Die Stadt überrascht mit ihrem ungezwungenen und südländischen Charme.

Die Stadt überrascht mit ihrem ungezwungenen und südländischen Charme.
© Carolina Hubelnig

Long Weekend in der Wein-Metropole Stuttgart

Baden-Württembergs Hauptstadt zählt zu den größten Weinbaugemeinden in Deutschland. Dank des milden Klimas im Neckartal ist auch der Tisch reich gedeckt.

Donnerstag

Schon die Anreise gestaltet sich angenehm: Bahn-Direktverbindungen führen ab Österreich direkt ins Zentrum der 630.000 Einwohner Metropole Stuttgart. Am Hauptbahnhof erspähen wir bereits die ersten Weinberge. Wer die Stadt nicht kennt, ist überrascht vom ungezwungenen und südländischen Charme. Und dem vielen Grün in der hügeligen Landschaft.
Kopfsteinpflaster und Maultaschen im Stuttgarter Zentrum
Mit einer Tour durch das Bohnen- und Heusteigviertel verschaffen wir uns einen ersten Überblick vom historischen Zentrum mit seinem ursprünglichen Charme. Kleine Läden und charmante Lokale reihen sich an kopfsteingepflasterte Straßen. Aufmerksame Besucher bemerken zwischen historischen Gebäuden und Fachwerk noch Teile der mittelalterlichen Stadtmauer. Naturhungrige finden in den zahlreichen Hinterhöfen grüne Oasen. Ein besonders ikonisches Gebäude ist der mittelalterliche Schellenturm. Einst Teil der städtischen Befestigungsanlage und benannt nach den hier untergebrachten, schellentragenden Strafarbeitern, beherbergt er heute Gastronomie. In der »Weinstube Schellenturm« serviert man bodenständige, schwäbische Küche und eine große, regionale Weinauswahl auf mehreren Etagen des malerischen Fachwerkgebäudes.

Wir spazieren weiter durchs hippe Leonhardsviertel und suchen die holzgetäfelte »Weinstube Fröhlich« auf. Dort beherrschen hausgemachte, schwäbische Gerichte die wechselnde Speisekarte, die Tische sind von tausenden Ellenbogen und vielen Jahrzehnten Betriebsamkeit blankgescheuert. Wir entscheiden uns für den berühmten, regionalen Klassiker und ordern Maultaschen. Diese großen, mit Fleisch gefüllten »Ravioli « werden meist klassisch geschmälzt und mit Kartoffelsalat serviert. Hier stehen sie jedoch auch in einer vegetarischen, mit Käse gratinierten Variante auf dem Menü. Beides passt hervorragend zur regionalen Weinkarte mit Weißburgunder, Grauburgunder und einer Auswahl des bekannten, lokalen Rieslings.
Übernachtet wird in weniger urigem Ambiente: Im »Jaz Hotel« schläft man im 18-stöckigen Hochhaus mit Design-Interieur. Die Zimmer und Suiten sind in schlichtem Weiß gehalten und bieten Ausstattung am Puls der Zeit: Yoga-Matte, Handy-Dockstation, digital steuerbare Dusche. Einziger Farbklecks sind knallige Patchwork-Sofas. Die hauseigene, geschmackvoll eingerichtete »Rhythms Kitchen« bietet gepflegte Küche und die »Wolfram Bar und Terrasse«, ebenfalls im »Jaz Hotel« kredenzt eine musikalisch inspirierte Drinkauswahl zum Panoramablick über Stuttgart.

Freitag

Ein Abstecher ins nahe gelegene Esslingen am Neckar
Tag zwei starten wir mit einer kurzen Zugfahrt ins nahe gelegene Städtchen Esslingen am Neckar, nur 15 S-Bahn-Minuten entfernt. Der Weg von der Traube zum Schaumwein ist freilich länger. Doch den wollen wir heute kennen lernen. Das geht am besten bei einer Tour durch die gediegene Sektkellerei Kessler. Die älteste ihrer Art in Deutschland residiert im prunkvollen Speyrer Pfleghof und erzeugt seit 1826 Schaumweine nach französischem Vorbild. Gründer Georg Christian Kessler hatte sich seine Sporen im französischen Champagnerhaus Veuve-Cliquot verdient und schließlich die Kunst der »méthode traditionelle« nach Deutschland gebracht. Auch heute noch werden Teile der Produktion im mittelalterlichen Keller des Stammhauses gelagert und handgerüttelt. Kellertouren führen in die Geheimnisse der Sektherstellung ein, Verkostungen machen die Geschmacksbreite gegenwärtig. Wer nur für ein kurzes Verweilen Zeit hat, besucht die hauseigene Sektbar. Hier trinkt man glas- und kauft man flaschenweise, in der Garten-Bar sprudelt der Sekt dabei gleich nochmal so schön.

Fachwerkkunst in »Klein-Venedig«

Nicht minder prickelnd zeigt sich die Stadt Esslingen selbst: Mittelalterliches Fachwerk steht hier neben barocken Palais, auf den kopfsteingepflasterten Straßen hallt intaktes Kleinstadtleben. Ein Rundgang durch die verwinkelten Gassen führt an Architektur aus zwölf Jahrhunderten vorbei – darunter die längste erhaltene Fachwerkzeile Deutschlands. Ein besonderes Schmuckstück ist das alte Rathaus mit seiner tiefroten Fassade und der astronomischen Uhr. Das Viertel »Klein-Venedig« erhielt seinen Namen von den Neckar-Kanälen, die die Altstadt vielerorts durchziehen und Fußgänger immer wieder über Brücken schicken. Wer die Stadt im Winter besucht, freut sich über ein besonderes Spektakel: Der Esslinger Weihnachtsmarkt zählt mit seinen Handwerksständen, Feuerschluckern und Bühnenprogramm zu den wohl schönsten seiner Art. Zu jeder Jahreszeit bietet sich jedoch eine Kaffeepause im charmanten »Café Kauz« an: Hervorragender Kaffee aus lokaler Röstung, hausgemachtes Backwerk, hippes Interieur und sympathischer Service laden zum Verweilen ein.

Wir erkunden versteckte Juwele in Stuttgart

Zurück in Stuttgart treffen wir auf Tour-Guide Christina Garcia Urbina. Die Foodbloggerin betreibt mit ihrem Mann Alfonso das Studio Urbina, ein Atelier- und Galerie-Raum, in dem regelmäßig zu Ausstellungen, Workshops und Events geladen wird. Zusammen spazieren wir durch den östlichen Teil der Stadt, der noch als ruhiger und weniger gentrifiziert gilt, und dabei wahre Juwele versteckt. Eines davon ist »flowers&friends« – ein Blumenladen mit angeschlossenem Café, in dem Gäste bei einem Cappuccino mitverfolgen können, wie am Tisch nebenan Blumenarrangements entstehen.
Wenige Minuten später erreichen wir die »Siedlung Ostheim«, ein Pionierprojekt zur Schaffung von günstigem Wohnraum für die wachsende Arbeiterschaft. Unter der Leitung des Bankiers und Sozialreformers Eduard Pfeiffer errichtete man hier zwischen 1891 und 1903 insgesamt 1267 Wohnungen. Diese präsentieren sich nicht als gesichtslose Massenbauten, sondern als Backsteinhäuschen mit Puppenstubencharakter und individuellen Details, die in ein ganzheitliches, stadtplanerisches Konzept eingegliedert wurden. Mittendrin finden Süßschnäbel heute die Eisdiele »Zur Schleckerei«. Auf künstliche Zusatzstoffe wird vehement verzichtet, das schmeckt man nicht nur, man sieht sie auch: Die Schlange vor der Eisdiele ist beachtlich lang.
Den Abend lassen wir im »Gasthaus Bären« ausklingen, bei schwäbischen Tapas. Hier ordert man die Klassiker in Kleinportionen und teilt.  

Samstag

Frisch vom Markt, frisch im Kochtopf
Samstag ist Markttag – auch in Stuttgart. Der Wochenmarkt am Schillerplatz bietet ein buntes Panoptikum aus Blumen, Obst, Gemüse und Feinkost. Die Marktstände gruppieren sich um die Statue des namensgebenden genius loci – Friedrich Schiller blickt wohlwollend auf das bunte Markttreiben. Gleich nebenan wird der Einkauf in der historischen Markthalle fortgesetzt. Das Jugendstilgebäude beherbergt seit 1914 einen Frischemarkt, auf dem sich Feinschmecker von griechischen Oliven bis zum spanischen Manchego durch aller Herren Länder kosten. Wer vom Einkaufen hungrig wird, lässt sich in einem der Markthallen-Lokale nieder.

Stuttgart von oben

Frisch gestärkt geht es weiter auf eine City-Tour: Der Hop-on-Hop-off-Bus bringt uns vom zentralen Schlossplatz auf direktem Weg zum Stuttgarter Fernsehturm. Das 216 Meter hohe Gebäude ist ein Meilenstein der Ingenieurskunst, gilt als »Mutter aller Fernsehtürme« und lässt sich auch heute noch per Aufzug erobern. Vor der Aussichtsplattform breitet sich ein spektakuläres Panorama über die Region um Stuttgart aus, im Panoramarestaurant genießt man Kaffee und Kuchen mit Ausblick. Wer sich besonders intensiv mit Geschichte und Technik des Turmes auseinandersetzen möchte, bucht eine Führung.

400 Treppen führen zum Genuss

Wir setzen unsere Stadtrundfahrt weiter fort. Es geht zur Karlshöhe, einem der Stuttgarter Stadthügel. Gastgärten, Weinberge und Spazierwege warten. Wer die Anhöhe zu Fuß erobern will, braucht starke Oberschenkel: Auf den Hügel geht es über Stufen, wie so oft in Stuttgart. Insgesamt 400 städtische Treppen, die »Stuttgarter Stäffele«, ziehen sich durch die Stadt und gehen auf den lokalen Weinbau zurück. Heute noch sagt man: »Gäbe es nicht so viele Treppen in der Stadt, wären die Stuttgarter Mädel nicht so schlank und schön.« Die gewonnene Schlankheit lässt sich auf der Karlshöhe schnell wieder kompensieren. Im »Tschechen und Söhne« genießt man Bier, Kaffee, Kuchen und Eis mit Blick über die Stadt. Am Fuße der Karlshöhe befindet sich »Die Sattlerei«. Das hippe Lokal serviert Vesper-Boards, die lokale Variante der Brettljause, sowie Cocktails und Kaffee.

Wir genießen ein schwäbisches Degustationsmenü

Ein kulinarisches Highlight ist das Abendessen im »Gasthaus zur Linde«. In der ehemaligen Poststation am Rande der Stadt servieren die Brüder Ferdinand und Maximilian Trautwein schwäbische Küche auf hohem Niveau. Die beiden Genussbotschafter verdienten ihre Sporen in der Sternegastronomie und legen in der kulinarischen Philosophie der »Linde« höchste Maßstäbe an. Das schwäbische Degustationsmenü mit regionaler Weinbegleitung gibt einen virtuosen Eindruck der lokalen Spezialitäten. Zarte Tafelspitz-Sülzchen mit Radieschensalat und Wasabi-Mayonnaise zergehen als frischer Einstieg auf der Zunge, die ikonischen Maultaschen sind deftig und aromatisch und werden klassisch auf Kartoffelsalat serviert. Ein kulinarischer Favorit der Brüder ist der schwäbische Zwiebelrostbraten. Der dick geschnittene, saftige Rostbraten, wird mit sämiger Sauce und einer großzügigen Portion Röstzwiebeln angerichtet. Dazu reicht man regionaltypisch vom Brett geschabte Spätzle. Den krönenden Abschluss des Menüs bildet ein Ofenschlupfer aus Brioche und Äpfeln mit aromatischer Vanillesauce und Eis.

Sonntag

Frühstück für Gourmets
Bevor wir wieder heimwärts reisen, beschließen wir unser Long Weekend mit einem letzten Frühstück. In der Patisserie »tarte & törtchen« kreiert Pattissière Aline John nicht nur feinste Mini-Torten und Macarons, sondern auch Frühstück. »Was wir nicht selbst machen können, gibt es nicht«, lautet die Devise – und so zieren die Frühstücksteller prächtige Croissants und hausgemachte Marmeladen, Müsli  und Obstsalat, Eier im Glas und die namensgebenden Tartes im Mini-Format. Natürlich kann man sich schon zum Frühstück durch die Tortenauswahl kosten. Und weil es jedes Törtchen auch in Miniaturvariante zur Kostprobe gibt, wird ein Besuch im »tarte & törtchen« schnell zur zuckrigen Tapas-Party. Einen süßeren Abschluss kann ein Long Weekend in Stuttgart kaum finden.

INFO

Für mehr Infos über das Reiseland Deutschland und Stuttgart einfach auf diese Links klicken:
Culinary Germany: www.germany.travel
Tasty Stuttgart: www.tasty-stuttgart.de

Carolina Hubelnig
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