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Wie eine frische Brise: Wein aus Ostfriesland

Zugegeben, Ostfriesenwitze sind »so seventies« und so richtig witzig waren sie eigentlich auch nie. Dafür ist der neue Wein aus der Region umso vielversprechender.

Kommt ein Ostfriese vom Wochenendeinkauf zurück, mit vier Kästen Bier, zwei Kartons Korn, einem Karton Rum und einem halben Graubrot. Mein Gott, sagt seine Frau zur Begrüßung, kriegen wir Besuch? Was sollen wir denn mit soviel Brot? 

So, oder so ähnlich lauten besagte Witze mit Anspielungen auf die bisherigen kulinarischen Schwerpunkte dieser niedersächsischen Provinz mit Kultfaktor — oder sagen wir vielleicht bald schon »Provence«? Die Aufzählung der alkoholischen Getränke könnte jedenfalls schon bald ganz anders aussehen. Denn Ostfriesland verfügt seit Neuestem über eine Winzergenossenschaft: Im 300-Seelen-Weiler Breinermoor im Landkreis Leer haben unweit von Obstbaumschule und freiwilliger Feuerwehr 40 Weingärtner in spe die Ostfriesische Winzergenossenschaft (OWG) gegründet und mit einer mutigen Investition von 120.000 Euro einen Hektar Reben aufgestockt.

»Eigentlich haben wir hier eben so viele Sonnenstunden wie in Stuttgart,«

zitiert das lokale Fernsehmagazin »Buten un binnen« den Vorstand der Genossenschaft Thorsten Oltmanns. Im Internet verfügbare Klimadaten zeigen für das nahe gelegene Emden und für den Zeitraum der Jahre 2016 bis 2021 etwa 1.564 Sonnenstunden, für Stuttgart hingegen 1.963. Aber vielleicht ist Emden ja wirklich ein Regenloch und Breinermoor eine friesische Mancha.

In Norwegen wächst schon Riesling

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Zurecht verweist der angehende Winzer jedenfalls darauf, dass im letzten Jahrzehnt die Weinbaugebiete durch das global warming immer weiter nach Norden gewandert sind. In Norwegen beispielsweise hat Rheinhessens Winzer-Star Klaus-Peter Keller schon einen Riesling in Kabinett-Qualität geerntet. Und Jens Heinemeyer, gerade für sein Rheingauer Weingut »solveigs« als Falstaff Winzer des Jahres 2021 nominiert, hat sich während der vergangenen 20 Jahre in ganz Skandinavien als Weinbauberater einen Namen gemacht. In der Nähe von Oslo hat er im Auftrag eines bislang für Cider bekannten Betriebs vier Hektar Riesling angelegt und bereits einen Schaumwein mit 18-monatigem Hefelager erzeugt.

Auch in Deutschlands Norden sprießen die Weingüter schon fast wie die Pilze aus dem Boden. Das statistische Bundesamt weist, Stand 2019, für Mecklenburg-Vorpommern sechs und für Schleswig-Holstein 21 Hektar aus. 2020 kamen in Schleswig-Holstein 2,1 Hektar hinzu, in Niedersachsen 2,75 Hektar, in Mecklenburg-Vorpommern 7,45 Hektar. Und selbst vor der rauen Inselluft machen die Rebflächen nicht Halt, auf der Insel Föhr existiert ein professionelles zwei-Hektar-Weingut. Auf Sylt bewirtschaftet das Weingut Balthasar Ress 0,3 Hektar, und die zwei-Personen-GbR Sylter Weinbau weitere 0,2 Hektar.

Ein Weißwein namens »Friesling«

Nun also auch Ostfriesland. Bei ihren 4000 gepflanzten Reben haben sich die Genossenschaftsmitglieder für pilzwiderstandsfähige Neuzüchtungen entschieden. Genauer: Souvignier gris und Solaris. Beide Rebsorten können auch etwas mehr Feuchtigkeit ab, ohne allzu gravierend an Mehltau oder Graufäule zu erkranken. Man darf gespannt sein auf den ersten Jahrgang. Einen Namen hat der ostfriesische Weißwein auch schon: Da er, so hoffen seine Urheber, ein bisschen wie Riesling schmecken soll, wird er »Friesling« heißen. Hoffen wir, dass man nach der Verkostung tatsächlich dazu neigt, das »F« aus dem »Friesling« wegzulassen, und nicht das »r«.

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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