Die Westküste Schwedens verzaubert mit kleinen Inseln und idyllischen Buchten. 

Die Westküste Schwedens verzaubert mit kleinen Inseln und idyllischen Buchten. 
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Seafood-Paradies Schweden

Eine Muschel nach der anderen wird aus dem glasklaren Wasser ­gefischt und landet direkt im Topf. Lars Marstone bietet auf seiner Privatinsel an der Westküste Schwedens Seafood-Safaris an.

Viel frischer kann man Austern nicht essen. Gerade noch lagen sie im Wasser, jetzt steht Lars Marstone auf seiner kleinen Privatinsel vor der Küste Westschwedens und öffnet mit seinem kleinen Messer eine nach der anderen. »Darf es noch eine sein?«, fragt er immer wieder – und grinst dabei, weil er die Antwort schon kennt. Zumindest bis das Dutzend voll ist. Und je länger man jede dieser Austern kaut, desto intensiver wird ihr Geschmack: nach Salz und Meer, nach Gischt und Küste. Dazu schenkt Lars’ Frau Maivor ein lokales Bier aus Grebbestad ein. Champagner gibt es nicht, und auch sonst erinnert auf dieser Seafood-Safari nichts an das, was man eigentlich mit Austern verbindet. Keine Dekadenz, kein Luxus-Am-biente. Stattdessen Gummistiefel, dicke Overalls, Bodenständigkeit vor einer kleinen Holzhütte mit Meerblick. Der Luxus sind einfach nur die Austern selbst, für die die Küste hier einen ebenso hervorragenden Ruf hat wie für Muscheln, Krebse, Garnelen und natürlich Hummer.

Als die kleine Gruppe in Lars’ Holzboot am Morgen losfuhr, war es noch nasskalt, regnerisch und nebelig. Jetzt verziehen sich die letzten Schwaden. Die Sonne blinzelt an diesem Frühjahrstag sogar etwas durch die dicke Wolkendecke und taucht die Landschaft, die endlich zu sehen ist, in ein warmes Licht. Man könnte sich gut vorstellen, dass der Schwede, Mitte 60, hier jahrzehntelang als Fischer zur See gefahren ist. Tatsächlich beschäftigt er sich mit Muscheln und Austern aber erst, seit er mit seiner Frau die Idee zu der Safari hatte. Obwohl sie all diese Köstlichkeiten direkt vor der Nase hatten, sind sie vorher seltsamerweise nie auf die Idee gekommen, die Meeresfrüchte auch zu essen. Das hat sich in den vergangenen Jahren geändert – aber nicht nur bei den beiden. Die Nachfrage nach schwedischen Austern ist enorm gestiegen. Und obwohl dort so viele wachsen, werden nur verhältnismäßig wenige zum Verkauf angeboten. Die Ernte ist schließlich nicht ganz einfach. Die Austern liegen in vier bis zehn Metern Tiefe und dürfen nur von Hand und in den Gewässern eingesammelt werden, die zum eigenen Grund gehören. Das Land um seine Farm, das Stück Küste und die Insel nahe der beschaulichen Kleinstadt Lysekil, wo Lars seine Seafood-Safaris veranstaltet, sind seit über 250 Jahren in Familienbesitz. Hier hat er das Wasserrecht. Regelmäßig fährt er daher mit Tauchern aus dem Ort los, die die Austern einzeln aus dem Meer holen. 

Das Wasser ist kalt, was zumindest für die Austern gut ist. Sie wachsen darin nämlich langsamer und werden fleischiger. »Nach drei, vier Jahren kann man sie dann ernten, wenn sie etwa handtellergroß sind – viele sind aber deutlich älter«, erklärt er und holt dann eine pazifische Auster aus dem vollen Korb, die sich in den vergangenen Jahren hier verbreitet hat. »Die sind anders, haben eine längliche Form und wachsen deutlich schneller.«

Hummer und Schären

Neunzig Prozent der schwedischen Austern, die verkauft werden, kommen aus Grebbestad und werden dort vor allem von zwei Brüdern geerntet. Außerdem ist der Ort bekannt für Hummer. Hier, in der Provinz Bohuslän, etwas weiter nördlich von Göteborg, leben auch Marcus und Ingela Holgersson mit ihren Kindern. Sie sind blond, sportlich, naturverliebt und scheinen einem Schweden-Bilderbuch entsprungen. Mit ihnen kann man paddeln, wandern oder eben auf Hummer-Safari gehen. Die Saison dauert aber nur von September bis April – während der Paarungszeit im Sommer sind die Tiere geschützt. Eigentlich ist es aber ab Januar schon schwierig, die Schalentiere zu fangen. »Weil das Wasser dann zu kalt ist, bewegen sie sich kaum«, sagt Ingela. »Sie müssen aber im ›Bewegungsmodus‹ sein, damit sie von den Ködern verführt werden können und in die Fallen krabbeln.« 
Wer zur richtigen Zeit kommt, kann auf einem Boot raus aufs Meer und durch die West-Schären mit ihren unzähligen, kargen Inselklecksen fahren. Dort zeigen die beiden, wie das Hummerfischen funktioniert, wie man die Hummerfallen, die sich vielerorts vor den bunten Holzhäuschen stapeln, mit altem Fisch präpariert, sie ins Wasser lässt und die ideale Tiefe dafür findet. 
»Die Hummer, die noch zu klein sind, können aus den Fallen entkommen«, berichtet Marcus. Die Tiere, die groß genug sind, haben Pech und landen höchstwahrscheinlich im Topf – allerdings nicht auf der Lobster-Safari. Die endet auf sehr schwedische Weise beim Fika. Das heißt: Kaffee trinken, Zimtteilchen essen, sich dabei unterhalten und diese außergewöhnliche Landschaft genießen. Wer nach der Rückkehr in den Hafen Appetit hat, kann abends beispielsweise bei einer Supé im Restaurant »Telegrafen« das Hummer-Mahl nachholen. 

Ein Seafood-Mekka

Ohnehin muss man für frische Meeresfrüchte und frischen Fisch nicht notwendigerweise auf eine Safari rausschippern. Allein in Göteborg gibt es mehrere Restaurants, in denen Seafood exzellent zubereitet wird. 
Zu den Tempeln der Meereskost gehört das »Sjömagasinet« der Köche Ulf Wagner und Gustav Trägårdh, deren Restaurant als erstes in der Stadt mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde. Oder man geht zum Lunch direkt zum Fischmarkt. Feskekörka, also Fischkirche, steht dort über der Eingangstür – und von außen sieht es auch genauso aus. Seit 1874 sind Fisch und Meeresfrüchte hier die Religion. »Und jede Kirche braucht einen Engel«, sagt Johan Malm auf die Frage, warum sein Restaurant eigentlich »Gabriel« heißt. Aus Engelperspektive überblickt man von einigen Tischen aus auch die Stände des Markts, wo Fische und Meeresfrüchte von der frühmorgendlichen Auktion über den Tresen gehen. Koch Johan weiß nicht nur, wie man das alles köstlich zubereitet, sondern auch, wie man weltmeisterlich mit Austern umgeht. Zwei Mal hat der Schwede mit dem Hipster-Vollbart den Titel im Austernöffnen schon gewonnen, 2010 und im vergangenen Jahr. Dreißig Stück in drei Minuten schafft er – und demonstriert kurz seine Technik. Die Kunst dabei ist, nicht nur schnell zu sein, sondern auch präzise, ohne Schalenstückchen, die vom Austerngenuss ablenken. 
Wer Austern isst, sollte nicht einfach nur schlürfen und schlucken. Das wäre verschenkt. »Man sollte kauen, und das nicht nur einmal«, sagt Johann, denn erst dann schmecke man das Terroir. 
»Das ist bei Austern genauso wichtig wie beim Wein«, so der 32-Jährige. »Die schwedischen Austern sind die besten der Welt«, fügt er selbstbewusst hinzu. Die Bedingungen seien schließlich ideal, weil das Wasser kalt, sehr sauber und nährstoffreich ist. 

Dinner an der Küste

Wie im Restaurant folgt auf die Auster auch auf der Seafood-Safari in Lysekil der zweite Gang: die Miesmuscheln. Lars hat sie selbst gezüchtet, und auf seiner Safari zeigt er auch, wie das funktioniert. Mehrere Kilometer Seil hat er dafür ins Wasser gelassen, an diesem wachsen sie – Abertausende, dicht an dicht gedrängt, sodass man vor lauter Schwarz das Seil gar nicht mehr sehen kann. Für heute allerdings genügt ein Korb voll, und für die Zubereitung entzündet Maivor die Flamme der kleinen Gaskochstelle vor ihrer Hütte. Dann stellt sie den großen blauen Topf darauf, gießt etwas Öl hinein, schwitzt ein paar Zwiebeln, Karotten, Knoblauch an, bevor das Wichtigste kommt: die Muscheln. 
»Wie groß ist euer Appetit?«, fragt Lars und holt eine Handvoll aus dem Korb. Und dann noch eine. Und noch eine. Und schließlich ist der Topf ganz voll, und es muss nur noch mit Weißwein und Obers aufgegossen werden. Fünf Minuten später sitzen alle beim Miesmuschel-All-You-Can-Eat, bis der Bauch voll ist – und der Blecheimer mit den leeren Schalen auch. Es wird Zeit, den Motor anzuwerfen, abzulegen und zurückzufahren.

Aus dem Falstaff Magazin Nr. 03/2017

Sascha Rettig
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