© Per-Anders Jörgensen

Was ist Culinary Nation Branding?

Was steckt dahinter, eine Nation zur kulinarischen Berühmtheit zu machen? Die Konsulenten und Herausgeber des schwedischen »Fool Magazine«, Lotta und P.-A. Jörgensen im Interview.

Plötzlich pilgerten alle nach Schweden. Oder nach Dänemark. Weil man plötzlich dort, wo man bisher außer Schweinen, Flechten und Smørrebrød kulinarische Ödnis vermutete, so gut isst wie nirgendwo sonst. Aus der ganzen Welt landen neugierige Genussmenschen in Skandinavien. Wie hat man das dort bloß gemacht? Antworten geben Lotta und Per-Anders Jörgensen, Herausgeber des schwedischen »Fool Magazine«. 
Gault&Millau Culinary Nation Branding – was ist das, und wofür ist es gut?
Lotta Jörgensen Kurz gefasst, geht es um die Traditionen und das kulinarische Erbe eines Landes.
Per-Anders Jörgensen Es geht darum, herauszufinden, was an einem Land einzig-artig ist, und der Welt davon zu erzählen. Das Interesse an den Dingen zu schüren, die dieses Land besonders machen, die es woanders nicht gibt. Österreich ist in dieser Hinsicht gesegnet, weil es hier auch Wein gibt. Wenn ein Land Wein produziert, hat es schon von Haus aus eine tiefere Essens-kultur. Die Weinproduktion in Österreich reicht schon sehr lange zurück, während wir im Norden uns bei diesem Thema etwas mehr abmühen müssen. Wir hatten früher keine Essenskultur in diesem Sinne, wir aßen im Wesentlichen, um zu überleben. Darin hat Österreich einen von vielen Vorteilen, es gibt so viele unterschiedliche Variationen von regionalen und traditionellen Gerichten, die ein wirklich interessantes kulinarisches Erbe bilden.
In Schweden erfahren Sie eine interessante und beeindruckende Entwicklung des ­internationalen kulinarischen Ansehens. Wie ist das passiert, und wer stand dahinter?
Lotta Das war die schwedische Regierung, die für ein internationales Branding für vier Jahre Zuschüsse verteilte. Dabei ging es aber nicht nur um die Köche, sondern auch um kleine Produzenten, die mit diesem Geld ihre Träume verwirklichen konnten und auch eine Chance bekamen, in den großen Restaurants präsent zu sein.
Per-anders Das lief auf zwei unterschied­lichen Ebenen ab. Zum einen national, um das Bewusstsein im Land selbst zu stärken und es den Menschen zu ermöglichen, Betriebe zu führen, zum anderen aber auch international, um Journalisten und Touristen anzuziehen und das Land für sie interessanter zu machen.
Welche Rolle spielt die Politik? Stichwort: Gastrodiplomacy?
Per-Anders Politiker können nicht viel mehr tun, als Katalysatoren zu sein. Sie können helfen, aber zuerst braucht man das Rohmaterial. Man braucht Menschen, das Können, die Energie und die Bewegung dafür, weil es sehr schwierig ist, etwas alleine durch Politik zu kreieren.
Lotta Gleichzeitig kann man nicht ohne die Politiker auf einem hohen Level mit Kulinarik arbeiten. Man muss nur nach Peru oder Mexiko blicken – es muss auch die Lebensmittelproduktion innerhalb des Landes gestützt werden. Das muss die Politik übernehmen.

Lotta und Per-Anders Jörgensen, Herausgeber des »Fool Magazine« und Gründer der Fool Agency. Sie ist Creative Director, er Fotograf. Gemeinsam geben sie das »Fool Magazine« heraus, das bereits nach Erscheinen der allerersten Ausgabe 2012 rund um den Globus hoch gelobt wurde. www.fool.se
© Peter Frennesson
Lotta und Per-Anders Jörgensen, Herausgeber des »Fool Magazine« und Gründer der Fool Agency. Sie ist Creative Director, er Fotograf. Gemeinsam geben sie das »Fool Magazine« heraus, das bereits nach Erscheinen der allerersten Ausgabe 2012 rund um den Globus hoch gelobt wurde. www.fool.se

Peru oder Mexiko sind keine geborenen Kulinarik-Ikonen, aber heute beliebte Destinationen für Foodies aus aller Welt. Wie haben diese Länder das geschafft?
Per-Anders Das können wir nicht wirklich beurteilen, weil wir in deren Entwicklung nicht involviert waren. Aber ich denke, dass es ohnehin keinen übergreifenden Masterplan gibt. Jedes Land muss seinen eigenen Weg ­finden, das auf seine eigene Art und Weise machen, Ideen entwickeln und die eigenen Fähigkeiten nutzen. Es ist wichtiger, mit dem Herzen zu entscheiden, anstatt sich an irgendeinen Plan zu halten. Je mehr Länder zu kulinarischen Destinationen werden wollen, ­desto mehr wiederholt man sich. Stattdessen sollte man aber einzigartig sein.
Lotta Gleichzeitig wird es für Länder immer interessanter, sich auch als kulinarische Destination für Reisende zu positionieren, da hier auch ein Geschäft dahintersteckt. Also ist es natürlich für jedes Land wichtig, das Thema Kulinarik voranzubringen und nicht etwa nur Bergsteigen.
Sollten wir uns in Österreich also mehr auf die rustikale, traditionelle Küche konzentrieren? Ist das etwas, wofür man nach Österreich kommt?
Per-Anders Österreich hat eine tiefgreifende Essenskultur, die von Wirtshäusern über Buschenschänken bis zu Fine-Dining-Restaurants reicht. Es ist auch wichtig, Restaurants nicht zu vergessen, die zwar eher einfach sind, aber hochwertiges und gutes Essen bieten. Nicht jeder Tourist will oder kann sich hochpreisige Restaurants leisten. Es ist von großer Bedeutung, das gesamte Spektrum aufzuzeigen, das die österreichische Küche zu bieten hat. Es gibt so viel Verschiedenes, aus dem man wählen kann. 
Individuelle Kochkunst ist sehr wichtig, um an der Spitze zu stehen. Wie schaffen es kreative Köche, ein gemeinsames Bild der österreichischen Küche zu formen, das auch international vermarktet werden kann? Was kann der gemeinsame Nenner sein?
Lotta Ich denke, dass Aushängeschilder wie zum Beispiel René Redzepi in Kopen-hagen oder Magnus Nilsson in Schweden eine große Rolle spielen. Es ist wichtig, dass die Köche sich verbünden, eine gemeinsame Sprache sprechen und der gleichen Auffassung sind. Das müssen sie aber für sich selbst entscheiden. Natürlich brauchen die Köche eventuell etwas Hilfe, aber es ist vor allem wichtig, dass sie sich für ein gemeinsames Marketing zusammentun.
Per-Anders Sie müssen natürlich bei allem sie selbst bleiben. Sobald es nur darum geht, etwas nur zu tun, um berühmt zu werden und sich dem anzupassen, wovon man ausgeht, dass es die Gäste wollen, werden sie irgendwann ihre Relevanz verlieren. Man sollte sich nie unterwerfen, nur weil man gefallen möchte.
Wie wichtig sind Restaurantführer und Rezensionen bei dieser Entwicklung? Was können wir tun, um kulinarische Inhalte zu transportieren und Österreich international interessanter zu machen?
Per-Anders Wir müssen damit weiter-machen, zukünftige Stars der Branche emporzuheben und nicht nur großen Namen mediale Aufmerksamkeit zu schenken, die diese gar nicht mehr benötigen. Und versuchen, neue Stars zu finden wie auch jenen zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen, die sich schwertun, sich zu präsentieren.

Erschienen in
Kulinarisches Erbe Österreich

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Martina Hohenlohe
Autor
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