»Gamberoni, Karotte, Kürbis, Vadouvan« – die kunstvoll komponierten Gerichte von Jan Hartwig im »Atelier« sind schon optisch ein Genuss.

»Gamberoni, Karotte, Kürbis, Vadouvan« – die kunstvoll komponierten Gerichte von Jan Hartwig im »Atelier« sind schon optisch ein Genuss.
© Lukas Kirchgasser

Gourmet-Hotspot München: Der Zeit voraus

München war der Geburtsort des deutschen Gourmetwunders »Tantris«: Hans Haas verlässt das Restaurant Ende des Jahres. Wohin die kulinarisch Reise wohl führen wird?

Viel ist zurzeit von den Goldenen Zwanzigern des vergangenen Jahrhunderts die Rede, und es ist ein Jammer, dass wir Nachgeborenen nur in Filmen, Büchern und Ausstellungen dem Glamour und Glanz jener fernen Zeiten nachspüren dürfen. Eine Ahnung, wie ausgelassen und zwanglos es zuging, mag bekommen, wer in München am Karlsplatz die richtige Abzweigung nimmt und in den Hinterhof des Lichtspielhauses Gloria gelangt.

Hereinspaziert ins kürzlich eröff­nete »Kubaschewski«, geradewegs zur goldenen Messingtheke, die sich an kühlen Tagen dank eingebauter Heizung wohlig warm anfühlt. Der Duft von Karamell steigt in die Nase, Gläser klirren, das Parkett ist glänzend blank. Hier könnten exaltierte Partys steigen, oh ja! Ein Grund dafür? Der Chef selbst. »Du willst ausgehen, und dann erzählt dir irgendwer was von Aromen«, sagt Sommelier und Geschäftsführer Eric König, 32, und meint die Neigung mancher Kollegen, lange Vorträge über eine Flasche Wein zu halten. König hat andere Vorstellungen: »Ich möchte Spaß haben!«

Die Voraussetzungen dafür sind gut: Separees können zugezogen werden, es gibt genug Platz zum Tanzen – kombiniert man das mit der Auswahl der Getränkekarte, sind die 20er des vergangenen Jahrhunderts nah. Neben Cocktails stehen hier nur Schaumweine auf der Karte, feinperlige Raritäten und Großflaschen um 2000 Euro und mehr. Zu essen gibt es süße Kaiserschmarrn-Variationen genauso wie Blini, auf Wunsch mit Kaviar. »Schampus und Schmarrn« eben, wie es im Untertitel des »Kubaschewski« heißt. Halbe Hummerschwänze hat man aber ebenfalls im Portfolio. Das funktioniert, natürlich funktioniert das. Wir sind ja hier in München.

Hier begann das Wunder

München, das ist insbesondere für Besucher immer wieder ein Erlebnis. Die sauberste Großstadt Deutschlands (zumindest gefühlt), gut gekleidete Menschen, die Biergärten voll, am Horizont die Alpen. Rustikale Gemütlichkeit ist die eine Seite der Stadt: Weißwurst, Brezn und Weizenbier – dafür liebt München die ganze Welt.

Millionen Touristen reisen jährlich an, dieses vermeintlich typische Deutschland-Bild vor Augen. Warum auch nicht, eine frische Breze, bestrichen mit Butter, eine Leberkäs­semmel oder ein knuspriger Schweinsbraten können eine beglückende Erfahrung sein. München ist aber auch die Stadt, in der man einen vollverglasten Panoramazug für den privaten Ausflug auf Schienen mieten kann, bei Bedarf mit dem Zwei-Sterne-Künstler Tohru Nakamura als Bordkoch, eine Handvoll großer Scheine vorausgesetzt. Und es ist die Stadt, in der das deutsche Gourmetwunder seinen Anfang nahm. Indem nämlich eine Esskultur entstand, die diesen Namen verdient: weg von »Bratklops mit Sauerkraut« und Essen als bloßem Sattmacher hin zu dem Gedanken, dass ein Gericht ein Kunstwerk sein darf. Dass am Feinschmecker-Himmel heute so viele Sterne leuchten, hat auch mit dieser Stadt zu tun.

Drei Chefs in 50 Jahren

Die Wurzeln dafür reichen fast fünf Jahrzehnte zurück und führen zum »Tantris« im Stadtteil Schwabing. Mit Eckart Witzigmann, Heinz Winkler und Hans Haas standen in knapp fünfzig Jahren nur drei Küchenchefs am Herd, was auf diesem Niveau eine absolute Ausnahme ist. Zu verdanken ist das Restaurant bekanntlich dem Bauunternehmer Fritz Eichbauer, der in den 1960er-Jahren keine Lust mehr hatte, ständig ins Ausland zu fahren, um auf hohem Niveau essen zu gehen. Am 2. Dezember 1971 eröffnete das »Tantris« unter der Regie des Österreichers Eckart Witzigmann, der Rest ist Gourmet-Geschichte. In diesem Jahr muss man allerdings genau hinsehen, schließlich geht bald eine Ära zu Ende.

In Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie haben es sich viele Köche zur Aufgabe gemacht, ganz weit vorne mitzuspielen. Möglichst grell und laut muss es sein, Superlative werden bemüht. Anders Hans Haas. Der Küchenchef, seit 1991 im »Tan­tris«, braucht keine Lautsprecher, um sich Gehör zu verschaffen. Seine Speisen sind präzise komponierte Tellerkunstwerke. Alles fließt wunderbar leicht zusammen. Kein Gast muss vor dem Menü die Geschmacksrichtungen kalibrieren, wie bei manchen Kollegen üblich. Es geht einfach los. Leise und bedacht, aber nicht verkopft, sondern zugänglich und nahbar. So wie ein Mann eben kocht, der 62 Jahre alt ist und seit 45 Jahren in der Küche steht. Der längst über jede Kritik erhaben ist. Hans Haas, Bauernsohn aus Tirol, tritt im Zenit seiner Karriere ab. Im Januar hat sein finales Arbeitsjahr begonnen, im Dezember wird Haas fast 30 Arbeitsjahre in der Küche des »Tantris« verbracht haben. Ob er sich für seine letzte Runde noch etwas vorgenommen hat? Haas runzelt die buschigen Augenbrauen, er versteht die Frage nicht.

»Herr Haas, schreiben Sie nun nur noch Ihre berühmtesten Gerichte auf die Karte, ein Best-of von Klassikern wie dem Steinbutt, mit lauwarmem Eigelb gefüllt?« »Ach was«, sagt Haas ruhig, »ich gehe rein, wie ich jeden Tag reingehe, und werde mein Bestes geben.« Und man versteht, dass er das genau so meint, wie er es sagt. Regionalität? Geschenkt. From nose to tail? Come on! Haas hängt sich von jeher ein ganzes Rind in den Keller, lässt es dort reifen und nimmt es zusammen mit Jungköchen aus. Sein Können zeigt sich an einem Medaillon vom Reh mit Rotkraut und Pilzen aus dem Wald genauso wie an einer getrüffelten Terrine von der Enten­leber. Er schickt mittags, selbst unter der Woche, 60 bis 80 Couverts, sei es für die Familie aus dem Umland oder für eine Schar Investmentbanker, die mittags die legendäre Weinkarte plündern und abends ein Champions-League-Spiel des FC Bayern sehen. Ob das so bleibt? Es ranken sich ja Gerüchte um eine Schließung des »Tantris«. »Das geht schon weiter!«, sagt Haas dazu, und wir glauben ihm aufs Wort.

Ja, die Münchner haben über die Jahre Gefallen gefunden an der Haute Cuisine. Während die Anregungen für die Küche in den 1970ern insbesondere aus dem Elsass kamen, ist das Maß aller Dinge in der Stadt heute ein Mann, der nie im Ausland kochte. Jan Hartwig, 37, führt das Regiment im »Atelier«, dem einzigen Drei-Sterne-Restaurant der Stadt. Beharrlich und mit dem feinfühligen Gemüt eines Künstlers kochte er sich in die Elite. Für seine Menüs nutzt er seit einiger Zeit keinen Thunfisch mehr und keine Stopfleber. »Ich bin kein Dogmatiker, aber ich habe auch eine Verantwortung«, sagt Hartwig. Immer öfter setzt er Bachforelle oder Rehrücken aus der Region ein, ja sogar Kalbsleber, natürlich verfeinert und sprühend vor Ideen. Daraus spricht auch ein neues Selbstbewusstsein, das es zu Zeiten von Witzigmann noch nicht gab.

Kartoffeln sind cool

Noch ein Beispiel gefällig? Mittlerweile ist es sogar cool, Kartoffeln zu verkaufen. Wer das nicht glaubt, sollte auf den Viktualienmarkt gehen, zum Stand von Dominik Klier und Theo Lindinger. Die »zwei Hipster vom Viktualienmarkt« nannte der »Spiegel« die beiden Kartoffelverkäufer Anfang 30. Am Stand »Caspar Plautz« verkaufen sie etliche Kartoffelsorten und bieten im kleinen Imbiss tagesfrische Kleinigkeiten an – so angesagte Kartoffelverkäufer gibt es nur in München.

Und noch ein Wort zur Münchner Bar­szene: Zu späterer Stunde geht man hier gern in eine Bar, an denen von Charles Schumann übers »Zephyr« bis hin zur neuen »Ménage« kein Mangel herrscht. Besonders empfohlen sei aber ein Ausreißer, der seit ungefähr einem Jahr eröffnet ist: Das »Wabi Sabi Shibui«, eine Bar ohne Telefon, aber mit Plattenspieler, begründet vom Bar-Ästheten Klaus Stephan Rainer. Zum japanisch inspirierten Drink bestellt man hier noch etwas aus der kleinen Speisekarte, zum Beispiel das Kimchi-Sandwich mit Schweinebauch – ja, und dann kann man jeden Münchner nur beglückwünschen zu dieser grandiosen Melange aus Dorf und großer Stadt, die das Leben hier so lebenswert macht.

Erschienen in
Falstaff Nr. 01/2020

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Philipp Elsbrock
Philipp Elsbrock
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