Vorweihnachtliche Bordeauxfreuden



Die etwas beschaulichere Zeit vor den Feiertagen wurde auch heuer wieder genutzt, um eine Runde von versierten Bordeauxfreunden zu einer Verkostung von ausgewählten Bordeaux-Legenden zu versammeln. Sechszehn edle Kreszenzen, allesamt aus Spitzenjahrgängen wurden blind probiert und anschließend diskutiert, um die Güte der Weine unabhängig von Namen, Preis oder sonstigen Vorurteilen würdigen zu können. Diese Eindrücke möchten wir ihnen nicht vorenthalten.

Den Anfang machte ein Paar aus 1955, ein Jahr mit ideale Wetterbedingungen, heißem Juni, sonnigen Juli und August und etwas Regen im September, der sich eher positiv als negativ auswirkte. 1955 war ein ausgezeichnetes Jahr mit reicher Ernte, ausgestattet mit festen Tanninen und feiner Säurestruktur, die für ein langes Leben der Weine sorgen. Der Haut-Brion (95/100), mit dem die Verkostung begonnen wirde, wies eine auffällig dunkle Farbe auf, präsentierte sich süß und stoffig, mit feinem Schokonussaromen, aber auch einem zarten Schuss Madeira unterlegt. Begleitet von einer recht frischen Säure an Gaumen, zeigt der Premier Cru noch viel Klasse und eine gute Länge. Im zur Seite wurde der 55er Mouton-Rothschild (96/100) gestellt, der ebenfalls mit kräftiger Farbe aufwarten konnte, und sich mit Anklängen von Cassis und Minze recht klar als Pauillac zu erkennen gab. Ein feiner, delikater Wein, der über angenehme Säurestruktur und Mineralik verfügt und auch noch über entsprechende Tanninreserven, um auch in der Einzelflasche noch weitere Jahre Trinkspaß zu garantieren. Im direkten Vergleich diesmal leichte Vorteile für den Mouton-Rothschild, bei Weinen jenseits der 50 Jahre Reife spielt die Flaschenkondition aber eine wesentliche Rolle.

Die nächste Paarung kam aus dem Jahrgang 1959, der generell sehr berechtigt als der erster moderne »Jahrhundertjahrgang« beschrieben wird, wobei seine wahren Stärken im nördlichen Médoc und im Graves liegen. Am rechten Ufer litten die Rebstöcke noch immer an den Nachwirkungen des zerstörerischen Frostjahres 1956. Hier stand ein perfekter Lafite-Rothschild (100), der sich in voller Reife präsentierte. Süß und elegant, mit feinem roten Beerenkonfit im Bukett und auch am Gaumen, rassig strukturiert, mineralisch und finessenreich. Besser kann man sich einen Rotwein dieses Alters kaum vorstellen. Daneben der bereits rar gewordene Margaux 1959 (94/100) mit süßen Anklängen von Rosinen und Dörrobst im Bukett, Nuancen von Kräuterwürze und floralen Elementen, aber schon lange über dem Höhepunkt. Am Gaumen von mittlerer Substanz, mit bereits etwas ausgezehrten Tanninen, ein interessanter Altwein allemal, mit dezentem Zuckerschweif im Nachhall.

Für viele Verkoster war das Duo aus 1961 das Highlight dieser Probe. Hier standen sich Mouton-Rothschild und Latour à Pomerol gegenüber. Frost im Frühjahr 1961 reduzierte die zu erwartende Ernte von Anfang an auf eine Minimum. Perfekte Bedingungen – sehr trocken und heiß – sorgten dann für Spitzenweine in allen Regionen, Süßweine gab es natürlich so gut wie keine. Die Weine haben aufgrund ihrer hohen Reife einen höheren Alkoholwert und waren von Anfang an sehr teuer. Der Mouton (99/100) ist ein köstlicher Wein von fast burgundischer Süße, mit Noten von Kirschlikör und Gewürzen und ist für sich genommen schon ein großartiges Trinkerlebnis. Wäre da nicht ein echter Ausnahmewein daneben aufgeboten worden. Der Latour à Pomerol (100) in einer belgischen Händlerabfüllung von M.G. Lafite & Cie in Brüssel zeigte sich von seiner verschwenderischen Seite. Verführerisch und süß bereits im Bukett, saftige Beerenfrucht, sehr delikat. Kraft- und druckvoll am Gaumen, ungemein jugendlich und mit enormen Charme und Länge ausgestattet. Dieser Wein ist völlig zu Recht eine Legende. Dieses wenig bekannte etwa acht Hektar Château befand sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts im Besitz der Familie Loubat, die 1925 auch Pétrus erwarb. Madame Loubat vererbte 1961 den Besitz an Nichte Lily Lacoste, die ihn an das Haus Moueix verpachtete. Der Jahrgang 1961 wurde also von der Equipe Moueix vinifinziert, die von Jean-Claude Berrouet angeführt wurde. Latour à Pomerol verfügt über zwei unterschiedlich Parzellen. Die größere unweit der Kirche auf tiefgründigen Kies, eine kleiner im Westen auf sandigem Untergrund. Topjahrgänge waren 1945, 1947, 1948, 1959 und natürlich 1961 – dann kam man nie wieder zu diesen Höhen. Normal erzeugt man 3000 Kisten, im Jahr 1961 waren es vielleicht nur 1000.

Der nächste Flight widmete sich dem Jahrgang 1982. Ein warmer trockener Juni sorgte da für eine gute Blüte, und sicherte so bereits eine reiche Ernte. Der Juli war extrem heiß, der August eher kühler als üblich, im  September brachten die ersten drei Wochen wieder ziemliche Hitze. So entstanden, einmal abgesehen von den Regionen mit leichten Schotterböden wie Graves und Margaux exzellente, langlebige Weine, speziell das nördliche Médoc glänzt mit grandiosen Weinen. Die Verkostung brachte zwei Titanen aus dem Pauillac in das Glas. Zunächst Pichon-Comtesse (99/100), der Langzeit-Liebling vieler Weinfreunde aus diesem Jahrgang und obwohl schon offiziell über dem Zenith, so gab diese Flasche ihr Bestes. Feine Röstaromen, ein Hauch von Karamell, stoffig und mit angenehmer Kirschenfrucht, feinste Tannine, Brombeeren im Abgang, hier präsentierte sich ganz ohne Frage ein Deuxième Cru auf Augenhöhe mit den Erstgewächsen. Sein Nachbar im Glas wie auch im Weinberg, Château Latour (99/100) war nicht minder gut in Schuss. Dunkle Beeren, feine Edelholzwürze, extraktsüß und enorm lange, präsentierte sich Latour von einer ungewohnt charmanten Seite und unterstrich einmal mehr seine Stellung als primus inter pares.

Im zweiten Teil der Probe, die einem sensationellen, wenngleich noch sehr jugendlichen Burgunder folgte, nämlich dem DRC La Tâche 2007 (98/100), standen dann die Bordeaux aus 1989 und 1990 am Programm.

Denn Auftakt zur zweiten Runde machten hier die Geschwister Haut-Brion (100) und La Mission Haut-Brion (99/100) aus dem Jahr 1989. 1989 ist ein sowohl von enormer Hitze, aber auch von Niederschlägen gekennzeichneter Spitzenjahrgang. Die Merlots konnten bereits in der ersten Septemberwoche in perfekten Zustand, festen Tanninen und mit Alkoholwerten von bis zu 15 Prozent geerntet werden, für die Cabernets wurde es ab Mitte September kritisch; die Zuckergrade waren bereits hoch, die physiologische Reife der Tannine aber noch nicht gegeben. Speziell in Margaux und im Graves wurde zu früh gelesen, die Folge war eine große Menge an alkoholischen und doch grün wirkenden Weinen.

Der Haut-Brion ist jedoch ein betörender Wein, mit einer würzigen Note aus Velour, Nougat und Kräutern, am Gaumen extraktsüß, mit perfekten Tanninen, kraftvoll und lange, er befindet sich im Moment einfach in bestechender Form. La Mission mit seinen rauchig unterlegten Kirschnoten nicht minder, finessenreich, sehr mineralisch, mit präsentem Tannin, gute Frische, auch dieser große Wein verfügt über Potenzial für weitere Jahrzehnte. Dann folgte eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Paarung. Es traf Lynch-Bages 1989 auf Pétrus 1989. Und der »kleine« Pauillac zeigte einmal mehr, warum ihn so viele Weinkenner bewundern. Überzeugend dunkle Farne, einladende Beerenfrucht, vielschichtig und delikat im Bukett. Kraftvoll, jugendlich und frisch, mit festen würzigen Tanninen ausgestattet, verfügt der Lynch-Bages 1989 (98/100) über großes weiteres Zukunftspotenzial. Mit schwarzer Beerenfrucht und einem Hauch von Trüffeln kündigte sich der Pétrus 1989 (100) im Glas an, ätherisch und facettenreich, mit seinen unnachahmlichen Schokobukett. Am Gaumen sehr jugendlich und elegant, feine Weichsel-Kirschfrucht klingt an, finessenreich und mineralisch mit langem Schokofinish, ein Wein wie Samt und Seide – einfach großes Kino am Gaumen.

Dann folgte ein Finale Furioso mit dem Jahrgang 1990: ein sehr heißer Jahrgang und vor allem sehr trocken im Sommer, der heißeste August seit 1928, die Beeren waren klein und die Schalen dick. Im September gab es immer wieder Gewitter und Niederschläge, was manche Betriebe nervös machte und zu eine zu frühen Ernte verleitete. Wer Geduld bewies und die Cabernets erst im Oktober holte, konnte sich über Topweine freuen. Wie 1989 waren die Erntemengen sehr groß. Die erste der beiden Paarungen brachte zunächst Cheval Blanc 1990 (100) mit seiner ganzen exotischen Würze, dunklen Waldbeeren und Orangenzesten, unterlegt von feinen Röstaromen, am Gaumen finessenreich und delikat, voll Charme und Verführungskraft. Frisch und lange anhaltend, verspricht dieser Wein noch viele Jahre höchsten Trinkvergnügens. Ihm zur Seite stand der ebenfalls legendäre Montrose 1990 (99/100) aus St. Éstèphe. Dunkel und mit seinem markant würzigem Bukett, unterlegt von Schokonoten und einem Hauch edlem Leder, am Gaumen mit saftiger Kirschenfrucht und festem Tannin und seinem extraktsüßen Abgang überzeugt dieser Weine wie eh und je. Im Finish der Probe gaben sich mit Latour und Margaux 1990 zwei weitere Titanen die Ehre. Der Latour (100) blühte mit jeder Minute im Glas mehr auf, noch selten habe ich diesen Wein so erlebt, zunächst würzig-tabakig, fast ein Hauch animalisch, dann immer mehr Schokolade und dunkle Beeren, kraftvoll, mit süßen Tanninen und enormer Länge, präsentiert er sich schließlich in absoluter Höchstform, ein Vin de Garde, wie er im Buche steht. Anders, aber nicht minder beeindruckend, der feminine Margaux 1990 (100), floral unterlegte Nuancen von Kirschen, attraktive Nougatnote unterlegt, vielschichtig und süß. Am Gaumen komplex, fast rotbeerig, feinste Tannine, von einer frischen Säurestruktur getragen, seidig und minutenlang anhaltend, momentan ein echter Höhepunkt in der tollen Karriere dieses großen Weines.

Den Ausklang dieser opulenten, und an Weintitanen reiche Probe bildete ein sehr kultivierter Vintage Port von Ramos Pinto, ein Wein aus der Top-Quinta Bom Retiro und dem Jahrgang 1945 (96/100). Bereits aufgehellt in der Farbe verströmte der Wein eine der Adventzeit angemessene Süße, feine Nuancen von Lakritze und Karamell, zeigte sich am Gaumen harmonisch und mit gut abgepufferter Süße, ein würdiger Schlusspunkt einer Verkostung voller unvergesslicher Weinerlebnisse.

Text von Peter Moser

Peter Moser
Peter Moser
Wein-Chefredakteur Österreich