Opernhaus Sydney: Das wohl berühmteste Wahrzeichen der Stadt beherbergt seit Kurzem das Zweitlokal von Australiens Starkoch Peter Gilmore, das »Bennelong«.

Opernhaus Sydney: Das wohl berühmteste Wahrzeichen der Stadt beherbergt seit Kurzem das Zweitlokal von Australiens Starkoch Peter Gilmore, das »Bennelong«.
© Shutterstock

Australien: Große Oper

Zwischen hochklassigem, autochthonem »Bush Food« und urbanen, lockeren Konzepten wie dem der »Wandering Cooks«. Nie hat es sich mehr gelohnt, den fünften Kontinent kulinarisch zu entdecken.

Und ob sie nun ungewollt geschehen oder bewusst eingefädelt werden: Wenn sich jemand mit Invasionen oder Einflüssen aus dem Ausland auskennt, dann wohl die Leute in Down Under. Politisch und demografisch betrachtet, kann man sich bei diesem Thema nur die Finger verbrennen, aus kulinarischer Sicht hat die Region jedoch eine Evolution hingelegt, die beispiellos ist. Urbane Lokalkonzepte, offene Küchen, modernes Streetfood und riesige Genuss-Courts – überhaupt eine »australische« Küche als solche gibt es erst seit kurzer Zeit.

Wenn etwa Jock Zonfrillo in seinem Restaurant »Orana« in Adelaide Flachkopffisch, Känguru, Buschpflaumen und Eukalyptus über offenem Feuer zubereitet, demonstriert er den neuen Spirit, der den Kontinent erfasst hat. Der Name bedeutet nicht um­­sonst »Willkommen« in verschiedenen Aborigines-Dialekten. Der gebürtige Schotte setzt sich nicht nur respektvoll mit der Geschichte des Landes auseinander, er entdeckt Lebensmittel, Aromen und Garmethoden, die völlig neue Geschmackserlebnisse ermöglichen. Während er sich in Adelaide bereits einen Namen schaffen konnte, lockt das kleine Örtchen Brunswick Heads derzeit alle Insider an die Ostküste: Im »Fleet« schickt Besitzer und Küchenchef Josh Lewis schon mal gegrillten Snapperkopf mit brauner Butter, Kapern und einer Marmelade der autoch­thonen Zitronenespe als Vorspeise raus und demonstriert so gleichermaßen Können und Kreativität. Klar: »Bush Food« ist gerade beim Fine Dining die derzeit wichtigste Komponente: Alles, was die anspruchsvolle und schnell gelangweilte Szeneklientel noch überraschen kann, wird dankbar aufgenommen. Bei all der Produktvielfalt, die bis vor Kurzem den Ureinwohnern »vorbehalten« war, werden auch internationale Köche hellhörig. Somit pilgern nicht nur Gourmets nach Aus­tralien. Kein Wunder also, dass der Jahres-Event der »World’s 50 Best Restaurants« in diesem Jahr in Melbourne stattfand.

© Nikki To

»Wir haben erst damit begonnen, den Begriff ›australische Küche‹ zu definieren«, erzählt Starkoch Peter Gilmore im Gespräch mit Falstaff. Mit dem »Quay« führt er zwar das höchstdekorierte Lokal Australiens, aber auch er musste rasch auf den Trend reagieren und eröffnete kürzlich sein Zweitrestaurant »Bennelong«, spektakulär in der Oper von Sydney gelegen. »Die Gäste fragen danach. Wie in allen Ländern wollen sie Gerichte aus lokalen Produkten. Und das ist genau unsere Stärke. In unseren Klimazonen wächst einfach alles – und 365 Tage im Jahr. Außerdem dürfen wir sogar auf einzigartige Frucht- und Gemüsesorten zurückgreifen.«

Seit ein paar Jahren bezieht Gilmore den Großteil seiner Lebensmittel von umliegenden Farmen und befindet sich damit in prominenter Gesellschaft. Auch die derzeitigen Aushängeschilder Ben Shewry (»Attica«), Aaron Turner (»Igni«), Shannon Bennett (»Vue de Monde«), Clayton Wells (»Automata«) oder Dan Hunter (»Brae«) folgen dieser Philosophie. Letzteres wurde praktischerweise gleich auf einer Farm gegründet. Gilmore: »Unsere ganze Branche hat sich dank der globalen ­Vernetzung und durch die sozialen Medien stark verändert. Lange kochten wir ziemlich einsam und isoliert unser eigenes Süppchen. Wenn ich heute sehe, was Freunde wie René Redzepi, David Chang oder Magnus Nilsson so alles anstellen, kann ich mich direkt mit ihnen austauschen und inspirieren lassen.«

Man muss nur die aktuellen Entwicklungen der fünf Metropolen betrachten, um den hohen Stellenwert von Australiens Gastronomie zu erahnen. Mit den Stadtteilen Barangaroo und der Kensington Street in Chippendale sorgen allein in Sydney zwei innerstädtische Großprojekte für Furore. Barangaroo war einst Hafen und Werft der Stadt, bevor es jahrzehntelang stillstand. Erst 2003 erkannte man das Potenzial der urbanen Lage am Meer, tüftelte bis 2012 an einem passenden Konzept und investierte über sechs Milliarden Dollar in das neue Viertel. Seit 2017 kann man den Bezirk in voller Pracht genießen. Hektargroße Parks, Wohnungen für 3500 Menschen, Jobs für über 24.000 Leute und nicht zuletzt 37 Restaurants, Cafés, Pubs und Bars wurden in zeitgemäßem Look aus dem Boden gestampft. Ironischer­weise hieß genau dieser Bereich bei den Hafenarbeitern des frühen 20. Jahrhunderts »The Hungry Mile« – als Anspielung auf die Aussichtslosigkeit auf einen Job.

Spicy Alley und »Wandering Cooks«

Kensington Street hingegen ist das neue Downtown Sydneys. Die historischen und zentral gelegenen Gebäude im Bezirk Chippendale bekamen durch die Initiative des Immobilien-Tycoons Dr. Stanley Quek ein großartiges Upgrade verpasst. Boutique reiht sich an Galerie reiht sich an Top-Restaurant – alles eindrucksvoll designt und für die Szene konzipiert. Und mit der Spicy Alley wurde ein dauerhafter Street Food Market etabliert, mit dem Besten, was Asiens Küche zu bieten hat.

Wie begeistert Locals als auch Gäste solche Foodie-Bezirke aufnehmen, zeigt die Fish Lane in Brisbane. In den letzten Jahren entstand hier ein Lokalmix, der wahre Essensabenteuer ermöglicht. Neben modernem Style im »Gauge« oder Italo-Feeling in »Julius Pizzeria« sind die »Wandering Cooks« das originellste Konzept. Verschiedene Gastköche teilen sich die urbane Location, um Woche für Woche weltoffen aufzutischen. Und wenn wir schon in der Queensland-Metropole sind: Nur im wundervollen »Detour« von Damon Amos erlebt man seit Anfang des Jahres Signature Dishes wie Lachs mit Green Curry und schwarzen Ameisen (als knusprige Säurekomponente) oder Emu-Tatar auf gerösteten Schalotten und Dotter – wieder mal Bush Food, eh klar.

Wer hätte das vor wenigen Jahren schon für möglich gehalten? Die wenig inspirierende englische Küche des 19. Jahrhunderts mit all dem Lammfleisch und den Puddings hielt sich hartnäckig über Hunderte Jahre. Sie gehört nun ebenso der Geschichte an wie die klassische Nouvelle Cuisine, die in den 1970ern erfolgreich immigrierte. Wobei: Einer ihrer damaligen Wegbereiter, der Franzose Robert Molines, betreibt noch heute sein schnuckeliges Bistro im berühmten Hunter Valley.

Auch die geografische Isolation war nicht gerade förderlich für Vielfalt auf dem Speiseplan. Richtig spannend wurde es erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Massen an Einwanderern aus Europa und Asien bereicherten den Kontinent mit neuen Essensgewohnheiten und Produktvorlieben. Neben Melbourne spürt man dies besonders in Adelaide. Der gesamte Central Market in Chinatown ist ein wahr gewordener Traum für Foodhunter aller Art, und auch die wohl ­besten koreanischen Knödel des Landes sind nur ein paar Gehminuten davon entfernt (im »Mandoo«).

Shareability, Innereien und Authentizität

In der entspannten Millionenstadt im Süden bekommt man außerdem einen ersten Vorgeschmack eines Konzepts, dem derzeit alle angesagten Lokale folgen: »Sharing plates«, dem Teilen der Speisen. Was wir vom Heurigen oder von Tapas-Bars kennen, wird in allen casual Hotspots selbst bei aufwendigsten Gerichten praktiziert. So entdeckt man schon zu zweit eine wahre Leistungsshow der Küchencrew, richtig Spaß macht es natürlich erst in der Gruppe. Besonders kreativ wird die Shareability im »press* food & wine« in Adelaide, im »Petition« und »The Standard« in Perth oder im »Kensington Street Social« in Sydney zelebriert. Auch sehr auffällig in diesen Restaurants: Mit Kalbszunge, Lammhirn, Kalbsbries und Co. entdeckt man gerade die wunderbare Welt der Innereien.

Die inneren Werte spielen derzeit auch für alle Brauereien und Winzer eine große Rolle. Ob Craft-Beer-Hype oder Natural Wines – jeder Produzent will mit Bistro­küche, Tasting-Packages, moderner Location und Authentizität punkten. Wer sein Pale Ale in loungiger Atmosphäre mit Blick auf den Fischerhafen samt Pizzaschnitte genießen will, pilgert zur Little Creatures Brewery in Fremantle, dem gemütlichen Vorort von Perth. Soll's etwas spektakulärer sein? Noch 2017 soll der ziemlich spacige Kubus vom Weingut d'Arenberg eröffnet werden. Ein gigantischer Spiegelbau inmitten des Weinbergs im südaustralischen McLaren Vale, der ein zahlungskräftiges Publikum anlocken soll. Das richtige Symbol in Zeiten von Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und Natürlichkeit? »No worries« – wie der ­Australier sagen würde, alles wird gut!

Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2017

Zum Magazin

Markus Curin
Autor
Mehr zum Thema