Panorama-Aufnahme des Ortes Barbaresco: Hier regiert der große Angelo Gaja.

Panorama-Aufnahme des Ortes Barbaresco: Hier regiert der große Angelo Gaja.
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Die Königsklasse des Piemonts

Die malerischen Hügel um die Stadt Alba im südlichen Piemont – auch Langhe genannt – sind typisch für eine der berühmtesten Weinregionen Italiens.

Der Blick von La Morra, hoch über dem Ort Barolo, ist immer wieder atemberaubend schön: Die Hügel sind mit Weinbergen überzogen, in den Tallagen werden Haselnüsse angebaut, und in der Ferne leuchten bei klarem Wetter die Spitzen der Alpen. Vorzugsweise werden die Langhe, so nennt sich das Gebiet auch, im Herbst besucht. Da reift unter der Erde die köstliche weiße Alba-Trüffel, der Traum vieler Feinschmecker. Aber auch in der übrigen Jahreszeit lohnt ein Besuch. 

Während sich die Schönheit der Landschaft gleich erschließt, ist der erste Kontakt mit Barolo und Barbaresco schwieriger. Mit ihrem strengen Tannin und ihrer spürbaren Säure sind es keine einfachen Allerweltsweine, man muss schon eine gewisse Hartnäckigkeit an den Tag legen. Dann aber, wenn sie noch dazu einige zusätzliche Jahre Flaschenreife hinter sich haben, können sie begeistern, ja regelrecht süchtig machen.

Foto: beigestellt

Barolo und Barbaresco entstehen beide aus der Nebbiolo-Traube. Diese autochthone Sorte ist spät reifend, enthält viel Tannin und Säure und ist in der Farbe von mittlerer Dichte. Der Charakter des Nebbiolo ist stark abhängig vom Boden. So gelten Barolos aus Lagen in La Morra und Barolo als die duftigsten und am frühesten zugänglichen; Weine aus den Lagen von Serralunga und Monforte sind langsam reifend und in ihrer Jugend verschlossen, haben dafür das kräftigste Tannin. 

Zwischen diesen beiden liegen Weine aus Lagen von Castiglione Falletto. Die Bodenverhältnisse in Barbaresco und den umliegenden Orten Neive und Treiso sind ähnlich wie in La Morra und Barolo, das Gebiet liegt aber tiefer. Barbaresco gilt so als die elegante Version des Barolo und reift in der Regel auch rascher. Während Barolo erst nach vier Jahren auf den Markt kommt, gelangt Barbaresco schon nach drei Jahren in den Verkauf.

© Roberto Voerzio

Barolo und Barbaresco sind heute weltbekannt und weltweit gefragt, Spitzenbetriebe in der Regel ausverkauft. Das war nicht immer so. Noch in den 1970er-Jahren waren die meis­ten Weinbauern nur Traubenerzeuger und lieferten ihre Trauben auf dem Markt in Alba an die wenigen Verarbeiter, die es gab. Zudem war Barolo nicht sehr gefragt. Häufig wurde bei einer Bestellung von zehn Kisten Dolcetto eine Kiste Barolo kostenlos hinzugegeben. 

Heute undenkbar! Großen Anteil an diesem Wandel hatten die »Barolo-Boys«. So nannten sich die jungen Winzer, die in den 1980er-Jahren antraten, dem Barolo ein neues Image zu verpassen. Sie experimentierten mit kürzeren Maischestandzeiten, legten den Jungwein in neues Holz, wollten aus dem tanningeprägten Nebbiolo einen weicheren – wie sie meinten moderneren – Wein machen. Die Barolo-Boys brachten frischen Wind in die Hügel der Lan­ghe. 

Elio Altare, Roberto Voerzio, Domenico Clerico, Luciano Sandrone, Enrico Scavino, Guido Fantino, Marco Parusso und viele andere zeigten der jungen Generation, dass Landwirtschaft in den Hügeln der Langhe Zukunft hat. Bis dahin waren viele abgewandert, nach Alba oder gleich nach Turin, und hatten dort Arbeitsstellen in der Industrie angenommen.

Der einst erbittert geführte Streit um kürzere oder längere Maischestandzeiten, um Rotofermenter oder nicht, um Barrique oder traditionelles großes Holzfass hat sich längst beruhigt. Die ehemaligen Fässerstürmer setzen wieder auf das typische Tannin der Nebbiolo-Traube, benutzen zunehmend selbst größere Fässer.

Umgekehrt sind die Weine vieler Traditionalisten wie Giacomo oder Aldo Conterno in Monforte, Giuseppe Mascarello und Cavallotto in Castiglione Falletto, Bartolo Mascarello und Giuseppe Rinaldi in Barolo, Bruno Giacosa oder Massolino in Serralunga dichter und klarer geworden und insgesamt wohl auch etwas weicher. 

»Weine aus Lagen in La Morra und Barolo sind früher zugänglich, jene aus den Lagen Serralunga und Monforte in der Jugend oft verschlossen.« 

Bei vielen Spitzenbarolos ist der Unterschied zwischen traditionell und modern obsolet geworden. Die engagierten Winzer kennen ihre Reben besser, versuchen einfach je nach Lage und persönlicher Philosophie das Beste aus dem Weinberg herauszuholen und setzen dabei die Technik ein, die am besten passt. Barbaresco steht immer etwas im Schatten von Barolo. Während es bei Barolo eine ganze Reihe engagierter Winzer auf Top-Niveau gibt, hat Barbaresco einen unumstrittenen König: Angelo Gaja.

Seine Lagenweine Costa Russi, Sori Tildin und Sori San Lorenzo stufte Gaja zwar schon in den 1990er-Jahren zu einfachem Nebbiolo Langhe ab, mit seinem Barbaresco aber, der auch mengenmäßig sein Hauptwein ist, zeigt er nach wie vor, wo bei Barbaresco die Latte liegt. Kaum ein anderer erreicht diese Eleganz und Finesse. Mitunter strahlt der Name Gaja so stark, dass ganz übersehen wird, dass es in Barbaresco auch eine ganze Reihe weiterer Top-Erzeuger gibt, wie die Tenuta Cisa Asinari dei Marchesi di Gresy, Albino Rocca, Bruno Rocca, Ceretto und Castello di Neive.

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Piemont ganz in weiß

Damit Piemont-Liebhaber nicht immer nur Rotwein trinken müssen, hier einige Tipps zu Weißweinen: Im Herzen des Piemonts wächst der »Elioro« von Monfalletto, ein überraschend guter Chardonnay. Aldo Conternos »Bussiador« steht noch eine Stufe darüber und braucht sich vor niemandem zu verstecken. Falls Sie mal die Lust auf einen Riesling überkommt, versuchen Sie »Hérzu« von Ettore Germano oder »Petracine« von Vajra – Sie werden überrascht sein!

Sehr empfehlenswerte Arneis sind: »Renesio« von Malvirà, »Cayega« von Tenuta Carretta, »San Michele« von Deltetto, »Bricco Ciliege« von Almondo und der Arneis von Alberto Oggero. Arneis ist eine alte lokale Rebsorte, die fruchtbetonte Weine mit milder Säure ergibt. Die wichtigsten Erzeuger sind Malvirà (Roberto Damonte, der Besitzer, führt neben dem Weinkeller auch ein exklusives kleines Hotel mitten in den Weinbergen, die Villa Tiboldi), Deltetto, Matteo Correggia und Cascina Ca’ Rossa in Canale, Giovanni Almondo in Montà, Angelo Negro in Monteu, Tenuta Carretta in Piobesi, Hilberg-Pasquero und Cascina Val del Prete in Priocca. Sie schmecken hervorragend und belasten dabei den Geldbeutel kaum. Mein persönlicher Tipp heißt »Arneis Sette Anni« von Negro, der sieben Jahre im Keller reift und erstaunliche Komplexität entwickelt. 

Nascetta ist eine andere lokale Sorte. Versuchen Sie »Anas-Cëtta« von Elvio Cogno oder »La Regina« von Braida. Gavi, aus der Cortese-Traube, wird um den gleichnamigen Ort an der Grenze zu Ligurien angebaut. Hier ist es vor allem der »Gavi Monterotondo« von Villa Sparina, der das Herz des Weißweinliebhabers höherschlagen lässt.

Villa Sparina erzeugt auch guten Spumante aus Gavi. Walter Massa in Monleale bei Tortona ist Winzer mit Herz und Hirn. Er hat die Timorasso-Traube vor dem Verschwinden gerettet und erzeugt nun daraus die besten Weißweine des Piemonts. Schon der einfache »Derthona« lässt aufhorchen. Die Lagenweine »Stirpe«, »Montecitorio« und »Costa del Vento« begeis­tern. Sie können lange auf der Flasche reifen und erinnern dann an einen gereiften grünen Veltliner der Spitzenklasse. Beeindruckend!

Unterschätzte Alternativen

Das Piemont ist nicht allein auf Barolo, Barbaresco und ­Nebbiolo beschränkt. Das Land hat noch viel mehr zu bieten: etwa hervorragenden Barbera oder Weine aus dem nicht so bekannten Gebiet Roero.

Der Roero ist ein reizvolles Gebiet westlich des Tanaro-Flusses vor den Toren Albas. Die Weinberge liegen mitunter in Steillagen, die eher an die Mosel als ans Piemont denken lassen. Weinbau ist weit verbreitet, hat aber noch nicht diese dominante Rolle wie in den Langhe erreicht. Die Landschaft ist vielfältiger, neben Wein gibt es auch viele Obstplantagen und Gemüsefelder. Berühmt sind die Pfirsiche, die Erdbeeren und Kirschen aus dem Roero. Der wichtigste Rotwein hier heißt genau wie das Gebiet, Roero, und besteht wie Barolo und Barbaresco aus Nebbiolo-Trauben. Der Unterschied aber liegt in den Böden.  

Der Roero lag in der Vorzeit am Rande des Urmeeres, die Böden sind stark mit Sand durch­setzt, und immer wieder treten beim Pflügen versteinerte Muscheln zutage. Diese leichtere Bodenstruktur erbringt auch leichtere, dufti­ge­re Weine. Nicht alle Erzeuger stehen bedingungs­los zum Roero. Manche finden auch, dass Nebbiolo einfach bekannter ist, und vermarkten ihren Wein als Nebbiolo d’Alba oder Langhe Nebbiolo. Im Roero wird auch Barbera angebaut, der wichtigste Wein aber ist der weiße Arneis (siehe Seite 38). Barolo-Star Luciano Sandrone erzeugt in einer Steillage in Vezza seinen Nebbiolo Valmaggiore.

Nebbiolo findet sich aber auch im Norden des Piemonts, wo sich die Alpen aus der Ebene erheben und zum mächtigen Massiv des Monte Rosa auftürmen. Nicht weit von Novara liegen die Gebiete Ghemme und Gattinara. In Ghemme sind die Antichi Vigneti di Cantalupo von Alberto Arlunno erste Adresse. Travaglini in Gattinara ist weit über die Grenzen hinaus bekannt. Auch die Weine der Geschwister Antoniolo sind beachtlich. Etwas östlich von Ghemme liegt ein kleines, vielen unbekanntes Gebiet: Boca. 

Der Schweizer Weinhändler Christoph Künzli entdeckte es in den 1990er-Jahren und baut auf seinem Weingut Le Piane mittlerweile hervorragende Weine an. Der am meisten angebaute Wein im Piemont ist aber Barbera. Giacomo Bologna war der Prinz, der diese einstmals wenig beachtete Sorte wachküsste. Über Ertragsbegrenzung und Ausbau im kleinen Holzfass machte er aus dem dünnen, säurebetonten Alltagswein einen Spitzenwein, der weltweit Beachtung fand. Heute führen seine Kinder Raffaella und Giuseppe den Betrieb »Braida« in Rocchetta Tanaro und haben »Bricco dell’Uccel­lone«, »Bricco della Bigotta« und »Ai Suma« zu gesuchten Spitzenweinen gemacht.

Aus Falstaff Magazin Nr. 08/2014

Othmar Kiem
Othmar Kiem
Chefredakteur Falstaff Italien
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