hat«, frohlockt Niederkofler, der auch ohne Oliven-, dafür aber mit Traubenkernöl kocht. »Das hat keinen Eigengeschmack, und ich kann mit Kräutern den Geschmack verleihen, den ich gerade für das Gericht benötige.«
Die begrenzte Verfügbarkeit von Lebensmitteln macht erfinderisch und kreiert neue Geschmacksnuancen, meint der Chef. So schmeckt eine Paste aus fermentierten Pflaumen im Mund wie eine delikate Tomatensauce. Was hat sich geändert mit dem dritten Stern? »Alles! Der Gästeanteil ist internationaler geworden, plötzlich kommen auch Feinschmecker aus Asien, den USA und Nordeuropa hier zu uns in die Berge. Selbst in der Sommersaison, die sonst immer schwächer läuft, waren wir immer voll.« Da ist für die Wintersaison langfristige Reservierung ratsam.

Nur wenige Kilometer taleinwärts liegt mit »La Siriola« ein weiterer Gourmet-Tempel, ausgezeichnet mit zwei Sternen. Matteo Mettulio, Jahrgang 1989, lernte bei Niederkofler und wechselte 2012 als Chefkoch in »La Siriola«, im Jahr darauf verteidigte er den Michelin-Stern – was ihn damals zum jüngsten Sternekoch Italiens machte. 2017 erhielt er den zweiten Stern, wieder als Jüngster in Italien.
Jung ist auch die gesamte Brigade: Bis auf Patron Stefan Wieser ist in Küche und Saal keiner über 35. Ein Erlebnis ist das zehngängige Degustationsmenü, das mit einem Aperitif im sehenswerten Weinkeller startet. Nach dem Hauptgang können Käseliebhaber in einem eigenen Käseraum die passende Begleitung zum Wein auswählen. Zum Prädessert stehen im Chocolate Room verführerische Köstlichkeiten zur Auswahl.
Die Herzlichkeit und die Gastfreundschaft der Familie Costa hat das »La Perla« in Corvara zu einem der renommiertesten Häuser im Alpenraum gemacht. In den heimeligen Stuben hält man sich gerne auf. Das Restaurant »La Stüa de Michil« ist mit einem Stern ausgezeichnet. Auf der Karte von Küchenchef Nicola Laera stehen neben Gerichten aus der ladinischen Tradition eigene kulinarische Kreationen. Legendär und sehenswert ist der Weinkeller im »La Perla«.
Aber nicht nur in den Sternelokalen lässt es sich in Alta Badia vorzüglich speisen, auch zahlreiche Skihütten haben Hauben-Niveau – und sind urgemütlich. Probieren Sie mal die »Col Alt Hütte« mit eigenem Oyster Corner, die »Ütia de Bioch« mit ihren ladinischen Spezialitäten oder die schicke »Piz Boé Alpin Lounge«: Sie werden begeistert sein!

Gröden und Seiseralm

Die Seiser Alm ist die größte Hochalm Europas. Traumhaft gelegen zwischen dem Massiv des Schlern und den Spitzen von Plattkofel und Langkofel, kann man hier im Winter wunderbar Ski fahren, wandern und entspannen. Ein besonderes Haus ist das »Adler Mountain Lodge Alpe«. Eingebettet in das sensible Gebiet des Weltnaturerbes Dolomiten, wurden 13 Holzchalets passend in die Landschaft gesetzt, hier genießt man Ruhe und Natur pur. Für die richtige Erholung sorgen Heusauna und ein beheizter Freiluftpool, um den kulinarischen Genuss kümmert sich Küchenchef Hannes Pignater.
In Kompatsch, am äußeren Rand der Seiser Alm, stehen zwei weitere bemerkenswerte Häuser: das »Urthaler« war eines der ersten Hotels ganz aus Holz; nicht weit davon entfernt liegt die »Alpina Dolo­mites Lodge«, fantastisch ist der Blick aus den großzügigen Zimmern, wenn im Abendlicht die Dolomitenspitzen erglühen. Wer mal außerhalb dieser Häuser köstlich essen möchte, ist in der »Gostner Schwaige« gut aufgehoben. Franz Mulser, der unter anderem bei den Obauers in Werfen und im »Tantris« in München lernte, verbindet hier gekonnt Almhütte mit Gourmetküche. Hervorragend ist seine Heublütensuppe im Brotlaib.
Von der Alm geht’s runter ins Grödner Tal. Im Hauptort St. Ulrich ist das Restaurant »Anna Stuben« das Maß der Dinge. Mit viel Feingefühl und einem ordentlichen Schuss Kreativität verbindet Küchenchef Reimund Brunner die kulinarischen Traditionen der Dolomiten mit zeitgemäßer Küche. Von Apulien in die Dolomiten verschlug es Mario Porcelli: Im »Gourmetrestaurant im Grand Hotel Alpenroyal« in Wolkenstein sorgt er nun für einen Schuss mediterraner Leichtigkeit. Dass er seine Herkunft nicht ganz verleugnen will, zeigen seine feinen Fischgerichte. Ein Hochgenuss – auch wenn draußen der Nebel tief hängt.

Vinschgau

Der Vinschgau, der sich von Meran Richtung Westen bis zum Reschenpass zieht, ist nach wie vor ein Geheimtipp. Die bekannten Skigebiete liegen vor allem im oberen Vinschgau: Sulden, Watles, Schöneben, Haideralm. Am Gletscher im Schnalstal kann man auch bis lange ins Frühjahr hinein die Pisten hinunterrasen. Gourmets sollten auf der Fahrt in den oberen Vinschgau auf jeden Fall in Kastelbell im »Restaurant Kuppelrain« einen Halt einlegen. Jörg und Sonya Trafoier haben hier einen Ort der kulinarischen Freude geschaffen. Jörg greift bei der Auswahl seiner Produkte mit Vor­liebe auf lokale Bauern zurück, Sonya ist Sommelière aus Leidenschaft. Ihr Stolz: Weine aus den kleinen Vinschgauer Betrieben. Seit einigen Jahren ist auch die zweite Generation Trafoier im Betrieb tätig. Kevin geht dem Vater in der Küche zur Hand, Natalie beweist bei den Desserts ein geniales Händchen.
Weiter zum »Weißen Kreuz« in Burgeis. Einst ein typisches Wirtshaus mit Übernachtungsmöglichkeit, wurde es vor einigen Jahren gründlich umgebaut. Hausherr Thomas Theiner legte dabei großen Wert darauf, die historische Substanz zu erhalten. Ein neuer Bauteil wurde angegliedert, da befinden sich heute feine Suiten und eine Sauna, von der man direkt auf das Ortler-Massiv blickt. Wer es noch etwas romantischer will, ist im »Ansitz zum Löwen« richtig. Andere empfehlenswerte Häuser: »Das Gerstl« am Weg zum Skigebiet Watles und das »Hotel Waldkönigin« in St. Valentin, das in einer feinen Villa untergebracht ist. Unter Genießern ist der »Gasthof zum goldenen Adler« in Schleis ein Geheimtipp, drei Häuser weiter befindet sich der Hof »Englhorn« von Alexander Agethle, ein Mekka für Käseliebhaber. Zum Abschluss des Essens genießt man am besten einen »Marilleler«, schließlich ist der Vinschgau für seine aromatischen Marillen bekannt. Rund um Mals gibt es eine Reihe von kleinen Brennern, die Jahr für Jahr mit viel Ehrgeiz darum kämpfen, wer nun den besten »Marilleler« macht. Fragen – oder probieren – Sie sich einfach durch!

Sarntal

»Die Sarner sind eigene Leut’«, heißt es in der Landeshauptstadt. Gleich nördlich von Bozen beginnt das Sarntal, vor allem aufgrund des Skigebiets Reinswald auch bei Skifahrern sehr beliebt. Auf halbem Weg zwischen Bozen und Reinswald führt eine Stichstraße zum »Bad Schörgau«. Aus dem einstigen kleinen Bauernbad machte die Familie Wenter im Laufe der Jahre ein beliebtes Ziel für Erholungs- und Genusssuchende. Nach dem Tod des Vater übernahm Gregor Wenter die Rolle des Küchenchefs, dank einer beliebten TV-Sendung wurde er in Italien als Fernsehkoch bekannt. Im Umgang mit den Gästen entdeckte er aber immer mehr seine große Gabe als Gastgeber. Mit Egon Heiss holte er sich hochkarätige Verstärkung für die Küche und widmet sich nun voll Leidenschaft seiner Rolle als Herr des Hauses und Sommelier.
Egon Heiss mischte die Sarner Küche gewaltig auf, so stehen in der Gourmet-Stube »Alpes« zwei Menüs zur Auswahl: Tradition oder Zeitgeist. Im »Wirtshaus in der Veranda« geht es uriger zu, stets aber auf hohem Niveau. Und wer seinen Aufenthalt in ­Schörgau verlängern möchte, kann sich in eines der wunderbar duftenden Holzzimmer einmieten. Zum »Auener Hof« muss man schon gezielt (über mehrere Kehren geht es von Sarnthein den Berg hoch) hinfahren. Aber es lohnt sich! Mit Können, Einsatz, aber auch viel Feingefühl hat Heinrich Schneider aus dem auf 1620 Metern gelegenen ehemaligen Berggasthof ein vielfach prämiertes Gourmet-Restaurant gemacht, ausgezeichnet mit zwei Michelin-Sternen. Die Natur ringsum ist ihm die größte Inspiration. Aus Kräutern, Beeren, Pilzen, Sprossen und Flechten kreiert Schneider traumhafte Kompositionen, Schwester Gisela Schneider findet im verglasten Weinkeller immer die passende Weinbegleitung dazu. Zehn individuell gestaltete Zimmer laden zum Verweilen ein. Und am nächsten Tag geht’s dann mit Schneeschuhen rauf zu den »Stoanernen Mandln«. Ein mystischer Platz!

Erschienen in
Gourmet im Schnee 2018

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Othmar Kiem
Othmar Kiem
Chefredakteur Falstaff Italien
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