Wenn die Böcke sanft werden

Bockbier ist nicht bloß etwas für die Fastenzeiten: Seit über 100 Jahren hat es sich etabliert. Speziell die Weizenböcke zeigen eine breite Vielfalt und damit Kombinationsmöglichkeiten wie kaum ein anderes Bier.

Wieso schmeckt Weizenbier eigentlich nach Weizenbier? Die naheliegende Antwort ist: Weil eben Weizen drinnen ist. Aber diese Antwort stimmt nur sehr bedingt. In Wahrheit sind der fruchtige Duft und der gewürzhafte Geschmack von Weizenbieren sehr stark von Weißbierhefen, gelegentlich auch von den verwendeten Hopfen geprägt – aber kaum vom Weizen. Dieser trägt zum typischen Charakter vor allem durch das Mundgefühl bei: Weizenbiere wirken auf der Zunge stets ein wenig weich, manche sogar cremig.

Kein Wunder, dass die Weizenbiere die vielfältigste Bierfamilie des deutschen Sprachraums darstellen: Es gibt sie hell und dunkel, filtriert als Kristallweizen und mit mehr oder weniger Hefe in der Flasche. Die Hefen sind, wie gesagt, für ein Gutteil der für »weizentypisch« gehaltenen Aromen verantwortlich – obwohl etwa der in manchem Weißbier so auffällige Duft nach Gewürznelken gar nicht vom Weizen kommt, sondern vom (üblicherweise mitverbrauten) Gerstenmalz gebildet wird. Zuständig dafür sind spezielle obergärige Hefestämme: Deren Vielfalt ist wesentlich größer als die der untergärigen Lagerbierhefen.

Und weil obergärige Hefen bei wärmeren Temperaturen vergären, ehe sie im Gärgefäß aufsteigen (was ihre Bezeichnung als »ober«-gärig rechtfertigt), können sie mehr aromatische Gärungsnebenprodukte bilden als ihre seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Brauwirtschaft dominierenden untergärigen, also an den Boden des Gärgefäßes sinkenden, Verwandten. Mit Weißbierhefen, einer großen, ursprünglich in Bayern wild vorkommenden Hefegruppe, werden auch Leichtbiere mit sparsamem Malzeinsatz  – sogenannte »leichte Weisse« – ziemlich aromatisch. Wenn der Braumeister umgekehrt bei der Schüttung, das ist die für einen Sud eingesetzte Malzmenge, ein wenig großzügiger ist, dann entsteht ein Weizenbockbier.

Und diese Böcke sind dann besonders sanft, einige trinken sich wie ein Dessert. Die Chance, den im 19. Jahrhundert immer rarer werdenden Weißbieren mit einer starken Variante eine noch exklusivere Position zu verschaffen, haben bayerische Brauer schon um 1900 entdeckt. Das geläufigste Beispiel aus jener Zeit ist der Aventinus, das Weizenstarkbier von Schneider Weisse. 1907 wurde es erstmals eingebraut – und die Münchner begrüßten die Innovation mit Spott: In Bayern ist es ja üblich, dass ein Bockbier, also ein Bier mit mehr als 16 Grad Stammwürze, nach einem Heiligen benannt wird – Doppelbockbiere mit mehr als 18 Grad Stammwürze müssen nicht unbedingt heilige Namen tragen, dafür gehört es zur Tradition, dass die Bezeichnung auf »-ator« endet. Und dann ein Doppelbock namens Aventinus! Die »Münchner Neueste Nachrichten«, Vorläufer der »Süddeutschen Zeitung«, schrieb von einer »Heiligenversammlung« im Himmel, wo der Münchner Stadtpatron Benno ermahnt wurde, im »Martyrologium Romanum« nachzuschauen, wie es um den Heiligen Aventinus stünde. Aber von einem solchen Heiligen hatte niemand gehört. Die Brauerei hatte das Bier einfach nach der Aventinstraße in München benannt, wo sich damals die Abfüllung der Brauerei befand. Und diese Straße heißt nicht nach einem Heiligen, sondern nach einem Wissenschaftler, nämlich Johann ­Georg Turmair (1477–1534), der der Gewohnheit seiner Zeit entsprechend den Namen seiner Heimatstadt Abensberg zu Aventinus latinisiert hatte und unter diesem Namen die allererste Chronik Bayerns verfasst sowie die erste Karte des Landes herausgegeben hat. Bis vor wenigen Jahren zierte ein Porträt des Renaissance-Gelehrten die Etiketten des nach ihm benannten Bieres, heute findet man sein Konterfei nur noch auf den Gläsern für den Eisbock. Man hat sich eben auch bei der Schneider Weisse auf die Kundschaft in Amerika eingestellt, die Biere durchnummeriert, als ob es Zapfhähne wären (»Tap 1« bis »Tap X«), und Verwendungsvorschläge ins Zentrum des Marketings gestellt. Beim Aventinus lautet die Empfehlung: »Für die großen Momente am Kamin«. Keine schlechte Positionierung, auch wenn der »Tap 6 – Unser Aventinus« ein hervorragendes Bier zu Käse und Vanilleeis ist. Mit einer Empfehlung glänzt auch Marktführer Erdinger: Der Pikantus ist zwar mit 16,7 Grad Stammwürze ein wenig leichter eingebraut als der Aventinus, an Aromakraft steht er ihm aber um nichts nach – die Brauerei vermarktet ihn als Aperitif, aufgrund seiner Röstaromen passt er aber auch gut zu Käsen.

Apropos Röstaromen: Wie beim Gerstenmalz gibt es auch von den Weizenmalzen Varianten, darunter Karamellmalze, Rauchmalze und eben Röstmalze, die Farbe und Schokoladentöne ins Bier bringen. Lange galt es als mehr oder weniger selbstverständlich, dass ein Weißbierbock dunkel sein sollte, aber in den letzten Jahren hat sich eine helle Variante des Weizenbocks durchgesetzt. Und da kommt ein Amerikaner ins Spiel, der der bayerischen Weizenbierproduktion einen ungewöhnlichen Impuls gegeben hat: Garrett Oliver, als Braumeister der Brooklyn Brewery eine Kultfigur der amerikanischen Bierszene, tat sich mit dem Kelheimer Brau­meister Hans-Peter Drexler zusammen, um eine Schneider & Brooklyner Hopfen-Weisse zu brauen. Es entstand ein helles Weizenstarkbier mit all den Tugenden eines bayerischen Weizenbocks, verfeinert mit den besten neuen Hopfenzüchtungen: Die Schneider & Brooklyner Hopfen-Weisse enthielt deutschen Saphir und amerikanischen Cascade und wurde auf beiden Seiten des Atlantiks ein großer Erfolg. Heute ist das Produkt als »Tap 5 – Meine Hopfenweisse« ein fester Bestandteil im Programm der Kelheimer Brauerei. Und es hat viele Brauereien inspiriert, selbst noch einmal mit dem Bierstil zu spielen: Weizenböcke dieser extrem gehopften, amerikanisch inspirierten Spielart sind ideale Begleiter scharf gewürzter Speisen. Es gibt auch Weizenböcke, die sich zum Dessert empfehlen, und andere, die Fischen gerecht werden. Denn die Hopfenbomben, die Garrett Oliver und seine europäischen Brauerfreunde kreiert haben, sind ja nur eine Spielart des Weizenbock-Stils.

Wobei manche Weizenböcke nur in extrem kleinen Mengen gebraut werden: Die in München unweit des Nockherbergs neu eröffnete Brauerei im Eiswerk braut nur eineinhalb Hektoliter pro Sud – aber der Weizenbock Mandarin (mit Mandarinen-Aroma, wie der Name sagt) ist gleich von Anfang an im Programm. Zu haben ist dieses sanfte Bier nur auf Vorbestellung – und auch da gibt es maximal zwei Flaschen zu je 14,90 Euro pro Person. 

Don Impala / Foto beigestelt97 Punkte
Don Impala
Brauerei: Weissbräu Schwendl Tacherting
Braumeister: Anton »Done« Schwendl
Alkohol: 8,0 % ABV
Bierstil: Weizendoppelbock
Honiggelb mit gleichmäßiger Trübung, reinweiß gekrönt. Intensiver Duft von Grapefruit, Orangenschale und Honigmelone. Cremig-weicher Antrunk, wenig Kohlensäure – dafür sehr sanfter Weizenton. Nur ein kleiner Hauch Süße, der mit der sofort präsenten Bittere gut harmoniert. Retronasal eine Explosion von Fruchtaromen, sowohl von jenen, die für die Weißbierhefe typisch sind, als auch von jenen moderner Hopfenzüchtungen. 

www.schwendl.de

Tap 5 – Meine Hopfenweisse / Foto beigestellt97 Punkte
Tap 5 – Meine Hopfenweisse
Brauerei: Weisses Bräuhaus, Kelheim 
Braumeister: Hans-Peter Drexler
Alkohol: 8,2 % ABV
Bierstil: Weizendoppelbock
Hellbernsteinfarben, kompakter, stabiler weißer Schaum. Sehr herbes Aroma von Grapefruit, Himbeeren und Eibisch. Sehr weicher, weizentypischer Antrunk, der ständig von den fruchtigen Hopfenaromen begleitet wird. Klar eine amerikanische Variation des Stils. Komplexe Gewürzaromen, Nelken und Koriander. Dabei dennoch spritzig bei kaum merkbarer Süße. Insgesamt hohe Drinkability. Gut mit der scharfen Sichuan-Küche kombinierbar. www.schneider-weisse.de

Erdinger Pikantus / Foto beigestellt96 Punkte
Erdinger Pikantus
Brauerei: Privatbrauerei Erdinger Weißbräu, Erding 
Alkohol: 7,3 % ABV
Bierstil: Weizenbock, dunkel
Beinahe schwarz, hellbrauner Schaum mit guter Haftung. Aromen von Kirschen und Nussschokolade. Sehr satter, sehr voller Antrunk, viel dunkle Malz­töne, Lakritzaroma. Klassische Bockbiernoten, darunter eine kakaoartige trockene Bittere. Die Süße ist deutlicher als die weißbiertypischen Aromen, obwohl diese durchaus durchblitzen. Erstaunlich gut trinkbar. Auch ein idealer Aperitif, begleitet darüber hinaus auch Blauschimmelkäse gut.
www.erdinger.de

Tap 6 – Unser Aventinus / Foto beigestellt95 Punkte
Tap 6 – Unser Aventinus
Brauerei: Weisses Bräuhaus, Kelheim 
Braumeister: Hans-Peter Drexler
Alkohol: 8,2 % ABV
Bierstil: Weizendoppelbock
Sehr dunkles Braun mit einem feinen hellbraunen, gut haftenden Schaum. Duft nach Kakao und Gewürzkuchen. Voller, sehr süßer Antrunk – man denkt an flüssigen Kuchen mit einem zarten Bananen­aroma. Die schokoladig-herben Eindrücke spielen am Obergaumen mit der Kohlensäure. Zum Nachtrunk hin eher trocken, was zum Weitertrinken anregt. Passt zu Käsen mit Rotschmiere.
www.schneider-weisse.de

Ayinger Weizenbock / Foto beigestellt94 Punkte
Ayinger Weizenbock
Brauerei: Brauerei Aying
Franz Inselkammer, Aying 
Braumeister: Hans-Jürgen Iwan
Alkohol: 7,1 % ABV
Bierstil: Weizenbock, hell
Sehr helles Gelb mit starker Trübung, darüber ein außergewöhnlich kräftiger, haltbarer Schaum. Extrem intensiver Duft von Gewürznelken, viel weniger von Bananen. Satter, sehr fruchtiger Antrunk – fast wie Mangosaft. Ehe es zu süß wird, kommt eine dezente Hopfen­bittere ins Spiel. Der Alkohol wirkt wärmend, dieser Bock passt zum Winter. Gut zu den Desserts seiner Heimatlandschaft, etwa Bayerischer Creme. 
www.ayinger.de

94 Punkte Göller Bockbier / Foto beigestellt94 Punkte
Göller Bockbier
Brauerei: Brauerei Göller zur Alten Freyung, Zeil am Main
Braumeister: Franz-Josef Göller
Alkohol: 7,0 % ABV
Bierstil: Weizenbock, hell
Stark trübes Hellgelb mit massivem weißem Schaum. Hefig-fruchtiger Duft – man ahnt Birnen, Renekloden und Ananas, aber kaum Banane. Erfrischend-schlanker, weißbiertypischer Antrunk. Dieser Bock verrät beim ersten Schluck nicht, wie viel Kraft in ihm steckt. Stattdessen feine Säure, die ein gewürzhaftes Aroma nach Spekulatius an den Gaumen zaubert. Und dann ein leicht herber Ton. Passt zu Fisch.  
www.brauerei-goeller.de

Edelweiss Gamsbock / Foto beigestellt93 Punkte
Edelweiss Gamsbock
Brauerei: Brauerei Zipf
Braumeister: Günther Seeleitner
Alkohol: 7,1 % ABV
Bierstil: Weizenbock, hell
Goldgelb mit reinweißem, kräftigem und sehr gut haftendem Schaum. Aromen von Banane, Vanille, aber auch Zitrusschale. Herber, trockener Antrunk, der die Süße in den Hintergrund treten lässt. Im Mund wird der Bananengeschmack deutlicher; wenn das Bier wärmer wird, tritt auch die Vollmundigkeit klarer hervor. Dennoch bleibt das Bier erfrischend und spritzig – ein guter Aperitif.
www.edelweissbier.at

Maibock 2013 / Foto beigestellt93 Punkte
Maibock 2013
Brauerei: Privatbrauerei Schnaitl, Gundertshausen 
Braumeister: Alexander Pöllner
Alkohol: 6,9 % ABV
Bierstil: obergäriges Starkbier (Gersten-, Weizen- und Dinkelmalz)
Bernsteinfarben mit schönem weißem Schaum, der wohl aufgrund des Alters der Probe nicht sehr stabil ist. Typisches Bananenaroma, spritzig-herber Antrunk – im Mundraum werden Aromen von Eibisch frei. Erinnert an einen leichten Wein. Kaum wahrnehmbare Süße, nicht zu wuchtig, dennoch ein vollmundiges Bier mit vielen malzigen Facetten. Kann wohl weiter reifen oder zu Geflügel gereicht werden.
www.schnaitl.at

Neufeldner Weizenbock / Foto beigestellt93 Punkte
Neufeldner Weizenbock
Brauerei: Neufeldner BioBrauerei, Neufelden
Braumeister: Richard Grasmück
Alkohol: 7,5 % ABV
Bierstil: Weizenbock, hell
Bernsteinfarben mit satter Trübung, feinporiger weißer Schaum. Intensives Aroma von überreifen Bananen, Orangen und Lychees. Süßer, satter Antrunk, mächtiger, fruchtiger Körper – beinahe cremiges Mundgefühl. Und dann ein deutlich bitteres, erfrischendes Kitzeln am Obergaumen. Daher wird das Finish überraschend trocken. Idealer Speisenbegleiter zu Ente, eventuell auch zu Gänsebraten.
www.biobrauerei.at

Weißbier Bock / Foto beigestellt93 Punkte
Weißbier Bock
Brauerei: Zillertal Bier, Zell am Ziller
Braumeister: Peter Kaufmann
Alkohol: 7,8 % ABV
Bierstil: Weizenbock, hell
Gleichmäßig trübes, rötlich schimmerndes dunk­les Bernstein, weißer, wenig stabiler Schaum. Aromen von Pflaumen, Ananas, ein wenig Banane. Herber Antrunk, relativ schlank für den Biertyp. Die Süße ist zunächst nicht zu spüren, erst langsam macht die Vollmundigkeit auch einem wärmend-alkoholischen Eindruck Platz. Ideen von Weihnachtsbäckerei, passt aber auch sehr gut zu geräuchertem Fleisch.
www.zillertal-bier.at

Schalchner Weisser Bock / Foto beigestellt92 Punkte
Schalchner Weisser Bock
Brauerei: Weissbräu Schwendl, Tacherting
Braumeister: Anton »Done« Schwendl
Alkohol: 7,5 % ABV
Bierstil: Weizenbock, dunkel
Mahagonibraun mit starker Trübung, obwohl ein Hefedepot in der Flasche bleibt. Hellbrauner, dichter Schaum, der nicht sehr lange hält. In der Nase ein dezenter Kakaoton, nur wenig Fruchtigkeit. Voller, malzbetonter Antrunk, dennoch erfrischende Kohlensäure, die auch die herben Aspekte zur Geltung bringt. Die Bittere verweist wiederum auf das Kakao­aroma des Röstmalzes. Erst im Finish zeigt sich ein Hauch von Banane. 

www.schwendl.de

Weißbier Bock / Foto beigestellt92 Punkte
Weißbier-Bock
Brauerei: Brauerei Ried e. Gen.
Ried im Innkreis 
Braumeister: Josef Niklas
Alkohol: 6,5 % ABV
Bierstil: Weizenbock, hell
Sehr helles, stark opalisierendes Goldgelb. Feiner, reinweißer Schaum. Aromen von Bratapfel, Birne, Banane und Nüssen. Erfrischend spritzig, aber gleich auch im Antrunk herb – retronasal treten sogar Hopfenaromen (frisches Gras) auf. Damit tritt die durchaus vorhandene Süße nicht so stark in den Vordergrund. Im Nachtrunk sehr herb und fast an Grapefruitsaft erinnernd. Ideal zu Thai-Curry.
www.rieder-bier.at

90 Punkte Weihnachtsbock / Foto beigestellt90 Punkte
Weihnachtsbock
Brauerei: Distelhäuser Brauerei
Tauberbischofsheim 
Braumeister: Roland Andre
Alkohol: 8,6 % ABV
Bierstil: Weizendoppelbock
Kastanienbraun mit dichtem, cremefarbenem Schaum, der gut haftet. Blumig-fruchtiges Aroma, Duft von Rosen, Alexanderbirnen, Zwetschgen. Süßer, sehr voller und kräftig alkoholischer Antrunk, stark wärmender Effekt am Gaumen mit Aromen von überreifen Birnen. Verhaltene, nur im Nachtrunk auf­blitzende Bittere. Ein Bier zum Dessert.
www.distelhaeuser.de

Von Conrad Seidl
aus Falstaff Nr. 01/14

Conrad Seidl
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