Weinkarten: Tristesse à la Carte

Weinkarten können eine höchst spannende Lektüre sein. In der Alpenrepublik wird Ihnen genau das selten widerfahren.

Sie kennen das: Nach einmaligem Umblättern wissen Sie bereits, was kommt. Das ist eine Weinkarte, die der Weinhändler A gemacht hat, und jene der Anbieter B. Sie gleichen sich in Österreich wie ein Ei dem anderen. Logisch: ­Einige wenige große Firmen versorgen unsere Gastronomen flächendeckend. Dem Wirt wird es so recht leicht gemacht, bei der Weinkarte das Hirn auszuschalten. Komplettangebot eben. Der Vertreter wählt für ihn die Weine aus, die er braucht. Wichtig nur, dass diese sich möglichst von selbst verkaufen. So einfach ist das. Und wenn kein Gastronom aus der Reihe tanzt, dann gibt es auch keinen Bedarf mehr für einen Sommelier. Denn es bieten ja ohnehin alle dieselben Weine an. Und der Gast? Der gähnt sich von einem Lokal zum nächsten.

Fad und ideenlos
Zugegeben, die Österreicher sind beim Wein patriotisch – weil unsere Weine heute auch so gut sind und genug Abwechslung bieten. Und mit dem Saft der heimischen Reben kann man so gut wie jedes Gericht sinnvoll begleiten. Ich bin sicher der Letzte, der das nicht dick unterstreichen würde. Aber ich darf das auch, denn ich verkoste berufsbedingt die Weine aus aller Welt. Das können die Gäste selbst unserer gehobenen Gastronomie nicht ohne Weiteres behaupten. Denn unsere Weinkarten bestehen zu gefühlten 99 Pro­zent aus heimischen Kreszen­zen. Schön für unsere Winzer, aber mal ehr­lich, sehnen Sie sich nicht auch manchmal nach Abwechslung? Also mich fadisiert nichts mehr als Ideenlosigkeit.

Chefredakteur Peter Moser leitet das Weinressort des Falstaff-Magazins. / Foto: Ingo Pertramer»Mir san mir«
Noch nie gab es eine so große Auswahl an echt spannenden Weinen in dieser Welt – und viele von ihnen sind gar nicht teuer. Doch dieser Umstand wird, frei nach dem Motto »Mir san mir«, ganz offensichtlich ignoriert – mir unverständlich, denn mit geringem Aufwand ließen sich schnell sehr gut herzeigbare Weinkarten erstellen. Man könnte sich z. B. an Rebsorten orientieren. Nehmen wir den Sauvignon Blanc. Steiermark, gut, aber wo bleiben da die bes­ten Neuseeländer, ein Mamara von Seresin, Wild Ferment von Greywacke, Section 94 von Dog Point – was, noch nie ­gehört? Fragen Sie doch den Händler Ihres Vertrauens – dem geht es wahrscheinlich nicht ­anders. Und die Loire? Meist Fehlanzeige.

Spannende Spanier
Viele Konsumenten rufen laut nach Wein aus Spanien. Aber sie meinen nicht die immer wieder gleichen Roten aus Rioja und ­Ribera del Duero. Schön, die Karte bietet Ygay, Vega S. und Pingus in erstaunlicher Jahrgangs­tiefe – eindrucksvoll, zugegeben, aber auch erschwinglich? Wo sind die feinen mineralischen Weine aus der Sorte Mencia, wie sie in El Bierzo wachsen und von Raúl Peréz aus Valtuille zur Perfektion gebracht werden?

Interessante Pendants
Oder stellen Sie einmal dem Blaufränkisch einen modernen Beaujolais gegenüber, da gibt es wunderbare Terroirweine zu ­relativ kleinem Geld, etwa eine Fleurie »Griffe du Marquis« von Alain Coudert oder einen Moulin-à-Vent von Jules Desjourneys. Diese haben rein gar nichts mit den handelsüblichen Nouveaux zu tun, mit denen mancher Gaumen leider traktiert wird.

Bio-Boom
Gehören Sie auch zu jenen, die gerade die Biowelle verschlafen und mit Begriffen wie Amphore, Orange Wine und Natural Wine überhaupt nichts anfangen können? Schade, dann versäumen Sie gerade die wichtigsten Trends. Nicht dass ich mir wünschen würde, man solle die komplett verrückte Weinkarte des angesagten Restaurants »Noma« in Kopenhagen kopieren, aber die eine oder andere Anleihe von dort könnte sicher nicht schaden.

Go East
Ein besonderes Manko vieler Karten ist die völlige Absenz von Weinen unserer osteuropäischen Nachbarn. Was spricht denn gegen einen der stoffigen Roten aus Villany in Ungarn, einen saftig-sommerlichen Malvazija aus dem kroatischen Istrien? Haben Sie tatsächlich noch nie etwas aus Bulgarien oder Rumänien probiert? Fakt ist, dass man heutzutage nicht einmal ein paar attraktive Flaschen aus Kalifornien angeboten bekommt.

Vielfalt ist gefragt
Meine Bitte an die Gastronomen lautet daher: Machen Sie Österreichs Weinkarten bitte dringend etwas bunter, Ihre Gäs­te sind nur halb so konservativ, wie Sie vielleicht glauben. Denn ich bin es allmählich leid, meinen Gästen aus dem Ausland immer wieder versichern zu müssen, dass es bei uns kein gesetzliches Einfuhrverbot für Weine gibt – ein bisschen ­Toskana und Bordeaux vielleicht ausgenommen.

Wirtschaftliche Argumente
Auch aus wirtschaftlichen Erwägungen hat eine abwechslungsreiche Weinkarte ihre Bedeutung. Denn sie kann definitiv dazu beitragen, mehr Wein zu verkaufen. Dazu gehört aber zuallererst auch eine räsonable Kalkulation. Denn immer öfter begegnen mir Weine aus dem ­Einstiegsbereich, für die Preise bis zum Zehnfachen des Einkaufspreises verlangt werden. Hallo, geht’s noch? Speziell beim glasweisen Angebot trifft man da auf wahrhaft genussfeindliche Vorstellungen. Dabei böte gerade das Verabreichen von Weinen in kleinerer Dosis die Möglichkeit, den interessierten Gast mit neuen Angeboten in Kontakt zu bringen. Aber es ist offensichtlich in unserem Land schon Tradition, sich bei der Preisgestaltung der Gerichte vornehm zurückzuhalten, um dann das verlorene Terrain bei den Weinpreisen wiedergutzumachen. Dabei könnte ein Fixaufschlag pro Flasche unkompliziert zu einem ausgewogenen Verhältnis beitragen.

Eines muss klar gesagt werden: In Zukunft wird auch in Österreich das Weinangebot bei der Gesamtbeurteilung einer Adresse noch mehr Gewicht bekommen. Und dann werden ein paar nette Flascherln Veltliner und Riesling sicher nicht mehr reichen.

Text von Peter Moser
Aus Falstaff Nr. 02/2013