Kapital und Kommunismus, Eleganz und Elend, Zarenchic und Zukunft: Moskau schafft sich jeder in seinem eigenen Kopf.

Kapital und Kommunismus, Eleganz und Elend, Zarenchic und Zukunft: Moskau schafft sich jeder in seinem eigenen Kopf.
© GettyImages

Long Weekend in Moskau

Moskau, die große Unbekannte Europas. Wie viele Seelen in dieser Stadt wohnen, das erfährt man vor allem, wenn man Zunge und Gaumen Reiseführer sein lässt.

Freitag

In seinem Mausoleum am Roten Platz liegt Lenin für alle Zeit konserviert in der Auslage – gegenüber, im Warenhaus GUM, Prada und Gucci.
Moskau«, sagte der russische Schriftsteller Wiktor Jerofejew einmal so treffend in einem Interview, »gibt es im Grunde gar nicht. Paris existiert, London existiert. Moskau aber schafft sich jeder in seinem eigenen Kopf.« Wer Moskauer Boden betritt, weiß sofort, wovon Jerofejew spricht. Moskau macht die allermeisten zunächst einmal ratlos. Was zum Vorteil all jener gerät, die sich Orte am liebsten kulinarisch erschließen. Wie viele Seelen in der Brust dieser Stadt wohnen, das erfährt man am besten, wenn man Zunge und Gaumen Reiseführer sein lässt. Mit der kulinarischen Erdung beginnt man bevorzugt bei einem Mittagessen im Fünf-Sterne-Restaurant »Café Pushkin«. Dort kann man beinahe rund um die Uhr wie russische Aristokraten Anfang des 19. Jahrhunderts speisen. Die Klassiker der russischen Küche – Blinis mit schwarzem Kaviar, kräftigen Borschtsch oder die gefüllten Teigtaschen Pelmeni – bekommt man im »Café Pushkin« stilecht mit präsowjetischem Akzent serviert. Und Wodka zum Essen gehört hier zum guten Ton, wobei die Kellner gerne den passenden empfehlen.

Moskaus kulinarische »New Wave«

Nach einem kurzen Verdauungsspaziergang über den Tverskoy Boulevard steigt man bei der Station Arbatskaya nicht ins Taxi, sondern in die Metro, die für sich schon eine Sehenswürdigkeit ist. Es geht Richtung Roter Platz. Die Basilius-Kathedrale mit ihren Zuckerhauben ist das Wahrzeichen der Stadt. Dass man zu ihrer Rechten den für alle Ewigkeit konservierten Lenin besichtigen und zu ihrer Linken im Kaufhaus GUM den Rubel rollen lassen kann, bringt das Spannungsverhältnis Moskaus gut auf den Punkt.
Am Abend flüchtet man sich in die Kaninchenhöhle des gefeierten Küchenchefs Wladimir Muchin. Er gilt als Vorreiter der kulinarischen »New Wave« in Russland, und sein Restaurant »White Rabbit« zählt inzwischen zu den weltbesten. Neben innovativem Fine Dining erwartet die Gäste hier ein gigantischer Ausblick auf Moskau. Am besten nimmt man das »Tasting Menu« für 10.000 Rubel (etwa 140 Euro) und lässt sich von der Küche beweisen, wie gut sich Lardo mit Seeigel und Roter Bete versteht. Wer es dann noch zum Ballett ins berühmte Bolschoi-Theater schafft, fällt im Anschluss ins Bett, wie ein Tourist ins Bett fallen sollte: mit schweren Beinen, vollem Magen und großer Lust auf den nächsten Tag.

Samstag

Der rustikale Georgier »Chito-Ra« ist der beste Moskaus: Melanzani mit Granatapfel und Nüssen oder Teigtaschen mit Lamm und flüssigem Käse.
Dass Kitsch in Russland eine nicht zu verachtende ästhetische Kategorie ist, erfährt man bei einem Frühstück im »Doctor Zhivago«. Die Brasserie mit Ausblick auf den Kreml ist so üppig dekoriert wie ihre Süßspeisen. Mit vollem Magen geht man am besten zu »Feinkost Eliseevskiy«. Die Moskauer Preise sind für so manch einen schwer verdaulich, aber einen Besuch ist der Markt der Moskauer Oberschicht allemal wert. Wenn auch nur zu Studienzwecken.
Wer sich mittags beim rustikal gehaltenen Georgier »Chito-Ra« nicht schon in den Vorspeisen verliert (ein Anfängerfehler), der kapituliert spätestens bei den deftigen Chatschapuri. Das sind Teigfladen, gefüllt mit heißem, flüssigem Käse, auf dessen Oberfläche ein Spiegelei schwimmt. In Georgien nur eine Zwischenmahlzeit, überall sonst eine, die einen mit Käsefäden am Kinn dramatisch schwören lässt, man möge nie wieder etwas zu essen anrühren.
Am Abend kehrt man im »Turandot« ein. Ein Größenwahnsinn von einem Restaurant, dessen (geheime) Entstehungskosten wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit Moskauer Stadtgespräch sein werden. Das Interieur des Lokals zeigt eindrucksvoll, was man in Russland unter Extravaganz versteht. Küchenchef Chung Wai Chong vereint auf seiner Karte China, Japan und Frankreich auf höchstem Niveau. Unweit davon lädt die Bar »Noor« auf einen Absacker, der sich sehen lassen kann.

Sonntag

Im »Mari Vanna« speist man wie im Wohnzimmer einer Moskauer Oma, mit einer guten Auswahl an Kaviar, Boeuf Stroganoff, Pirogi und Pelmeni.
Der perfekte Sonntagmorgen beginnt mit einem späten Frühstück in der Bar »Strelka«. Wenn das Wetter schön ist, kann man auf der Dachterrasse mit Blick auf die Moskwa erste Sommersprossen sammeln. Oder man macht es sich unten im Diner mit Eggs Benedict und Zitronenwaffeln gemütlich. Der Gorki-Park lädt direkt vor der Tür zu einem ausgiebigen Spaziergang ein. Vor einigen Jahren wurde der Park einem gewaltigen Make-over unterzogen und ist seither eine grüne Erholungsoase, die ihresgleichen sucht. Man kann hier Stunden verbringen, Petanque spielen und Tretboot fahren, Eis laufen, im Hochseilgarten klettern – oder einfach zwischen den Bäumen entlangschlendern und die Moskauer an ihrem liebsten Ort beobachten.
Im Herzen des Parks liegt das Garage Museum of Contemporary Art. Das von Rem Koolhaas entworfene Gebäude beherbergt wechselnde Schauen moderner Kunst und zeigt neben großen Namen wie Jeff Koons und Cindy Sherman immer wieder auch kleinere Entdeckungen. Nicht minder sehenswert sind die Tretjakow-Galerien. Besonders die Neue Tretjakow-Galerie ist einen Besuch unbedingt wert. Neben Malewitsch und Kandinsky hängen hier auch Werke des Sozialistischen Realismus.

Um das Wochenende gemütlich ausklingen zu lassen, ist das nostalgisch-verspielte Restaurant »Mari Vanna« der ideale Ort. Das Lokal liegt gleich bei den Patriarchenteichen, dem historischen Künstlerviertel der Stadt. Hier speist man wie im Wohnzimmer einer Moskauer Oma, mit einer guten Auswahl an Kaviar, Boeuf Stroganoff, Pirogi und Pelmeni. Und mit einem heißen Borschtsch im Magen lässt es sich dann auch leichter »Do svidánija« sagen: Auf Wiedersehen!

Erschienen in
Falstaff Nr. 01/2019

Zum Magazin

Julia Niemann
Autor
Mehr entdecken
Restaurant
Turandot
Tverskoy Boulevard 26 bldg 3, 127051 Moskau
Die Süleymaniye Moschee wurde im Auftrag von Suleyman dem Prächtigen erbaut und ist eines der stolzesten Bauwerke Istanbuls.
Istanbul
Long Weekend in Istanbul
Alles Kebap oder was? Weit gefehlt! Die türkische Küche hat viel mehr zu bieten als nur...
Von Tobias Müller
Cocktailbar
Strelka
Die Bar »Strelka« ist zu jeder Tageszeit einen Besuch wert. Der Ausblick von der Dachterrasse auf...
Bersenevskaya Naberezhnaya 14/5, 119072 Moskau
Mehr zum Thema