Vom »Naschmarktkönig« und anderen Geschichten ...

Alexander Hengl, Sprecher des Wiener Marktamts, spricht im Interview über die historische Entwicklung der Wiener Märkte.

FALSTAFF: Wann eröffnete nachweislich der erste Wiener Markt (welcher war das, was gab es dort zu kaufen)?
ALEXANDER HENGL: Grundsätzlich gab es bereits in Vindobona, dem Wien im römischen Reich, einen Markt. Dieser Markt hat allerdings mit den heutigen Märkten nichts zu tun. Tatsächlich muss die Geschichte der Wiener Märkte um das Jahr 1150 begonnen haben. Die zu dieser Zeit erfolgte Verlegung der Babenberger-Residenz nach Wien brachte den entscheidenden Impuls für das Wachsen der bestehenden Ansiedlung. In einer im Jahr 1208 verfassten Schrift wurde erstmals ein »Marckt zu Wienn« erwähnt. Man ist sich einig, dass damit nur der Hohe Markt gemeint sein kann. Dieser allgemein als ältester Markt Wiens angesehene Marktplatz fand im Jahr 1233 als forum altum Erwähnung. Aus Dokumenten des Jahres 1282 geht hervor, dass am Hohen Markt der Fischmarkt der Stadt abgehalten wurde.

Von Beginn des 14. bis ins 15. Jahrhundert gab es auch einen regen Handel mit Brot. Er wurde von Bäckern mit ihren Brottischen im Bereich der heutigen Orientierungsnummern Zehn und Elf durchgeführt. Weitere mittelalterliche Markttätigkeiten am Hohen Markt betrafen den Handel mit tierischem Fett, dem Schmer (rohes Fett) und dem Unschlitt (ausgebranntes Fett), mit Bienenwachs, Textilien und Schuhen. Im Verlauf des 15. Jahrhunderts ging der Verkauf handwerklich angefertigter Gegenstände immer mehr zurück. Die Handwerker gingen dazu über, die von ihnen hergestellten Gegenstände in ihren eigenen Werkstätten zum Verkauf anzubieten.

Was gab es früher auf den Märkte zu kaufen? Welche Besonderheiten gab es?
Auf Märkten gab es schon immer Lebensmittel und andere Waren zu kaufen. Früher war dies von Markt zu Markt unterschiedlich. Es gab keine Märkte, welche wie heute ein breites Sortiment führten. Märkte waren auf gewisse Warengruppen beschränkt. Beispielsweise war der Hohe Markt lange Zeit ein reiner Fischmarkt. In der Straße »Kohlmarkt« wurde auf einem Markt Brennholz verkauft. Oder in der Straße »Tuchlauben« Tücher. Somit musste man früher für den täglichen Einkauf mehrere Märkte abklappern.

Welche Reglements gab es?
Damals wie heute gab es bereits eine Marktordnung. Diese Marktordnung regelte die Marktzeiten, die Örtlichkeit der Märkte und auch Übertretungen. Damals gab es neben Freiheitsstrafen und Geldstrafen, welche auch heute bei Übertretungen vom Lebensmittelrecht möglich sind, auch andere Strafen: Stellen an den Pranger, Stadtverweis, Bäckerschupfen aber auch das Zur-Verfügung-Stellen von Steinen für die Stadtbefestigung.

Welche Epoche kann als die Hochzeit der Wiener Märkte bezeichnet werden?
Märkte waren jahrhundertelang die einzige Möglichkeit, Lebensmittel und sonstige Waren einzukaufen. Erst mit dem Beginn der Supermärkte, so rund in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, kam eine große Konkurrenz auf die Märkte zu was leider zu einigen Marktschließungen aufgrund fehlender Nachfrage führte.

Wer waren die KundInnen von damals?
Als KundInnen wurden Adelige, Geistliche, Bürgerinnen und Bürger und auch »andere Menschen«, also solche, welche nicht den BürgerInnenstatus hatten, verzeichnet. Die Einkäufe der unterschiedlichen »Kundenschichten« waren auch zeitlich getrennt und wurde mittels Marktfahne (je nach Höhe der Fahne) angezeigt.

Gibt es Parallelen zwischen dem damaligen und dem heutigen Marktleben?
Auf alle Fälle. Damals wie heute waren die Märkte ein buntes Treiben mit MarktstandlerInnen von der ganzen Welt. Man darf ja nicht vergessen: Wien war lange Zeit die Hauptstadt eines riesigen Reichs. Somit zog diese Stadt schon immer unterschiedliche Bevölkerungsgruppen an. Gerade diese zugewanderten Bevölkerungsgruppen bringen ihre Spezialitäten mit nach Wien, wo »fremde« Lebensmittel immer sehr stark angenommen wurden.

Gab es im Laufe der Geschichte auch berühmte Marktpersönlichkeiten?
Es ranken sich sehr viele Geschichten um die Märkte in Wien bzw. deren Persönlichkeiten. Um nur zwei zu nennen: Es gab den Naschmarktkönig und die Frau Sopherl.

Der »Naschmarktkönig« hieß Anton Heim und wohnte in der Bärenmühle. Er beschäftigte rund zwanzig Söldner, die den nach Wien fahrenden Bauern schon vor der Stadt auflauerten und ihnen dort die gesamte Ware relativ billig abkauften, um sie dann auf dem Naschmarkt relativ teuer weiter zu verkaufen. Dadurch stieg natürlich die Wut der anderen StandlerInnen auf diese Geschäftsmethoden und im März 1848 war es soweit: der König musste fliehen. Die wütenden WienerInnen stürmten seine Wohnung und schütteten die Vorräte aus, den fliehenden Heim erwischten sie auf der Elisabethbrücke. Nur eine vorbeikommende Militärpatrouille verhinderte, dass Anton Heim zu Tode geprügelt und in den Wienfluss geworfen wurde.

Die Geschichte der Sopherl handelt ebenso am Naschmarkt. Ihren Ursprung hat sie in einer Erzählung Vinzenz Chiavaccis, der die Figur im 19. Jahrhundert erfand. Natürlich: frei erfunden hat er sie sicher nicht, sie wird schon vor ihm auf dem Markt hinter einem Stand gewirkt haben, deswegen wurde sie auch als »Weib vom Stande« bezeichnet. Aber besagtem Chiavacci kommt das Verdienst zu, sie als literarische Figur für die Nachwelt gerettet zu haben. Die Sopherl ist sozusagen das elementare Gegenstück zum »süßen Wiener Madl«: resch, raunzig und rotznasig. Wahrscheinlich war es damals äußerst ratsam, um sie einen großen Bogen zu machen.

Heute erleben die Märkte ja eine Renaissance. Durch das gesteigerte Lebensmittelbewusstsein der Kunden wird wieder vermehrt am Markt eingekauft. Gab es in der Geschichte auch Zeiten, wo es verpönt war, am Markt einzukaufen?
In den 1980er und -90er Jahren war es zwar nicht verpönt aber äußerst unmodern auf einen Markt einkaufen zu gehen. Damals waren die Supermarktketten ganz stark im Kommen und dort gab es eben »andere« Waren. Einzelne MarktstandlerInnen konnte mit ihrem Gewinn gerade noch überleben, auf manchen Märkten fanden sich keine Menschen mehr. So wurden leider einzelne Märkte geschlossen.

Haben sie Tipps, wo man historische Marktluft schnuppern kann?
Das Marktamt hatte bis 1969 ein eigenes Museum, seit 2012 hat dies wieder geöffnet. Natürlich werden in diesem Museum neben der Tätigkeit der Lebensmittelaufsicht auch die Märkte im Wandel der Zeit beleuchtet und sind auch Fotos von Märkten aus anno dazumal zu sehen. Das Marktamtsmuseum in 1210 Wien, Floridsdorfer Markt 5, hat ausschließlich gegen telefonische Vereinbarung unter 01/4000/59255 geöffnet.

Weitere Informationen rund um die Wiener Märkte finden Sie im Internet auf: marktamt.wien.at