© Gina Müller

Urlaub für den Gaumen

Essen ist ein wichtiger Bestandteil eines gelungenen Urlaubs. Aber schmecken wir auch anders oder sogar besser, wenn wir frei haben?

»Die Sonne scheint, das Essen schmeckt – alles ist wunderbar!« Sätze dieser Art gehen auf Postkarten rund um die Welt oder schmücken Fotos, die auf sozialen Netzwerken geteilt werden. Das Essen hat im Urlaub einen enormen Stellenwert. Mehr noch: Es scheint uns dort besser zu schmecken als zu Hause.
»Dabei spielen viele Faktoren zusammen«, sagt Elisabeth Buchinger, Geschäftsführerin von Sensorikum in Wien. »Die Situation ist das eine – Licht, Luftfeuchtigkeit und Temperatur beeinflussen, wie uns Speisen und Getränke schmecken, aber auch das Ambiente, Geschirr und die nette Bedienung. Ganz zu schweigen vom sozialen Kontext.« So manche Offenbarungen aus dem Urlaub schmecken als Souvenir zu Hause jedoch ganz anders. Der Wein ist plötzlich schal, das Olivenöl entbehrt des gewissen Etwas, und der Käse hat seine Noten auf dem Weg verloren. 

Stimmungsaufheller

Essen zu genießen, funktioniert im Urlaub deswegen besser, weil man endlich viel mehr Zeit dafür hat. Zudem steht man meistens deutlich seltener am Herd, sondern bestellt nach Lust und Laune. Die Atmosphäre ist relaxt, berufliche Gedanken treten in den Hintergrund, man hat die Muße, sich auf die Speisen und deren Geschmacksnuancen zu konzentrieren. Dazu kommt ein Tapetenwechsel auf der Speisekarte genauso wie fürs Auge und bei der Olfaktorik: die Aussicht auf das Meer, einen See, die Berge und entsprechende Geruchswelten – von der Meeresbrise, dem frischen Fisch bis zur Blumenwiese oder den Kräutern am Straßenrand. Unsere Sinne sind ganz auf »on« gestellt und man ist offen für kulinarische Entdeckungsreisen. 
Im Idealfall sind wir von unseren Lieben umgeben. Auch das senkt – nicht immer, aber doch in der Regel – den Stress: Zeit und gute Gesellschaft. In Summe kann sich das Gehirn mehr auf die Verarbeitung der Sinneseindrücke konzentrieren, Entspannung signalisieren, Dopamin und Serotonin ausschütten. Offenheit und Neugier machen einen Teil des Genusserlebnisses aus. Beide nehmen wir häufig nicht in den Alltag mit nach Hause. Kulinarische Mitbringsel müssen daher anderen Erwartungen standhalten. »Im Urlaub bestellen wir einen Wein, den wir noch nicht kennen, und lassen uns überraschen. Wenn wir die Flasche zu Hause öffnen, möchten wir nicht nur den Genuss wiederholen, sondern auch die Stimmung wiederaufleben lassen. Wir haben also sehr hohe und ganz andere Erwartungen an denselben Wein. Grob geschätzt tragen zum Genuss nur zur Hälfte die sensorischen Kerneigenschaften bei. Der Rest sind »psychologische und Umgebungsfaktoren«, so die Sensorikerin Buchinger.  

Nicht nur im Flugzeug, sondern auch beim Bergsteigen oder Skifahren schmeckt das Essen daher anders. Sehr aromatische Gerichte wie asiatische Speisen bleiben stabil, mildere wie Fisch oder Geflügel müssen mehr gewürzt werden. Denn Salz wird um zwanzig bis dreißig Prozent, Zucker um fünfzehn bis zwanzig Prozent weniger intensiv empfunden. Aromen von Kräutern werden ebenfalls weniger wahrgenommen; fruchtige Aromen, Bitterstoffe und Säuren dagegen mehr oder weniger konstant. Für Wein trifft das ebenso zu. Die Restsüße und manche Aromen flachen ab, die Säure tendiert dazu zu dominieren. Leichte Weine wirken eher alkohollastig, wenn das Aroma flöten geht, aromatische Weine bleiben stabil. 
Am Reiseziel oder wieder im Tal angekommen, herrschen dann ein höherer Luftdruck und feuchtere Luft, besonders am Meer. In dieser Umgebung nehmen wir auch geringe Mengen von Kräutern, Aromen und Gewürze wahr. Somit schmecken die meisten Speisen intensiver. Abgesehen davon sind frisches, sonnengereiftes Obst und Gemüse deutlich reifer und aromatischer, Fisch und Meeresfrüchte sind frisch.
Der Urlaubsort, sein kulinarisches Angebot und die Landschaft tragen also zum bewussten Genießen bei, das besondere Feeling entstammt aber oft der Wertschätzung, die wir in diesen paar Wochen dem Essen mehr als sonst entgegenbringen, der Bereitschaft, sich mit allen Sinnen darauf einzulassen, und der Wechselwirkung zwischen Essen in Ruhe und Gemeinschaft. »Das heißt nicht, dass es keinen Sinn macht, kulinarische Souvenirs mitzubringen«, ist Buchinger überzeugt, »ganz im Gegenteil! Wir müssen nur unsere Erwartung ändern« – und uns neugierig fragen: Wie wird mir der Wein wohl in den eigenen vier Wänden schmecken?

Hochgenüsse

Wie die Umgebung – konkret der Luftdruck und die Luftfeuchtigkeit – die Geschmackswahrnehmung bestimmen, zeigte eine Studie des Fraunhofer Instituts für Bauphysik. Dabei ging es vor allem um den Anfang und das Ende vieler Reisen – den Geschmack im Flugzeug. Auf Reisehöhe, also auf rund 10.000 Metern, ist der Luftdruck in der Kabine deutlich niedriger als am Boden und etwa vergleichbar mit der Bergluft auf etwa 3000 Metern. »Unter diesen Bedingungen nehmen Geschmacksnerven und Nase weniger wahr, in etwa so, als hätten die Passagiere Schnupfen«, beschreibt die Aroma-Chemikerin Andrea Burdack-Freitag vom Fraunhofer Institut. 

Aus Falstaff Magazin Nr. 04/2017

© Gina Müller
Marlies Gruber
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