Wiener Symphonie – Gemischter Satz

Der Gemischte Satz hat in Wien den Trend zum reinsortigen Ausbau überlebt – und erfreut sich noch nie da gewesener Beliebtheit.

Der Wiener Gemischte Satz erlebt zurzeit einen schier unaufhaltsamen Höhenflug und erfreut sich einer gewaltigen Nachfrage, die kaum zu befriedigen ist. Nachdem die New Yorker Gourmetszene den Grünen Veltliner als vielseitigen Speisenbegleiter schätzen gelernt hat, ist es nun der Gemischte Satz, der als Trendwein immer mehr Anhänger findet. Durch den Erfolg des Wiener Gemischten Satzes haben sich auch in den österreichischen Bundesländern zahlreiche Nachahmer gefunden. Laut EU-Verordnung darf kein anderes Land der Union den Begriff »Gemischter Satz« führen. Noch konkreter ist der »Wiener Gemischte Satz« geschützt, dessen Anbau- und Verarbeitungskriterien im Weingesetz genau geregelt sind. Vereinfacht gesagt muss es sich um weißen Qualitätswein handeln, der zu 100 Prozent in Wien gewachsen ist und aus mindes­tens drei Rebsorten besteht, die gemeinsam ­gelesen werden. Sogar die Slow-Food-­Familie wacht mütterlich über den tradi­tionellen Wein und hat ihn als Presidio-­Projekt als besonders schützenswert deklariert.

In den Weingärten schmecken Wein und Brot am besten / Foto: © Wien TOurismus, Peter Rigaud

2000 Jahre Weingeschichte
Wien liegt an einem Schnittpunkt mehrerer geologischer Bereiche und hat mit der Donau und der Großstadt zwei ­regulierende Faktoren. Schon die Römer wussten die klimatischen Vorzüge der Region zu schätzen und kelterten bereits vor 2000 Jahren Wein. Die räumliche Entfernung ist gering, dennoch sind die Weine aus Mauer, aus Oberlaa, vom Bisamberg oder vom Nussberg völlig unterschiedlich. Und genau das macht den Wiener Gemischten Satz so spannend. Der Boden und das Kleinklima prägen den Wein mehr als eine Rebsorte. Der Gemischte Satz kommt aus einem Weingarten mit Mischkultur: Weinstöcke verschiedenster Rebsorten wurden durcheinandergewürfelt ausgesetzt, die Trauben werden schon bei der Lese ver­mischt – im Gegensatz zur Cuvée, für die erst der fertige Wein verschnitten wird.

Die WienWein-Gruppe ist ­Motor des Wiener ­Weinwunders. V. l.: Michael Edlmoser, Rainer Christ, Thomas Podsednik (Weingut Cobenzl), Fritz Wieninger und Gerhard Lobner (Mayer am Pfarrplatz) / Foto: Raimo Rudi Rumpler

WienWein-Gruppe als Erfolgsmotor
Für die beeindruckende Erfolgsgeschichte des Wiener Gemischten Satzes ist die WienWein-Gruppe mit Zugpferd Fritz Wieninger maßgeblich verantwortlich. Wiener Wein ist jetzt wieder gefragt und in jeder Wiener Gaststätte, die ein wenig Weinkultur lebt, auf der Karte. Wieninger erinnert sich, dass das nicht immer so war: »Es gab Zeiten, da war es ­abseits der Heurigen fast unmöglich, Wiener Wein zu bekommen.« Heurige sind traditionelle Weinlokale, in denen man einfache Weine und meist deftige Kost bekommt. Ausnahmen bestätigen die Regel, denn natürlich hat sich das Angebot an die gestiegenen ­Ansprüche der Konsumenten angepasst. Die ­WienWein-Gruppe hat den Gemischten Satz wiederentdeckt und ihm durch clevere Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen zu ungeahnter Popularität verholfen. Winzer-­Urgestein Hermann Prager erklärt, dass viele Anlagen noch zu jung seien und die Rebstöcke noch nicht tief genug wurzeln würden, um vom Boden zu profitieren. Aber die Wiener Winzer wissen den Wert alter Weingärten zu schätzen und hegen und pflegen sie entsprechend. Manche Anlagen sind 50 Jahre und ­älter, wurzeln je nach Untergrund Dutzende Meter tief und bringen wenig Ertrag. Dafür holen sie sich viel Mineralik, die Trauben sind klein und haben dicke Schalen, und die Pflanzen sind weniger krankheitsanfällig und über­stehen Wetterkapriolen meist unbeschadet.

Jutta Ambrositsch ist eine leidenschaftliche und talentierte Quereinsteigerin / Foto: Götz SchrageSortenvielfalt
Manche mit Gemischtem Satz bestockte Weingärten bergen wahre Schätze an rar ­gewordenen Rebsorten. Die meisten Anlagen haben Weißburgunder und Grünen Veltliner als Basis gemein, Riesling ist meist der Säureträger und Traminer für die Aromatik zuständig. Darüber hinaus gibt es Kleinode wie Roten Riesling, Gutedel, Grünen Portugieser, Grünen Sylvaner, Rosenmuskateller, Österreich Weiß oder Jubiläumsrebe. Jede Sorte für sich trägt das Ihre zu einem gelungenen Gemischten Satz bei. Hermann Pragers ­»Ursatz« ist so ein Beispiel für einen authentischen Wiener Gemischten Satz, bei dem selbst erfahrene Önologen nicht mehr alle Reb­sorten bestimmen können. Prager sieht das pragmatisch: »Was drin is, is drin.« Die ­einzelnen Sorten sind für den erfahrenen Winzer und Heurigenwirt nicht so wichtig, entscheidend ist das Gesamtergebnis, und das spiegelt vor allem die Bodencharakteris­tik wider.

Individuell
Die WienWein-Mitglieder sowie die ­bedeutenden Winzer Richard Zahel und ­Stefan Hajszan sind die Hauptprotagonisten des Wiener Weinwunders. Etwas im Verborgenen blühen kleine Weingüter, deren Winzer die Tugenden der Wiener Weinkultur mit Hingabe und Leidenschaft zelebrieren. Der Name »Wiener Orchideen Winzer« ist für den Zusammenschluss von vier Quereinsteigern sehr treffend gewählt. Ihre Anbauflächen sind auf der Wiener Weingarten-Karte kaum erkennbare Fleckchen, allerdings sind die Lagen durchaus exquisit und die Weine so individuell wie ihre Schöpfer. Jutta Ambrositsch etwa ist gelernte Grafikerin und mit ihrem neuen Beruf als Winzerin rundum glücklich: »Ich arbeite mit der Natur in der Landwirtschaft und muss dennoch nicht die Vorzüge der Großstadt missen.«

Der Journalist Georg Wailand war einer der ersten bekannten Quereinsteiger / Foto: Ingo PertramerQuereinsteiger
Die Wiener Weinszene wird durch Quereinsteiger aus nahezu allen Branchen zusätzlich belebt. Peter Uhler, ebenfalls Orchideen-Winzer, ist hauptberuflich Violinist und Konzertmeister. Der gebürtige Tiroler Norbert Walter ist eigenständiger Winzer, im »Brotberuf« Politiker und vertritt im Wiener Gemeinderat die Interessen der Wiener Winzer. Schon seit 1996 baut der bekannte ­Wirtschaftsjournalist Georg Wailand auf dem Kahlenberg und in Nussdorf Wein an. ­Besonders sein Grüner-Veltliner-Sekt »Best Vienna’s Brut« erfreut sich großer Popula­rität. Gastronomen sind zwar laufend mit dem Weingeschäft konfrontiert, aber zum eigenen Weinbaubetrieb ist es meist ein ­weiter Weg. Manuel Nössing und Stefan Hajszan haben sich dafür entschieden. ­Letzterer ist mittlerweile einer der ­größten Winzer der Stadt und bewirtschaftet gemeinsam mit Architekt Heinz Neumann 17 Hektar Rebfläche nach bio­dynamischen Richtlinien in Wiens besten Lagen. Die Gastronomie hat Hajszan dennoch nicht ganz hinter sich gelassen, er betreibt ein Weinguts-Restaurant (»Die Winzerei«), eine Buschenschank direkt auf dem Nussberg und ein Bierlokal auf dem Uni-Campus.

Hans Schmid (l.) ist der ­bekannteste Querein­steiger der Wiener Winzerszene – Gerhard Lobner steht ihm zur Seite / Foto: Ingo Pertramer
Hans Schmid (l.) ist der ­bekannteste Querein­steiger der Wiener Winzerszene – Gerhard Lobner steht  ihm zur Seite

Positive Entwicklung auf ganzer Linie
Bekanntester Quereinsteiger ist Hans ­Schmid, der mit dem Verkauf der einst größten Werbeagentur Österreichs ein wenig Spielgeld zur Verfügung hatte und vor sechs Jahren groß ins Weingeschäft einstieg. ­Begonnen hat das Engagement des leidenschaftlichen Weinfreundes mit dem Erwerb des »Roten Hauses«, eines schmucken Häuschens, alleinstehend in den Weingärten des Nussbergs, mit grandioser Aussicht über Wien. Dazu gehörten 1,7 Hektar Weingärten. Schmid ging im Jahr 2006 zum ­»Mayer am Pfarrplatz«, um Heurigenwirt und Winzerlegende Franz Mayer zu fragen, ob er ihm die Weingärten pflegen und den Wein machen wolle. Im Gespräch ergab sich etwas ganz anderes. Der betagte und inzwischen verstorbene Winzer bot Schmid überraschend sein gesamtes Weingut inklusive der Wiener Heurigen-Institution am Pfarrplatz an. Dieses Angebot konnte Schmid nicht ausschlagen, mittlerweile hat er die Anbaufläche für das immer noch als eigene Linie geführte Weingut Rotes Haus auf neun Hektar erweitert, die Weinbaufläche für »Mayer am Pfarrplatz« umfasst bereits stattliche 56 Hektar. Wenn Schmid auf der Terrasse des Roten Hauses ein Achterl Gemischten Satz Nussberg Reserve 2011 trinkt, dann kann er nicht nur mit der wirtschaftlichen Entwicklung seiner Weingüter hochzufrieden sein, sondern auch mit der Steigerung der Qualität im Glas.

Zu den Verkostungsnotizen

Text von Bernhard Degen
Aus Falstaff Nr. 06/2012

Bernhard Degen
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