World Champions: Sacha Lichine
Sacha Lichine hat nur selten Muße, ein Glas Rosé im Park von Château d’Esclans zu trinken – er ist auf der ganzen Welt unterwegs, vor allem in die USA.
© Sara L. Matthews LLC

Sacha Lichine hat nur selten Muße, ein Glas Rosé im Park von Château d’Esclans zu trinken – er ist auf der ganzen Welt unterwegs, vor allem in die USA.
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Die Geschichte von Alexis Lichine, Vater von Sacha Lichine, ist eine dieser Geschichten, wie sie das 20. Jahrhundert des Öfteren schrieb: Als die Oktoberrevolution ausbricht, hält es Sacha Lichines Großvater für besser, Sankt Petersburg zu verlassen. Der vermögende Bankier gelangt mit seiner Frau und dem vierjährigen Sohn Alexis über Sibirien nach Tokio, von da nach San Francisco und schließlich nach New York. Dort bleibt die Familie einige Jahre, ehe sie weiterzieht: nach Paris. Dieser Zweiklang der Zufluchtsorte USA und Frankreich sollte Alexis Lichines Leben prägen und später ebenso dasjenige seines Sohnes Sacha.
Ein Brückenschlag von Frankreich zu den USA
Bordeauxliebhaber kennen den Namen Lichine vor allem als den Bestandteil eines 4ème Cru Classé aus Margaux: Prieuré-Lichine. Es war 1951, als Alexis Lichine das heruntergekommene Château Prieuré-Cantenac erwarb – angeblich für 11.000 Pfund Sterling, einen Betrag fernab der heute üblichen Summen. Anschließend baute er das Gut, das beim Kauf nur noch über vier Hektar Reben verfügte, langsam wieder auf und benannte es mit dem Segen der Behörden um.
Das Kapitel Prieuré-Lichine ist jedoch weder Lichines einzige noch seine bedeutendste Leistung. Denn der in Bordeaux hoch Angesehene verstand sich selbst vor allem als Autor und Kommunikator. So schrieb er ein umfassendes Kompendium über Frankreichs Weine (erschienen ebenfalls 1951) und versuchte sich zweimal – 1962 und 1978 – als Reformator der Bordeaux-Klassifikation. Vor allem aber öffnete Alexis Lichine dem französischen Wein den Weg in die USA. Schon als 1933 die Prohibition in den USA endete, hatte der gerade 20-Jährige für die »New York Herald Tribune« in Frankreich Anzeigen verkauft – vor allem an Cognac- und Champagnermarken. Als Lichine 1955 »Alexis Lichine Negociants« mit Basis in New York gründete, stieg er in den USA zum bedeutendsten Importeur feiner und rarer Weine aus Frankreich auf.
Nach Alexis Lichines Tod im Jahre 1989 musste sein Sohn Sacha jedoch feststellen, dass die Kapitaldecke in den Unternehmen seines Vaters dünner war als gewünscht. 1999 sah er sich gezwungen, das Weingut der Familie in Margaux zu verkaufen. Zeit für einen Schnitt. Und einen Neuanfang.

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Neue Heimat Provence
In der Provence fand Sacha Lichine im Jahr 2006 ein neues Zuhause – und den idealen Ort für seine eigenen, ungewöhnlichen Pläne: »Die Provence ist die spirituelle Heimat des Rosés«, so Lichine. »Hier lässt sich die ganze Finesse der französischen Weinbereitungstradition mit Storytelling verbinden.« Der Erfolg bestätigt diese Einschätzung Lichines. Und mehr noch: Mit seiner Entscheidung, in die Provence zu gehen, bewies Lichine auch ein exzellentes Gespür fürs Timing. Denn gerade, als er die Weine seines Château d’Esclans zu lancieren begann, begann sich auch eine Rosé-Mode aufzubauen, deren Ende auch heute nicht absehbar ist: Weltweit zeigen Rosé-Verkäufe noch immer zweistellige Wachstumsraten. In den USA wurden im aktuell erfassten Jahr 2017 laut Zahlen von Business France 24 Millionen Flaschen Rosé de Provence verkauft, ein Plus von 14 Prozent zum Vorjahr und eine Verfünffachung seit 2010. Ein guter Anteil dieses Booms – die Rede ist von etwa fünf Millionen Flaschen – geht auf das Konto von Sacha Lichine. Auch hier zeigt sich wieder die Stärke der Familie, dies- und jenseits des Atlantik präsent sein und Brücken bauen zu können.
»Die Provence hat das Zeug dazu, beim Rosé den Goldstandard zu setzen, wie die Champagne beim Schaumwein.«
Sacha Lichine
Dabei war es anfangs vielleicht vor allem Lichines Provokation, für die Top-Cuvée Garrus einen dreistelligen Euro-, Dollar- bzw. Pound-Sterling-Preis pro Flasche aufzurufen, der auch den Einstiegsweinen Whispering Angel und Rock Angel Aufmerksamkeit garantierte. Inzwischen haben jedoch beide Etiketten auch für sich allein einen ausgezeichneten qualitativen Ruf: der Whispering Angel durch eine Zugänglichkeit ohne jeden Kitsch und durch eine in dieser Preisklasse sehr beachtliche Verfeinerung. Der Rock Angel als eine kulinarische und mineralische Zuspitzung dessen, was man früher schon als das High End des provenzalischen Rosé-Schaffens angesehen hätte: frisch und fein nuanciert auf der einen Seite, stoffig mit durchaus fordernder Struktur und ausgezeichneter Länge auf der anderen.

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Die beiden preislich höher angesiedelten Rosés sind beide vom Barriqueausbau geprägt. Dabei ist der etwas weichere und cremigere Les Clans vielleicht der gewöhnungsbedürftigere. Ob dieser Wein als Wein wirklich vom Holz profitiert, darüber kann man durchaus geteilter Meinung sein. Sicher ist jedoch, dass die Art des Ausbaus die kulinarische Einsatzmöglichkeit dieses Rosés in Bereiche erweitert, für die man sonst eher zu einem getragenen, gewichtigen Weißwein gegriffen hätte.
Garrus wiederum, der Schlussstein des Lichine’schen Rosé-Schaffens, gekeltert aus 80-jährigen Grenache-Reben, die auf einer windoffenen Anhöhe stehen, ist ein Rosé komplett eigener Art: mit einer rotwein-artigen Tiefe, mit einer weißweinartigen Unbeschwertheit und mit einer Frucht, die in ihrer Verbindung aus delikater Feinheit und intensivster Präsenz den Inbegriff dessen ins Glas bringt, was man sich in seinen kühnsten Träumen unter einem hellen Wein aus dunklen Trauben vorstellt. Ein Kulturprodukt, in dem sehr viel Reflexion und sehr viel Erfahrung stecken, und auch der unternehmerische Wille, die Grenzen des Machbaren immer weiter auszuloten.

Angel, Les Clans, Garrus.
Foto beigestellt
In der Vergangenheit, das wird in den letzten Jahren immer deutlicher, wurden diese Grenzen in der Provence vielleicht viel zu bescheiden abgesteckt. »Die Provence hat das Zeug dazu«, so Lichines Credo, »beim Rosé den Goldstandard zu setzen, wie die Champagne beim Schaumwein.« Der Rosé als Weinkategorie eigenen Rechts – mit eigenen Kultweinen, eigenen Stildifferenzen und eigenen Geschichten: Für diese Botschaft hat die Weinwelt gerade keinen eloquenteren Fürsprecher als Sacha Lichine.
Tasting: Château d’Esclans
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