© Etienne Hunyady

World Champions: Bolgheri Sassicaia

Der Wein mit dem markanten goldenen Stern auf kobaltblauem Grund am Etikett ist heute weltweit gefragt. Schließlich ist er das Symbol für die Renaissance des italienischen Weins.

Ganze sechs Kilometer ist sie lang und pfeilgerade, die berühmte Zypressenallee von Bolgheri, die bereits der Dichter Giosuè Carducci beschrieb. Von der Via Aurelia, der ehemaligen Römerstraße, führt sie hinauf in den Ort, allein die Fahrt ist unvergesslich. So richtig ins Schwär­men kommt dabei aber der Liebhaber edler Weine. Das Land links und rechts der Straße gehört nämlich zur Tenuta San Guido der Marchesi Incisa della Rocchetta. Hier wird der weltberühmte Sassicaia erzeugt.
Mit einer Größe von 2500 Hektar zählt die Tenuta San Guido zu den größten Landgütern Italiens. Die Tenuta reicht von den bewaldeten Hügeln über Olivenhaine, Weingärten und Wiesen und Felder bis hi­nunter ans Meer. Wer hier nun aber prachtvolle, schlossähnliche Bauten wie in Bordeaux vermutet, liegt falsch. Lediglich eine Reihe alter Gutshöfe säumt die Straße. Nur dem Kenner fällt auf, dass auf den Häuserfronten immer wieder der markante Stern abgebildet ist, der das Etikett des Sassicaia ziert. Auch der 2007 neu erbaute Keller fügt sich zurückhaltend ins Landschaftsbild ein. Protzen gibt’s nicht auf der Tenuta San Guido. Das bringt wohl auch Marchese Niccolò Incisa della Rocchetta, der Besitzer, am besten zum Ausdruck. Auch er steht lieber im Hintergrund, verfolgt dabei aber stets eine klare Linie. Seit einigen Jahren arbeitet auch Priscilla Incisa della Rocchetta, Niccolòs Tochter, im Betrieb mit.
Priscilla ist eine von sechs Cousinen der über die ganze Welt verstreut lebenden Incisa-Familie, die die Tenuta San Guido in Zukunft weiterführen werden. In seiner zurückhaltenden Art ist der Marchese seinem Wein durchaus ähnlich. Der Sassicaia, so der Marchese, habe es nicht nötig, laut und aufdringlich zu sein, ­­er müsse durch seine Tiefgründigkeit und Eleganz überzeugen. Niccolò Incisa hat recht: Der Sassicaia war nie einer jener gedopten Bomber-Weine, die vor allem in Verkostungen glänzen. Der Sassicaia eröffnet seine Finesse und Klasse erst im Trinken, am besten zu einem feinen Essen. Während die Weine ringsum immer mehr der Linie der höchstmöglichen Konzentration und Power folgen, setzt Sassicaia auf einen eigenen Stil, der durch Frucht und Finesse gekennzeichnet ist. Ein ­Sassicaia ist unverkennbar.

Marchese Niccolò und seine Tochter Priscilla Incisa della Rocchetta vor den Fässern, in denen der edle Sassicaia heranreift.
© Reiner Baumann
Marchese Niccolò und seine Tochter Priscilla Incisa della Rocchetta vor den Fässern, in denen der edle Sassicaia heranreift.

Entstanden aus der Not

Verglichen mit den berühmten französischen Hochgewächsen ist die Geschichte des Sassicaia noch jung, der erste Jahrgang, der 68er, kam 1971 auf den Markt. Für italienische Verhältnisse ist das aber eine sehr lange Tradition, und der Sassicaia weist eine beachtliche Kontinuität auf. Mit Ausnahme der Jahrgänge 1969 und 1973 wurde jedes Jahr ein Sassicaia abgefüllt. Die Ursprünge des Sassicaia reichen zurück bis in die 1940er-Jahre. Mario Incisa della Rocchetta, Vater des heutigen Marchese, ließ sich damals nach seiner Heirat mit einer della Gherardesca fix in Bolgheri nieder. Wie viele italienische Adlige jener Zeit war auch er gewohnt, französische Weine zu trinken. Durch die Kriegswirren war er jedoch vom begehrten Nachschub abgeschnitten. Die Lösung? Einen eigenen Wein kreieren! Ein befreundeter Adliger aus Pisa, der Duca Salviati, hatte Cabernet in seinen Weingärten stehen und gab dem Marchese davon einige Setzlinge ab.
Für seinen ersten Weinberg hatte Mario Incisa eine Parzelle hoch oben am Berghang, auf 350 Metern, ausgewählt. Den Weinen aus Bolgheri und Umgebung hing nämlich der Makel an, zu sehr nach Meer und gekochter Frucht zu schmecken. Am Berg waren die Trauben weiter vom Meer entfernt und das Klima kühler. Der Wein wurde vinifiziert, verkostet und – für untrinkbar befunden. Die Flaschen wurden im Keller vergessen. Erst Jahre später öffnete der Marchese zufällig wieder eine Flasche und konnte zu seiner großen Freude feststellen, dass sich der Wein grundlegend gewandelt hatte und nun sehr großes Vergnügen bereitete. So folgten zehn Jahre nach dem Beginn weitere zweieinhalb Hektar Weingärten.
1965 schließlich wurde eine zwölf Hektar große Parzelle bepflanzt, die wegen der vielen Steine »Sassicaia« genannt wurde. So erhielt der Wein seinen Namen. Noch immer aber war der Sassicaia ausschließlich der Hauswein der Incisa della Rocchetta. Erst Sohn Niccolò konnte den Vater nach langem Zureden überzeugen, den Wein doch in den Handel zu bringen. Den Vertrieb übernahm Cousin Piero Antinori. So kam es, dass der 68er schließlich als erster Sassicaia den Keller verließ. Zuvor wurde der Wein aber noch vom legendären Antinori-Kellermeister Giacomo Tachis auf ­Vordermann gebracht. Jahr für Jahr steigerte sich die Qualität des Sassicaia, und speziell in den Siebzigerjahren war er sozusagen die he­rausragende Insel ­in einem Meer von mittelmäßigen bis belang­losen Weinen. Seit den Achtziger­jahren konnte der Sassicaia den Titel des berühmtesten Weins Italiens für sich beanspruchen, und nachdem Robert Parker dem 1985er die Traumnote von 100 Punkten gab, war er in aller Welt begehrt.

Bordeaux in der Toskana

Sassicaia war der erste wichtige Cabernet-Wein aus Italien. Weil ein solcher in den italienischen Weinbaugesetzen nicht vorgesehen war, musste er als Vino da Tavola auf den Markt kommen. Sassicaia war so einer der ersten Super-Tuscans. Erst 1994 wurde dem Bolgheri Rosso Superiore Sassicaia eine eigene Ursprungsbezeichnung zuerkannt. Vorbild für den Sassicaia waren klar die Weine aus Bordeaux. Mario Incisa della Rocchetta wollte in seinem »Hauswein« ja einen annähernden Ersatz für die französischen Hochgewächse haben. Entsprechend besteht die Cuvée zu 80 Prozent aus Cabernet Sauvignon und zu 20 Prozent aus Cabernet Franc. Seinem Sohn Niccolò war aber weiters wichtig, dass man dem Sassicaia auch seine toskanische Herkunft anmerkt. Bewusst wird so für den Ausbau weniger getoastetes Holz verwendet. Während viele andere italienische Spitzenweine oft nur in kleinen Mengen erzeugt werden, entstehen aus den 75 Hektar Weinbergen auf San Guido beachtliche 200.000 Flaschen jährlich. Da folgt Sassi­­caia wieder ganz dem Modell Bordeaux.

Klares Nein zum Zweitwein

Wie sein Wein ist der Marchese ein Mann mit klaren Aussagen. Eine davon lautet: Sassicaia ist einzig und es gibt davon keinen Zweitwein. Lange Zeit sah sich Niccolò Incisa della Rocchetta Vorwürfen ausgesetzt, er würde Sassicaia zu wenig aggressiv vermarkten; aus der Weltmarke Sassicaia könne man doch mehr machen. Viele forderten einen Zweitwein für den Sassicaia. Aber der Marchese blieb seinen Prinzipien treu. »Entweder der Wein taugt für den Sassicaia oder er wird gar nicht erst abgefüllt.« Und doch gibt es seit dem Jahrgang 2000 zwei weitere Weine von San Guido. Den »Le Difese«, der zu 70 Prozent aus Sangiovese und zum Rest aus Cabernet besteht, und den »Guidalberto«, eine Cuvée aus vornehmlich Merlot und etwas Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc.
Beide aber – und darauf legt der Marchese Wert – sind keine Zweitweine des Sassicaia, sondern stammen aus eigenen Weinbergen. Ob man ihm wohl glauben wird? Letztlich dürfte dies dem Marchese auch egal sein. Wein, insbesondere sein Sassicaia, ist ihm zwar sehr wichtig, im Grunde genommen aber nur die zweitwichtigste Sache der Welt. An erster Stelle rangiert für den Marchese seine Leidenschaft für edle Rennpferde. Zu ihnen geht er immer dann, wenn es ihm in der Weinwelt zu hektisch und turbulent wird.

Erschienen in
Falstaff Nr. 01/2019

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Othmar Kiem
Othmar Kiem
Chefredakteur Falstaff Italien
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