Luxustempel par excellence: Das »Plaza Athénée« in Paris zählt zu den weltbesten Restaurants.

Luxustempel par excellence: Das »Plaza Athénée« in Paris zählt zu den weltbesten Restaurants.
Foto: beigestellt

Paris: Torfieber an erlesenen Tischen

Die EM 2016 bot eine gute Gelegenheit, mal wieder einen Blick in Pariser Küchen zu werfen, wo Traditionen der Haute Cuisine gepflegt werden und die Bistro-Kultur wieder auflebt.

Ob hinter repräsentativen Fassaden oder an den winzigen Bistro-Tischen der zahllosen Brasserien: Die Pariser Köche und Köchinnen setzen gastronomische Maßstäbe.

Champagner-Korken werden knallen, wenn am 10. Juli das Finale der Fußballeuropameisterschaft in Paris zelebriert wird. Meisterlich zeigt sich Frankreichs Hauptstadt in kulinarischer Hinsicht schon lange. Schließlich wurde an den Ufern der Seine Ende des 18. Jahrhunderts das erste Restaurant im heutigen Sinne eröffnet, und die französische Kochkunst hat es 2010 gar auf die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes geschafft.

Noch immer ist Paris eine Stadt im Rhythmus scheppernder Teller und klappernden Bestecks. Ob hinter repräsentativen Fassaden bürgerlicher Stadtvillen oder an winzigen Bis­tro-Tischen der zahllosen Brasserien: Paris setzt nach wie vor gastronomische Maßstäbe, auch wenn in den letzten Jahren andere Städte wie London, Lima oder Kopenhagen in den Fokus von Liebhabern innovativer, hochwertiger Küche gerückt sind.

© Pierre Monetta

Der legendäre »Guide Michelin« hat in diesem Jahr von 600 Sterne-Etablissements allein 68 in der Seine-Metropole gekürt. Einige gelten als wahre Institutionen mit international renommierten Chefs wie Joël Robuchon. Mit seinen »Ateliers« im 5. und 8. Arrondissement ist er gleich zwei Mal auf der Sterne-Liste vertreten. Der vielfach gekürte Koch des Jahrhunderts ist weltbekannt für sein zur Hälfte aus Butter bestehendes Kartoffelpüree. Heute kommen seine Kreationen leichter und mo­­derner daher, wenngleich der als Perfektionist verschriene Meister noch immer saisonale Zutaten aus allen Ecken des Hexagons verwendet. Sein Credo lautet, man dürfe sich in einem Spitzenrestaurant auch entspannt geben, Mobiliar und Service der »Ateliers« geben sich unprätentiös, denn einzig auf das Geschmackserlebnis komme es an.

In den Kanon legendärer Grands Chefs reihen sich auch Alain Ducasse und Guy Savoy, deren minutiös angerichtete Köstlichkeiten im »Plaza Athénée« und »Palais Conti« gereicht werden und als Inbegriff von Luxus gelten. Beide Chefs haben ihr Savoir-faire längst nach Asien oder Nordamerika exportiert und sich als Kochbuch-Autoren weltweit einen Namen gemacht. Dennoch schlägt ihr kulinarisches Herz weiter in Paris, nach der Devise »If I can make it there, I’ll make it anywhere«.

Alain Ducasse gilt zudem als innovativer und gefragter Unternehmer und eröffnete im April in den kürzlich wiedereröffneten berühmten Pariser »Halles«, die Émile Zola einst als »Bauch von Paris« beschrieb, die Brasserie »Champeaux«. »Wir wollen den populären Charakter der Hallen mit unserem Konzept beibehalten«, sagt Ducasse.

Man findet also alle Klassiker der französischen Küche, ob Cuisse de Canard, Entrecôte oder Tartare de Bœuf, aber zu erschwinglichen Preisen und in ausgezeichneter Qualität. Auch hinter dem neuen »Café Ore« im Schloss von Versailles steckt Ducasse, gemeinsam mit Stéphane Courbit. Auf den Schlossbesucher wartet also nunmehr auch ein exzellentes Café.

Cuisine Féminine

Zu erleben und verkosten ist in der Stadt der Lichter inzwischen auch eine lange Zeit unsichtbare »Haute Cuisine féminine«. Noch immer überwiegen Männer in der Pariser Gastronomie-Szene, »doch das wird sich ändern«, prophezeit Julia Sedefjian. Sedefjian ist Chefin des Restaurants »Les Fables de la Fontaine«. Erlesene Meerestiere stehen ganz oben auf der Speisekarte. Kombiniert mit Zitrusfrüchten, grünem Apfel oder Curry verzaubern Sedefjians originelle Fischgerichte Paris-Besucher und Stammgäste gleichermaßen.

Nicht zuletzt, weil erschwingliche Preise und lockeres Ambiente gleich neben dem Eiffelturm selten sind. Das südliche Flair und die geschmacklichen Inspirationen hat die 21-jährige Chefin aus ihrer Heimat Nizza importiert. Heute ist sie die jüngste Trägerin eines Michelin-Sterns und verkörpert das neue Selbstbewusstsein weiblicher Küchenchefs. »Als ich begann, in der Küche zu arbeiten, war ich fast noch ein Baby, aber in diesem Beruf muss man sehr schnell erwachsen werden«, stellt sie fest. Derzeit machen Köchinnen nur drei Prozent der Michelin-Gekürten aus. Eine von ihnen, Hélène Darroze, eine ehemalige Alain-Ducasse-Schülerin, wurde vom britischen Magazin »Restaurants« zur weltweit besten Spitzenköchin gekürt. Um während der Europameisterschaft einen Tisch bei der 49-Jährigen zu ergattern, sind, wie beim Fußballspielen, Hartnäckigkeit und Ehrgeiz gefragt.

Wilder Nordosten

Doch das kulinarische Sommermärchen kann auch jenseits der großen Sterne-Restaurants erlebt werden. Lange durchzog Paris in gas­tronomischer Hinsicht eine unsichtbare Mauer: Im Westen rund um die Champs-Élysées und den Boulevard George V reihten sich die Nobelrestaurants aneinander, und am linken Flussufer, an der Rive gauche, eroberte die Haute Cuisine das einstige Künstlerviertel Saint-Germain-des-Prés. Nur der Nordosten der Stadt galt lange Zeit als gastronomische Wüste. Doch seit einigen Jahren blüht gerade hier – zwischen Canal Saint-Martin, Répu­blique und Pigalle – die Szene junger Talente rasant auf.

Daher sollte man nicht verpassen, die sogenannten Neobistros im 9., 10. oder 11. Arrondissement zu entdecken. Die neue Bewegung steht für eine Mischung aus Bistro und gehobener Küche. So wurde der Begriff »Bistro­nomie« geboren. Das jährlich erscheinende Magazin »Le Fooding« gilt als Bibel der Neobistro-Fans. Es empfiehlt lohnenswerte Adressen in ganz Frankreich, allen voran natürlich in Paris: eine Art »Guide Michelin« für die sogenannte Bourgeois-Bohème, kurz Bobos.

Schlichtes Ambiente, geschmackliche Einflüsse aus aller Welt, von Südafrika bis Korea, gepaart mit Qualitätsbewusstsein und Geselligkeit. Sie tragen Namen wie »Yard«, »Mensae« oder »Le Richer«. Die Küche wird als einsehbarer Teil des Restaurants angelegt, und wie DJs an Mischpulten wirbeln die jungen Wilden um ihre Teller herum. So hat es etwa der 44-jährige Inaki Aizpitarte mit seinem geradezu unscheinbaren »Chateaubriand« zu internationalem Ruhm gebracht und zum 21. Platz auf der Liste der »50 World’s Best Restaurants«.

Das nahegelegene »Septime« mit seinem charmanten jungen Chef Bertrand Grébaut trägt seit Kurzem einen Stern. Der Newcomer-Star gesteht jedoch: »Die Kehrseite des Erfolges sind der immense Stress und der Druck. Aber wir sind ein Team und meistern die Emotionen zusammen.« Auf einen Tisch beim 35-jährigen Schüler des legendären Alain Passard muss man mittlerweile länger warten als bei den ganz Großen am anderen Ende der Stadt.

Genuss in Grün und im Grünen

Auch in anderer Hinsicht überrascht Paris in diesen Tagen. Lange Zeit blieb Vegetariern in einem Land, in dem Fleisch ein nahezu unverzichtbarer Bestandteil der traditionellen Küche ist, nur die Wahl zwischen bisweilen wenig spektakulären Beilagen. Jenseits von grünen Bohnen oder einem Gratin Dauphinois suchte man vergeblich nach fantasievollen Gerichten ohne tierische Inhaltsstoffe, während sie andernorts bereits Einzug in die gehobene Gastronomie gefunden hatten.

Bei einem Abstecher ins »Gentle Gourmet Café« oder in die »Brasserie Lola« darf der Paris-Besucher mittlerweile feststellen, dass französische Haute Cuisine auch vegan sein kann. Gereicht werden Kreationen aus Shiitake, Morcheln und Seitlingen, mit zahlreichen Getreidevariationen. Und selbst feinste Desserts wie Macarons und Zitronen-Törtchen überzeugen ohne Eier und Milch mit liebevoller Raffinesse.

Wer nicht grün, aber im Grünen speisen will, kann weitab vom Hauptstadtrummel exquisite Etablissements entdecken. Auf dem pittoresken Anwesen »Le Manoir de Rétival« betreibt etwa der deutsche Koch David Görne das Ein-Sterne-Restaurant »G.a.«. Das Kryptogramm aus »J’ai grand appétit« stammt von Voltaire. Auf den Teller zaubert das Nachwuchstalent saisonale 3- bis 8-Gänge-Menüs und spart dabei nicht an Trüffeln und anderen erlesenen Zutaten.

Wer nach seinem Paris-Besuch also noch eine aufregende Nachspielzeit erleben will, sollte den Weg in die Provinz oder in eine der anderen neun EM-Austragungsstädte nicht scheuen. Schließlich soll weder der Torhunger noch der »grand appétit« während des französischen Sommermärchens zu kurz kommen.

Weitere spannende Geschichten zu Frankreich und der Fußball-EM sowie ein ausführliches Fazit zu Bordeaux en Primeur finden Sie im aktuellen Falstaff Magazin 04/2016!

Romy Strassenburg
Romy Strassenburg
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