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Was ist dran an der Histamin-Hysterie?

Übelkeit, Migräne, rinnender Nase und Hautrötungen – Das Spektrum der Symptome einer Histaminintoleranz ist breit. Doch was ist dran am Histamin?

Bedenken bei diesem Menü? Cremige Tomatensuppe mit Muscheln, Krabben und Crevetten, dazu ein Gläschen Champagner. Thunfisch-Carpaccio mit Zitrusfrüchten und ein paar Schluck Riesling. Morchel-Steinpilz-Lasagne, dazu ein Pinot Noir. Dry-aged Steak mit schwarzen Bohnen und Spinat inklusive einer kräftigen Cuvée aus Cabernet Sauvignon und Merlot. Zum Abschluss eine feine Auswahl gereifter Käsesorten mit Birnen und Nüssen, danach noch ein kleiner flüs­siger Schokoladenkuchen mit frischen Erdbeeren. Dazu eine Beerenauslese. Ein Espresso zur Verdauung und ein kleiner Grappa runden das Ganze ab. Was den einen unbeschwert mundet, kann anderen zum Verhängnis werden. Die Nase fängt zu rinnen an, der Puls steigt, das Herz rast, rote Pusteln zeigen sich im Gesicht oder auf den Armen, womöglich kommt es zu Schwindel oder der Magen revoltiert. Liegt es am Alkohol, am rohen Fisch, an den Pilzen oder schlicht an der Menge?
Freilich, nicht jeder ist an mehrgängige Menüs gewöhnt und mitunter überfordert. Doch treten derartige Symptome auf, ist es gut möglich, dass Histamin der Übeltäter ist und nicht oder nicht rasch genug abgebaut werden kann. Das passiert bei solchen Kombinationen mitunter leichter als ge­dacht. Denn Histamin ist in geringen Mengen in nahezu jedem Nahrungsmittel enthalten und eine hochpotente Substanz. Das kennt jeder, der im Garten oder beim Waldspaziergang schon einmal versehentlich an Brennnesseln angekommen ist. Die Pflanzenhaare der Brennnessel sind voll davon und die stark juckende Hautreaktion ist nichts anderes als eine Histaminreaktion. Mit den rund vier Milligramm Histamin, die über Speisen und Getränke täglich aufgenommen werden, kommt der Körper normalerweise gut zurecht. Schließlich baut das Enzym Diaminoxidase (DAO) bereits im Darm Histamin ab und »befreit« den Körper davon.

Die Menge macht's

Gesunde Menschen bekommen erst Probleme, wenn es sich um überaus große Histaminmengen handelt, empfindliche Personen dagegen merken bereits bei geringen Mengen erste Symptome. Ein angeborener Mangel an Diaminoxidase oder ein akuter Magen-Darm-Infekt können zum Beispiel die Aktivität des Enzyms verringern. Dia­minoxidase kann aber auch von anderen Substanzen in ihrer Wirkung eingeschränkt werden. So hemmen Medikamente wie manche Schlaf- und Schmerzmittel, aber auch Alkohol die Aktivität. Andere biogene Amine in Ananas, Birne, Banane, Grapefruit, Orange, Himbeere oder Kiwi sowie in Sojaprodukten, Linsen oder Bohnen benötigen das Enzym ebenfalls zum Abbau. Werden sie gleichzeitig mit histaminreichen Lebensmitteln gegessen, kommt es zu einer Konkurrenzsituation, in der Histamin das Nachsehen hat. Dann kann es mitunter zu lange dauern, bis es unschädlich gemacht wird, und Symptome zeigen sich. Lebensmittel, die kein Histamin enthalten, können also ebenso Probleme machen, weil sie andere biogene Amine enthalten. Von einer Kombination ist empfindlichen Menschen daher abzuraten.
In der Top-Liga der Histaminquellen rangieren lange gelagerte und gereifte Lebensmittel und Getränke. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Produkte, die mithilfe von Bakterien- und Hefekulturen hergestellt werden: Salami, Rohschinken, Speck, Sauerkraut, gereifter Käse, Sojasauce, Bier, Wein, Sekt und Champagner. Weil Histamin beim Abbau von Eiweiß entsteht, ist Fisch, wenn er nicht fangfrisch oder tiefgefroren ist, ebenfalls ein Kandidat für hohe Belastungswerte.
Am häufigsten werden als Auslöser für Beschwerden jedoch alkoholische Getränke genannt – obwohl sie im Vergleich zu anderen Lebensmitteln geringere Histaminmengen enthalten. Doch Alkohol kann die befürchtete Histaminreaktion gleich auf mehreren Ebenen in Gang setzen: Über Flüssigkeiten aufgenommen, wirkt das Histamin als Turbo. Zudem hemmen Alkohol und sein Abbauprodukt Acetaldehyd die Arbeit der Diaminoxidase, des abbauenden Enzyms. Darüber hinaus steigert Alkohol die Durchlässigkeit der Darmwand. Dadurch gelangt auch Histamin aus dem Verdauungstrakt in den Körper und eine normalerweise unterschwellige Dosis kann bereits Beschwerden verursachen – scharfe Gewürze tun das übrigens auch. Zu guter Letzt wirkt Alkohol als Histaminliberator. Das heißt, er fördert das Freisetzen von körpereigenem Histamin aus den Speicherzellen und führt damit zu einer weiteren Histaminbelastung. Auch Erdbeeren, Schokolade, Walnüsse und Cashewkerne sowie Zitrusfrüchte, Meeresfrüchte, Tomaten und Glutamat zählen zu dieser Kategorie.

© Gina Mueller

Verzicht auf Zeit

Beim Verdacht, histaminintolerant zu sein, führt der sicherste Weg, Gewissheit zu erlangen, über eine vierwöchige Eliminationsdiät: Sämtliche histaminreichen und -freisetzenden Lebensmittel sowie Getränke werden in dieser Zeit gemieden. Bessern sich die Symptome, liegt höchstwahrscheinlich eine Intoleranz vor. Langfristig wird dann zu einer histaminarmen Diät geraten. Abhilfe gegen Beschwerden schaffen zusätzlich oder alternativ auch Antihistaminika. Sogenannte DAO-Kapseln sorgen dann dafür, dass Genießer trotzdem die kulinarische Vielfalt unbeschwert auskosten können.

Bei Verdacht auf Histaminintoleranz verschafft eine Eliminationsdiät Klarheit. Verschwinden die Symptome, liegt eine Intoleranz vor. Wer trotzdem nicht auf Rotwein verzichten will, kann ab und zu mit Hilfe von Antihistamin-Kapseln weiter unbeschwert genießen.

Screening-Fragen

  • Häufiges Kopfweh oder Migräne?
  • Unverträglichkeit von Rotwein und anderen alkoholischen Getränken?
  • Unverträglichkeit von Hartkäse, Rohschinken, Salami, Tomaten, Ketchup sowie Schokolade?
  • Magen- und Darmstörungen, insbesondere Durchfälle, über längere Zeit?
  • Niedriger Blutdruck?
  • Erhöhter Pulsschlag oder Herzrythmusstörungen?
  • Frauen: Schmerzen am ersten Tag der Menstruation?

Antwortet man auf mindestens zwei Fragen mit Ja, ist der Verdacht auf eine Histaminabbaustörung gegeben.

Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2018

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Marlies Gruber
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