Den Preis des »Weines des Abends« holte sich in beeindruckender Manier Château Mouton-Rothschild 1982.

Den Preis des »Weines des Abends« holte sich in beeindruckender Manier Château Mouton-Rothschild 1982.
© Peter Moser

Weihnachtliche Raritäten 2017

Kurz vor den Weihnachtsfeiertagen lud Falstaff-Herausgeber Wolfgang M. Rosam zur alljährlichen Panel-Degustation mit ausgesuchten Raritäten aus Bordeaux und Burgund. Eine vierzehnköpfige Kennerrunde durfte aus einem herausragenden Kreis von Spitzenweinen ihre Favoriten zu küren.

Alleine die Reihenfolge der präsentierten Jahrgänge verhieß einen denkwürdigen Abend, vorgestellt wurden Bordelaiser Edelkreszenzen aus den Jahren 1945 bis 1990. In blinder Verkostung trafen stets zwei Legenden aufeinander, die Juroren hatten die überaus delikate Aufgabe jeweils einem der beiden Kandidaten ihren Vorzug zu geben. Nach dem Aperitif mit Champagne Dom Perignon 2006 und Hirtzberger Riesling Smaragd Ried Singerriedel 2015 wurde die Probe vom Jahrgang 1945 eröffnet. Die erlesene Ouverture bot eine Flasche Mouton-Rothschild 1945 (Flaschen-Nr. 44.200), eine der wenigen noch erhaltenen Originalbouteillen dieses sagenumwobenen Weines aus den Tagen des Kriegsendes. Ein sehr später Frost in der Nacht des 2. Mai hatte die spätere Ernte sehr konzentriert und limitiert ausfallen lassen, nach einem heißen Sommer und kühlen Augustnächten konnte die Ernte – ähnlich wie 1982 – recht früh beginnen. Gute Weine gab es auf beiden Seiten der Gironde, die besten im Médoc.
Die Legende des Jahrgangs schlechthin: Mouton-Rothschild, von dem heute fast nur mehr gefälschte Weine im Umlauf sind, die im besten Fall an Martha’s Vineyard von Joe Heitz im Napa Valley erinnern. Unnachahmlich ist jedoch die Aromatik des Originals und diese brachte der präsentierte Weine ganz ohne Zweifel mit. Ein Bukett das an Florentiner und Aranzini erinnert. Allerdings zeigte der über 70 Jahre alte Mouton bereits deutlich sein Alter. Schon die helle, dezent getrübte Farbe ließ erahnen, dass man es mit einer Weinantiquität zu tun hat. Dieser Wein war in Würde ergraut und vermittelte dennoch noch einiges von seiner einstigen Kraft und Extraktsüße. Interessant zu verkosten, aber nicht mehr zu bewerten. 

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Ihm zur Seite gestellt war eine Magnum von Château Talbot 1945, dem würzigen Grand Cru Classé aus St. Julien. Diese Flasche wurde am Weingut rekonditioniert, überprüft und vor etwa zwanzig Jahren mit einem neuen Kork versehen. Dieser Talbot zeigt sich in wahrer Topform. Er verfügte über eine lebendige, klare Farbe, feine Beerenfrucht, finessenreiche Struktur und feine Süße im Abgang, in dieser Verfassung hat der Wein sicher noch einige Jahre vor sich. 
Im zweiten Flight stand der Jahrgang 1947 auf dem Programm. Das war in Bordeaux ein knochentrockener, heißer Sommer mit einem tropischen August der für Wasserstress sorgte. Zum Glück waren die  Weingärten großteils bereits in einem besseren Zustand als noch 1945 und brachten im Idealfall dank hoher Zuckergrade mächtige Wein hervor. Oft war es nötig, Eisblöcke in die Gärständer zu werfen, um zu hohe Gärtemperaturen zu verhindern. Besonders große Weine gelangen mit Merlot und Cabernet Franc. Legendär sind das Pomerol-Trio Lafleur, Pétrus und L’Eglise-Clinet, und aus St. Emilon Cheval Blanc. 1947 Cheval Blanc wurde in der Probe präsentiert, eine belgische Händlerabfüllung des legendären Hauses Vandermeulen in Ostende. Der Wein präsentierte sich altersgemäß und perfekt: süß, verführerisch, heute eher zart strukturiert, von großem aromatischen Tiefgang geprägt und delikat. Ihm zur Seite kam ein Château Montrose 1947 aus St. Éstèphe, der ebenfalls einen höheren Merlot-Anteil in der Cuvée aufweist und sich feinwürzig und sehr lebendig zeigte und neben dem Giganten bestens bestehen konnte.

Ein Gipfeltreffen

Der dritte Durchgang brachte das Aufeinandertreffen zweier sehr spannender Weine. Aus dem Jahrgang 1950, einem tollen heißen Jahrgang, indem erst Regen zur Erntezeit etwas Abkühlung besorgte kam der exquisite Château Lafleur, der mit einer faszinierenden Tiefe aufzeigte, was dieses kleine Topterroir im Optimalfall zu bieten hat. Ein süßer, straffer 100-Punkte Wein von Scheitel bis Sohle, ausgestattet mit einer unglaublichen Länge, zarten schwarzen Trüffelaromen und enormer Komplexität. Nicht leicht für den nicht minder eindrucksvollen Mouton-Rothschild 1953, geboren in einem sehr eleganten Jahr, dass speziell im Pauillac für reife, vielschichtige Cabernet Sauvignon-Trauben sorgte. Der Mouton gilt zu Recht als der Wein des Jahrgangs, leider ist er am Markt so gut wie nie zu finden.
Flight Nummer Vier war ein Gipfeltreffen der Geschwister Haut-Brion (Magnum) und La Mission Haut-Brion aus dem Top-Jahrgang 1961.  Beide Weine sind wahre Monumente, leider war Haut-Brion von einem zarten Korkfehler leicht beeinträchtig, während sich der mineralisch-würzige La Mission im Glas immer mehr zur Topform ausbreitete. Der Jahrgang 1961 profitierte allgemein qualitativ von einem späten Frost, die Erträge fielen extrem klein aus, 10 Hektoliter pro Hektar waren die Norm. Die allerbesten Weine kommen aus St. Julien und Pauillac, in Margaux ist Château Palmer legendär. Kurzentschlossen wurde also ein dritter 1961er ins Rennen geschickt und diese Flasche erwies sich als echter Glücksgriff: 1961 Château Gruaud-Larose aus St. Julien spielte groß auf und zeigte einmal mehr, dass es sich auch bei den für ihren eher rustikaleren Stil bekannten Weinen lohnt, ihnen die entsprechende Reifezeit zu gönnen. In der Nase mit rauchig unterlegten Lakritzenoten ausgestattet, folgte ein stoffiger Gaumen, ein perfekt ausgewogener Wein, der sogar als etwas opulent bezeichnet werden kann. So hat dieser 1961er noch einige Jahre vor sich.

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Mit Durchgang Fünf erfolgte der Sprung in die großen Achtziger Jahre. Und hier zeigte sich wieder einmal die große Klasse der Pauillac-Weine aus 1982. Das Jahr hatte mit guter Blüte begonnen, sah einen extrem heißen Juli und einen eher kühleren August, drei Wochen Hitze folgten im September, es gab dazwischen aber immer etwas Regen und so fielen die Cabernets speziell im nördlichen Médoc exzellent aus. In Pauillac und St. Éstèphe waren die Bedingungen vom Start bis ins Ziel optimal, die Weine sind heute berühmt für ihre mächtigen Tannine, die sie weit zu tragen im Stande sind. Wenn dann aus diesem Jahr Château Latour und Château Mouton-Rothschild sich nebeneinander die Ehre geben, wird es auch für erfahrene Verkoster schwer, sich zu entscheiden.
Latour zeigte sich in seiner ganzen extraktsüßen Grandezza und doch: an diesem Abend stahl ihm der Mouton-Rothschild die Show. Dieser Rotwein befindet sich in einer derartigen Topverfassung, die ganz einfach niemanden kalt lassen kann. Faszinierend bereits das delikate Bukett mit den typischen Nuancen von Edelholz, Minze und Cassis, dann breitet sich der Wein am Gaumen aus,  und bezaubert mit seiner unglaublichen Jugendlichkeit und Eleganz. Parker hatte schon Recht, wenn er sagte: wer diesen Wein trinkt, versteht dank dieser Komplexität und Brillianz, warum die Hierachie der Premiers Grands Crus schon ihre Richtigkeit hat. (Umso bemerkenswerter, dass es bis 1973 dauern musste, bis dass man per Gesetzesbeschluss Mouton-Rothschild vom Deuxième Grand Cru Classé zum Erstgewächs promovierte.) Mit diesem Wein ist diese Diskussion jedenfalls endgültig außer Streit gestellt.

Genusshöhepunkte

Auch das Jahr 1989 war von enormer Hitze und einem sehr frühen Erntebeginn geprägt, seit 1893 hatte die Weinlese nicht so früh begonnen. Die Merlots erreichten teilweise Alkoholwerte von mehr als 15 Prozent, die Cabernets wurden teilweise zu früh, zwar mit hohen Zuckergraden, aber mit nicht perfekten Tanninen gelesen. Die Topregion des Jahrgangs ist ohne Zweifel Pomerol. Positive Ausnahmen sind aber auch am linken Ufer zu finden und zu jenen gehört neben Pichon-Baron oder Lynch-Bages, auch der  - Merlot sei Dank – Montrose 1989 der in der aktuellen Probe gegen eine Magnum des tollen Haut-Brion 1989 ins Rennen ging. Und Montrose zeigte einmal mehr seine Qualität: schwarzbeerig, würzig und mineralisch, ganz typisch für seine Appellation befindet sich dieser Wein auf einem Genusshöhepunkt. Jedenfalls hat er sich zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten zu seinem Bruder Montrose 1990 entwickelt – und bietet für jene Weinfreunde, die nicht so sehr auf die animalischen Nuancen des Zweiteren stehen, ein echte Alternative auf allerhöchstem Niveau.
Als kleine Unterbrechung und zum Erfrischen der Gaumen wurden in einer kurzen Pause zwei exquisite junge Burgunder von der Domaine de la Romanée-Conti getrunken. Zunächst der Richebourg aus 2010, vibrierend und vielschichtig, mit den typischen dunkelbeerige Nuancen und sehr vielversprechend, dann der Romanée-Conti aus dem Jahrgang 2011, der bei aller jugendlichen Zurückhaltung schon andeutete, was man zukünftig erwarten darf. Es ist ein zarter Wein, getragen von einer finessenreichen Struktur, seidig und facettenreich, der bereits heute mit großem Genuss probiert werden kann und doch über die nächsten ein, zwei Dekaden noch zulegen wird.

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Vier Allzeit-Legenden des Jahres 1990 setzten den genussreichen Schlusspunkt der Bordeauxbewertungsprobe. Es war einmal mehr ein sehr heißes und zugleich sehr trockenes Jahr, die Trauben bildeten sehr kleine Beeren, was zu konzentrierten und tanninreichen Weinen führte. Im September kamen immer wieder Niederschläge, doch im Vergleich zum Vorjahr behielten die Winzer die Nerven und ernteten im Oktober tolle Cabernets, insgesamt fiel die Erntemenge sehr gut aus. Tolle Weine gab es in allen Ecken, am rechten Ufer kann man jeden St. Emilion nehmen, in Pomerol brillierten L’Evangile und La Conseillante, aber auch am linken Ufer gibt es abseits der ganz großen Namen speziell in Pauillac erstrebenswerte Weine wie Lynch-Bages, Baron oder Grand-Puy-Lacoste.
Die Gäste der Falstaff-Raritätenprobe erlebten diesmal das Duell Cheval-Blanc und Château Margaux, wobei in dieser Paarung der Margaux klar favorisiert wurde, was wenig verwundert, weil sich dieses Erstgewächs nun schon seit Jahren in Topform befindet und die ewige Jugend gepachtet zu haben scheint. Im zweiten 90er-Match traf Pétrus auf Haut-Brion, hier konnten sich die Verkoster der Magie des unverwechselbaren Pomerols nicht entziehen. Jeder dieser vier Weine könnte auf sich gestellt gut einen Abend mit Gesprächen füllen, so aber entschied auch die aktuelle Tagesform und da konnten einfach der Margaux und Pétrus noch mehr überzeugen. Im Finale des Menüs kam zum Dessert noch Château d’Yquem 1990 zum Einsatz, während das Käseassortiment von einem perfekt entwickelten 1963er Vintage Port aus dem Hause Taylor’s begleitet wurde.
Am Ende wurden aus den Resultaten der einzelnen Verkoster jene Weine ermittelt, die an diesem Abend besonders gut gefallen hatten. Den ersten Platz belegte mit klarem Vorsprung der Mouton-Rothschild 1982, auf Platz zwei landete Lafleur 1950 ganz knapp vor Pétrus 1990. Dann folgten punktegleich Haut Brion 1989 und Margaux 1990, Platz 6 belegte der damit höchst erfolgreiche Einspringer Gruaud –Larose 1961.

© Peter Moser
Peter Moser
Peter Moser
Wein-Chefredakteur Österreich
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