New Orleans liegt direkt am Mississippi und ist die größte Stadt im US-Bundesstaat Louisiana.

New Orleans liegt direkt am Mississippi und ist die größte Stadt im US-Bundesstaat Louisiana.
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New Orleans: Phönix aus der Asche

Der Hurrikan »Katrina« hinterließ New Orleans in Trümmern. Gut zehn Jahre danach erstrahlt die Stadt in neuem Licht – und mit ihr eine wiederentdeckte Südstaaten-Küche, die nicht umsonst »Soulfood« genannt wird.

In New Orleans ist es nicht 2017. Die Stadt hat ihre eigene Zeitrechnung, sie hat 2005 begonnen. New Orleans schreibt das Jahr 12 nach Katrina. Vor zwölf Jahren hat der Hurrikan die Stadt verwüstet, und seitdem ist alles anders. Achtzig Prozent der Stadt waren überflutet und entweder zerstört oder zumindest über einen langen Zeitraum nicht funktionsfähig. »Natürlich verändert das eine Stadt komplett«, erzählt Tory McPhail, Chef de Cuisine im »Commander’s Palace«. Das Restaurant ist eine Institution in New Orleans, es wurde 1893 gegründet und war das am längsten durchgehend geöffnete Restaurant der Vereinigten Staaten.

Bis Katrina kam. Das »Commander’s Palace« musste für 13 Monate schließen, nach 112 Jahren Betrieb. Es wurde komplett renoviert, das zum Markenzeichen des Lokals gewordene Aquamarinblau der Fassade erstrahlt in neuem Glanz. »Aber von den fünfzig Köchen waren nur noch vier da«, sagt McPhail. Alle anderen hatten nach Katrina Jobs in anderen Städten angenommen. Das »Commander’s Palace« musste sich komplett neu erfinden. »Wir haben uns mit den neuen Köchen an einen Tisch gesetzt, vier Tage lang, und haben darüber nachgedacht, was die Küche von New Orleans ausmacht. In diesen vier Tagen haben wir noch nichts gekocht, keine einzige Zutat angefasst, nur philosophiert.«

Was dabei herauskam, ist nicht nur die neue Karte des »Commander’s Palace«, sondern auch eine Erkenntnis: »Wir müssen die Vergangenheit verstehen, aber auch klug genug sein, um in die Zukunft zu blicken und uns immer wieder neu zu erfinden«, sagt McPhail. Während andere berühmte Restaurants in New Orleans ihre traditionelle Karte seit Jahrzehnten nicht geändert haben, wechselt sie im »Commander’s Palace« täglich. Wobei manches natürlich immer Platz hat: die Schildkrötensuppe etwa, weithin als die beste in New Orleans bekannt, die drei Tage braucht, bis sie die Küche verlassen darf; reich, aromatisch, mit einem ordentlichen Schuss Sherry. Die Shrimps des nächsten Ganges werden mit einem Gelee aus fünf verschiedenen Paprikasorten angerichtet. Languste und Schnecken
in einer Rotwein-Demi-Glace.

»Jedes Gericht muss eine Geschichte erzählen, wie ein Kapitel eines Buches – und am Ende des Besuchs sollte der Gast eine sehr konkrete Idee des Romans haben, den der Koch hier schreibt.«
Tory McPhail, Chef de Cuisine im »Commander’s Palace«

Von Po' Boys bis Café au Lait

Das »Commander’s Palace« ist eines der wenigen bekannten Restaurants, die sich außerhalb des French Quarter befinden, in dem sich vor allem das touristische Leben in New Orleans konzentriert. Viele Restaurants dort blicken auf eine lange Geschichte zurück, ob »Arnaud’s«, »Antoine’s« oder »Tujague’s«. Letzteres ist – nach dem 1840 gegründeten »Antoine’s« – das zweitälteste Restaurant der Stadt und bietet sich nach einem Rundgang durch das French Quarter für ein Lunch an. Schließlich taucht es regelmäßig auf jenen unzähligen Listen auf, in denen die besten Po’ Boys der Stadt aufgezählt werden.

Po’ Boys sind – meist ziemlich imposante – Sandwiches, die von Shrimps über Roastbeef bis Austern fast alles enthalten können. Sie wurden nach jenen armen Burschen benannt, die während eines blutigen Streiks im späten 19. Jahrhundert von solidarischen Bäckern mit Sandwiches versorgt wurden. Die Po’ Boys wurden in der Folge zu einer kulinarischen Institution, für arme wie reiche Hungrige. Sie geben einen ersten Einblick in die Essphilosophie der Stadt: Alles kann gegessen werden und alles kombiniert – wenn es schmeckt.

Die Frage nach dem besten Po’ Boy wird die New Orleaner wohl noch für Generationen spalten; der im »Tujague’s« ist jedenfalls zu Recht im Rennen. Er kommt mit Brisket daher, und was ihn einzigartig macht, ist seine scharfe kreolische Krensauce. Das Gumbo, eine Art Eintopf, das es ebenfalls in Dutzenden Variationen gibt – im »Tujague’s« mit Meeresfrüchten – und das eine andere dieser unzähligen Einzigartigkeiten der Küche New Orleans’ ist, steht dem Po’ Boy in wenig nach. Der »Bread Pudding« in der Whiskeysauce als Dessert ist auch kein Fehler.

Wer will, kann zum Dessert aber auch auf die andere Straßenseite ins »Café du Monde« wechseln, das bekannteste Café der Stadt, das rund um die Uhr geöffnet ist. Als es zwei Monate nach Katrina wieder eröffnete, berichteten mehr als 100 Medien darüber. Es hat Platz für 400 Gäste, und trotzdem ist eine Schlange vor dem Lokal keine Seltenheit. Serviert werden dort zum traditionellen – und, eine Ausnahme in den USA, hervorragenden – Café au Lait in Staubzucker versinkende Beignets, die New-Orleans-Version des Doughnuts; eckig und ohne Loch in der Mitte. Deftiger, aber genauso New Orleans sind die Alligatorenwürste bei einem Stand des French Market ein paar Gehminuten weiter.

New Orleans ist ein kulinarisches Juwel der Vereinigten Staaten. Auch anderswo gibt es aufsehenerregende Restaurants, aber eine eigenständige Küche hat nur New Orleans hervorgebracht. Warum das so ist, hat auch Liz Williams beschäftigt; sie leitet das »Southern Food & Beverages Museum« in New Orleans und hat mehrere Bücher über die Küche der Stadt verfasst. Sie glaubt, die Entstehung der Küche sei den Franzosen zu verdanken, die sich in Louisiana ansiedelten.
»Während die Engländer die Kolonien eben als Kolonien gesehen haben und lieber verhungert wären, als dasselbe zu essen wie die ›Wilden‹ hier, waren die Kolonien für die Franzosen ein Teil von Frankreich«, erzählt sie. »Wenn man also Alligatoren essen musste, war es okay, weil es französische Alligatoren waren.«

Die Wiege des Cocktails

Die Cuisine New Orleans’ entstand, als die französischen Siedler die lokale Küche entdeckten; sie wurde erweitert durch spanische, karibische, afrikanische und selbst arabische Einflüsse. Sie wurde geprägt durch Sizilianer, die von 1885 bis 1915 nach New Orleans zogen, genauso wie durch die Vietnamesen,
die nach dem Vietnamkrieg in den Siebzigern in die USA kamen.

Es ist genau so, wie Tory McPhail im »Commander’s Palace« sagt: Die Küche von New Orleans ist ständig im Wandel begriffen. Im »Mopho« etwa fusioniert Michael Gulotta, vom Magazin »Food & Wine« zum »Best New Chef 2016« gewählt, südostasiatische Küche mit jener aus New Orleans. Da trifft die geräucherte Schweineschulter aus der US-Küche auf Erdnüsse in einer klassischen vietnamesischen Reisschüssel; und der Sazerac, eine Variation des Old Fashioned mit Rye Whiskey und der vielleicht berühmteste Cocktail New Orleans’, wird mit Tamarinde verfeinert.

Apropos Cocktails: Das Gerücht, dass Cocktails insgesamt in New Orleans erfunden wurden, stimmt zwar nicht, aber vom Gin Fizz bis zum Sidecar waren es viele von ihnen. Hier wurde in den 1840ern zum ersten Mal Eis kommerziell fabriziert, was der Cocktail-Kultur einen weiteren Aufschwung brachte, und in der kurzen Phase der Prohibition in den USA gab es in New Orleans nur deshalb kaum organisierte Kriminalität, weil die Behörden sowieso wegschauten. New Orleans hat nie zu trinken aufgehört. In der Bourbon Street, der bekanntesten Ausgehmeile der Stadt, reiht sich seit Jahrzehnten Bar an Bar; wer es ein bisschen ruhiger und gediegener angehen will, kann etwa die berühmte
»Sazerac-Bar« im Roosevelt-Hotel nahe dem French Quarter besuchen.

Das New-Orleans-Revival

Aber auch abseits der Klassiker boomt die Stadt: Neue Lokale eröffnen in New Orleans an jeder Ecke, und auch das hat nicht zuletzt mit Katrina zu tun. Rund 1200 Restaurants sollen es Ende vergangenen Jahres, elf nach Katrina, gewesen sein. Das »Café Henri« im Hipster-Stadtteil Bywater ist eines der angesagtesten von ihnen – das ausnehmend gut gewürzte, scharfe Gumbo mit Schildkröte, Krabbe und Rind dort eignet sich auch als perfektes, spätes Katerfrühstück für jene, die zu viele Sazeracs erwischt haben.

»Letztendlich hat Katrina der Stadt gutgetan«, sagt Kirk Estopinal, Besitzer des »Henri«. Vorher, erzählt er, war New Orleans eine vergessene Stadt in den Sümpfen Louisianas, jetzt kennt es jeder, »die Menschen interessieren sich plötzlich für die Stadt« – und für ihr Essen.

Aus dem Falstaff Magazin Nr. 02/2017.

Thomas Trescher
Autor
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