Jeder, der sich an den letzten Schnupfen erinnert, weiß: Die Nase spielt eine große Rolle beim Schmecken!

Jeder, der sich an den letzten Schnupfen erinnert, weiß: Die Nase spielt eine große Rolle beim Schmecken!
© Gina Müller

Was beim Schmecken in der Nase passiert

Der Geschmack ist eine komplexe Sache und die Verarbeitung der Riechsignale erst recht. Die Wissenschaft erklärt die Phänomene.

Reden wir vom Geschmack, egal ob von Nüssen, Tomaten, Erdbeeren, Steinpilzen oder Käse, ist meistens doch nicht nur der Geschmack gemeint. Denn der ist auf die fünf Grundgeschmacksarten süß, sauer, salzig, bitter und umami reduziert, die die Geschmacksknospen auf der Zunge erkennen. Wie wir aber Geschmack in seiner vollen Komplexität wahrnehmen, ist neben der Temperatur, der Textur und dem Empfinden von zum Beispiel scharf oder prickelnd wesentlich von den Aromen abhängig. Und zwar nicht nur durch die Nase, sondern beim Essen und Trinken über das sogenannte retronasale Riechen – das Riechen von hinten. Dabei gelangen die Duftstoffe des gekauten, eingespeichelten Speise­breis vor allem nach dem Schlucken beim Ausatmen von der Mundhöhle über den Rachen bis zur Riechschleimhaut. Dort werden sie beim Riechen von hinten allerdings anders bewertet als beim Riechen durch die Nasenlöcher, nämlich nicht so streng. Das wird auch als das Limburger-Cheese-Phänomen bezeichnet: Käse, der über die Nase beschnüffelt unangenehm riecht, kann retronasal als ganz gut wahrgenommen werden. Ein Grund dafür ist, dass das Erwärmen im Mund, das Zerkauen und Einspeicheln die Aromastoffzusammensetzung im Vergleich verändert.
Außerdem lässt sich das retronasale ­Riechen durch intensive Mund- und Kaubewegungen wie beim Weinbeißen und durch mehrfaches Schlucken kleiner Mengen deutlich verstärken. Die flüchtigen Duftstoffe vermitteln über den retronasalen Weg also einen »gustatorischen Geruch«. Dessen Wahrnehmung kann auch von der Speisentemperatur beeinflusst werden: Ist etwas extrem heiß oder kalt, wird alles andere rundherum vergessen. So schmecken wir bei einem Eis zu Beginn das Aroma nicht, wir spüren nur tiefgekühlt kalt. Mit zunehmender Erwärmung im Mund erschließt sich dann das Aroma. Daher lassen sich mit Eis weitere »Geschmäcker« vorerst blockieren. Unterschiedlich temperierte Komponenten eines Gerichts erzielen also spielerische Effekte beim Essen, und üblicherweise verwechseln wir den Geruch mit dem Geschmack. Wie relevant das Riechen 
von hinten ist, lässt sich auch leicht bewusst ­testen. Man braucht sich nur die Nase zuhalten und beispielsweise ein Menthol-Bonbon lutschen oder eine Nuss kauen. Man wird nicht viel schmecken. Öffnet man dann die Nase, wird man nach dem Schlucken und Ein- und Ausatmen die eigentlichen Aromen registrieren. Es 
kommt eben erst mit dem Riechen der 
volle »Geschmack« zur Geltung. Denn 
die gemeinsame Bewertung aller Reize im Gehirn führt zur Illusion, dass sowohl Duftstoffe als auch gustatorische Komponenten von Zunge und Gaumen erfasst werden.

Schmecken können wir viel – 
allein, uns fehlen die Worte

Im Gegensatz zum Geschmack detektiert der Geruchssinn nicht wasserlösliche, sondern flüchtige chemische Stoffe. Die in der Atemluft vorkommenden Substanzen gelangen über die Nasenhöhle zum Nasendach. Die dort vereinten Sinneszellen schicken ein elektrisches Signal zum Riechkolben, einem Nervengeflecht hinter der Stirnhöhle. Von dort werden die olfaktorischen Informationen in unterschiedliche Gehirnareale verteilt. Erste Verarbeitungsschritte erfolgen im limbischen System, das für die emotionale und hedonische Einfärbung, die Sprach­ferne und den Erlebnisbezug von Gerüchen verantwortlich ist. Bevor ein Aroma benannt werden kann, ist der Gefühlsgehalt längst klar und auch, in welcher Situation ein ähnlicher Geruch schon einmal wahr­genommen wurde. Auch werden potenzielle Gefahrendüfte und Ekelhaftigkeit sofort bewertet. Nicht umsonst heißt es »den (faulen) Braten riechen«, also einen Verdacht haben oder Gefahr wittern. Die Redewendung bezog sich früher darauf, dass verdorbenes Fleisch verkocht wurde. Schnelle, leistungsstarke und unbewusste Verarbeitungsmechanismen kommen beim Riechen zum Zug, weil es unmittelbar mit dem Atmen verbunden ist. Müssten wir jeden der 15.000–30.000 Atemzüge bewusst verarbeiten und verbal beurteilen, wäre unser Gehirn massiv überfordert. Deswegen fällt es schwer, Geruchswahrnehmungen treffend zu beschreiben.

Bevor ein Aroma benannt werden kann, ist 
der Gefühlsgehalt längst klar. Ebenso werden potenzielle Gefahrendüfte und Ekelhaftigkeit sofort bewertet.
© Gina Müller
Bevor ein Aroma benannt werden kann, ist 
der Gefühlsgehalt längst klar. Ebenso werden potenzielle Gefahrendüfte und Ekelhaftigkeit sofort bewertet.

Mehr Süßgeschmack

Der Geruch von Speisen kann auch die Wahrnehmung des Grundgeschmacks beeinflussen. Gut dokumentiert ist das zum Beispiel für die empfundene Süße. So verstärkt der Geruch von Erdbeeren, Pfirsich, Zitronen, Orangen, Himbeeren oder Kirschen die süße Geschmackswahrnehmung von Saccharose, dem normalen Haushaltszucker. Beim Duft von Mango, Litschi oder Pflaumen lässt sich dagegen kein Zucker einsparen.

Optische Geruchserwartung

Weil die Riechinformationen im Gehirn weit verbreitet werden, kommt es auch zur Verknüpfung mit anderen Sinnesempfindungen und Erinnerungen. So spricht man vom visuellen Flavour – dem Umstand, dass Farben mit Geschmacksarten und Gerüchen verbunden werden. Fast selbstverständlich gehen wir davon aus, dass etwa rosarote Lebensmittel süß schmecken und süßlich riechen und gelbe Produkte sauer schmecken und nach Zitrone duften. Wir erwarten zu »schmecken«, was wir sehen. Und lassen uns doch auch gerne über­raschen, wenn sich die vermeintlich süße Haselnusskugel als Gänseleberpraline entpuppt.


Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2019

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Marlies Gruber
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