Kleines Land, großer Käse: Noch nie war die österreichische Käsequalität so hoch wie heute.

Kleines Land, großer Käse: Noch nie war die österreichische Käsequalität so hoch wie heute.
© Ian Ehm

Zum Dahinschmelzen: Camembert aus Österreich

Österreich hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer Käsenation 
entwickelt, die mit den ganz großen wie Frankreich oder der Schweiz 
mithalten kann.

Besonders der Camembert hat im deutschsprachigen Raum eine längere Tradition, als viele vermuten würden – schon Kaiser Franz Joseph wollte Camembert auf seiner Tafel nicht missen. Es gibt eine Vielzahl an Produzenten, die so cremigen und geschmackvollen Camembert herstellen, dass er einem regelrecht im Mund zerfließt. Vorreiter in Österreich sind die Geschwister Bantel aus Möggers in Vorarlberg, die mit ihrem Camembert Preise am laufenden Band abräumen. Ganze sechs Mal haben sie den »Käsekaiser« gewonnen, die wichtigste Auszeichnung für höchste Käsequalität in Österreich, die einem Staatsmeistertitel gleichkommt. »Einmal waren wir sogar mit drei Produkten für das Dreier-Finale nominiert«, erzählt Inhaber Georg Bantel augenzwinkernd, »da war die Spannung nicht mehr so groß«.

Die Geschichte der Feinkäserei der Familie Bantel geht bis ins Jahr 1886 zurück, Weichkäse werden seit 1932 hergestellt. Das wichtigste Kriterium für besten Camembert ist ein hervorragender Rohstoff, den die Bantels großteils aus nächster Nähe im Bregenzerwald beziehen können. Der Betrieb ist über die Jahre eindrucksvoll gewachsen, mittlerweile werden rund 750 Tonnen Käse pro Jahr produziert, ein guter Teil geht nach Deutschland.

Sehr entschieden beantwortet Bantel die Frage, mit welcher Reife er persönlich den Camembert am liebsten isst: »Nie vor dem Ablaufdatum, am liebsten einen Monat darüber, wenn er gut gelagert ist. Erst dann erreicht er seine voll Blüte.« Georg Bantel erzählt, dass man herausragenden Käse nur dann produzieren könne, wenn man mit Leidenschaft und Überzeugung Käse mache: »Da kann man nicht auf die Uhr sehen. Da ist es auch egal, ob Sonn- oder Feiertag ist.« Dabei hat Georg Bantel auch noch andere Aufgaben: 1980 übernahm er als jüngster Vorarlberger das Bürgermeisteramt, das er noch immer ausübt. Kaum zu glauben, dass es zu Beginn seiner Tätigkeit in Möggers weder asphaltierte Straßen noch Trinkwasserversorgung oder ein funktionierendes Kanalsystem gab.

Imperialer Genuss: Schon Napoleon III. und Kaiser Franz Joseph waren von Camembert begeistert.
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Imperialer Genuss: Schon Napoleon III. und Kaiser Franz Joseph waren von Camembert begeistert.

Jüngster Käsemeister

Vinzenz Stern wurde 2007 zum jüngsten Käsemeister Österreichs gekürt, das war gerade zwei Tage nach seinem zwanzigsten Geburtstag. In den vergangenen neun Jahren ist viel passiert am steirischen Aichsternhof.
Zwei Jahre lang hat Stern getüftelt, bis er seinen ersten Camembert auf den Markt gebracht hat. Mittlerweile zählt er zu den besten Produzenten Österreichs und hat schon fünf Landessiege geholt. Als Geheimnis seines Erfolges nennt er die Qualität der Milch seiner Kühe, die wiederum auf dem hochwertigen Futter beruht: »Das Futter stammt ausschließlich von unseren eigenen Flächen. Nur aus bester Rohmilch kann man guten Käse machen. Aber auch Freude und Liebe zum Produkt sind notwendig, man muss von der Sache begeistert sein.«
Die Familie Stern hält rund dreißig Milchkühe und achtet bei der Milchwirtschaft primär auf die Qualität der Milch und nicht auf die Menge. Die hohe Produktqualität hat sich herumgesprochen und es kamen Anfragen von großen Supermarkt-Ketten. Doch Stern will seine Betriebsgröße beibehalten und weiterhin als Familienbetrieb wirtschaften und hat bislang alle verlockenden Angebote ausgeschlagen.
Die Milch wird auch weiterhin an eine Molkerei geliefert, was dem jungen Käsemeister ein wenig Freizeit ermöglicht: »Somit muss ich nicht jeden Tag käsen und kann auch einmal mountainbiken gehen oder ab und zu zwei Tage wegfahren. Urlaub mit einer Woche Länge, das geht sich aber nicht aus, das muss man als Bauer in Kauf nehmen. Wenn man Freude im Betrieb zu Hause hat, muss man aber auch nicht auf Urlaub fahren.«
Die Bandbreite der österreichischen Käseproduzenten reicht von Großunternehmern bis zu Familienbetrieben. Doch es geht noch kleiner. Als Mikro-Betrieb könnte man die Wiener Stadtkäserei des gebürtigen Vorarlbergers Johannes Lingenhel bezeichnen. Seit diesem Sommer erzeugt er zusammen mit Käse-Haudegen Robert Paget einen Camembert für seinen Feinkostladen im Herzen von Wien. Verarbeitet wird ausschließlich Bio-Milch von Schaf, Ziege und Büffel.

Neuer Käse-Starbetrieb aus Wien: Robert Paget (links) und Johannes Lingenhel.
© Ian Ehm
Neuer Käse-Starbetrieb aus Wien: Robert Paget (links) und Johannes Lingenhel.

Während Camembert aus der Normandie nach etwa drei Wochen Reife im Supermarktregal landet, will Lingenhel seinem Käse mehr Zeit geben: »Nach sieben bis neun Wochen beginnen wir erst zu überlegen, ob der Camembert schon eine gute Reife erreicht hat.« Der Käse wird dadurch milder und cremiger, »aber auch die Liebe, die darin steckt, schmeckt man«, ergänzt Lingenhel mit einem strahlenden Lächeln.
Camembert wird überwiegend aus Kuh-Rohmilch hergestellt, aber Produkte von Schaf und Ziege werden zunehmend popu­lärer. Der Weichkäse wird mit einer Weißschimmelkultur besprüht und darf bei der Produktion bis zu sechs Wochen reifen. Junge Camemberts weisen buttrig-topfigen Charakter auf, anfangs ist der Teig noch fest, erst mit weiterer Lagerung wird der Käse von außen her weich und cremig. Mit zunehmender Reife entwickelt sich die verführerische Aromenvielfalt mit Pilzen, Moos und Erdnüssen, herrlich cremig das Mundgefühl.
Die gesamte aromatische Bandbreite eröffnet sich nur den geduldigen Genießern, die nach dem empfohlenen Verbrauchsdatum noch Wochen verstreichen lassen. Je gereifter ein Camembert ist, desto würziger, cremiger und vielschichtiger ist er. Der Weichkäse kann völlig gefahrlos auch lang gelagert werden – solange er schmeckt, lautet die einfache Regel. Vorsicht ist nur dann geboten, wenn andersfarbiger Schimmel auftritt.

Als Begleiter liebt der Camembert bukettreiche, trockene Weißweine wie Weißburgunder oder Chardonnay, aber auch ein leicht gekühlter, samtiger Pinot Noir harmoniert wunderbar. Wer trockene Schaumweine oder Zwickelbier zum Camembert serviert, hat schon gewonnen, denn neben der Harmonie zeigt auch der Überraschungseffekt bei den Gästen Wirkung.
Der cremige Weichkäse mit weißem Edelschimmel mag auch alkoholfreie Partner wie Erdbeernektar, Birnensaft oder Holunderblütensaft mit Soda.
Auf der Käseplatte umgibt sich Camembert gerne mit Tomaten- oder Paprikamarmelade, Honig, Nüssen und Kürbiskernen, favorisierte Gebäcksorten sind Brioche, Croissant und Baguette.

Kleine Camembert-Geschichte

Der Legende nach wurde der Camembert von der Bäuerin Marie Harel aus dem Dorf Camembert in der Normandie erfunden. Während der Französischen Revolution soll sie einem aufständischen Priester aus Brie Unterschlupf gewährt haben. Aus Dankbarkeit hätte er ihr weitere Raffinessen der Käseherstellung beigebracht. Eine schöne Geschichte, die wohl nur teilweise stimmt, weil ältere Dokumente belegen, dass schon lange vorher ähnlicher Käse mit Weißschimmelkultur erzeugt wurde.
Überregionale Bedeutung bekam der Käse durch die legendäre Spanschachtel und durch die 1850 eröffnete Eisenbahnlinie Normandie–Paris. Napoleon III. setzte ihn auf die kaiserliche Hoftafel, und auch der österreichische Kaiser Franz Joseph war vom cremigen Weichkäse begeistert. Ein kaiserlich-königlicher Hoflieferant durfte durch ein kaiserliches Privileg Camembert an den Hof in Wien liefern. Seit 1884 wird der Camembert auch in Deutschland hergestellt, nachdem Agathe Zeis – eine Pionierin der Milchwirtschaft – für die Meierei Heinrichsthal im sächsischen Radeberg das französische Patent erwerben konnte.

Aus dem Falstaff Magazin 06/2016.
Lesen Sie mehr über Käsestile im anschließenden Artikel.

Bernhard Degen
Autor
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