Berend Tusch, Vorsitzender Fachbereich Tourismus der Gewerkschaft »vida«, gibt Antworten auf brennende Fragen.

Berend Tusch, Vorsitzender Fachbereich Tourismus der Gewerkschaft »vida«, gibt Antworten auf brennende Fragen.
© vida / Stefan Joham

Tusch: »Das Strukturproblem sind die Arbeitsbedingungen.«

In der Gastronomie wird aktuell händeringend nach Personal gesucht, es fehlt an Fach- wie auch Hilfskräften. Berend Tusch von »vida« sieht einen Grund hierfür bei den Arbeitsbedingungen, die umgehend zu verbessern seien.

Profi: In einem Kurier-Interview sprachen sie davon, dass das Angebot des Gastgewerbes nicht mehr passe. Was meinen Sie konkret damit?
Berend Tusch: Wir reden von 40- bis 48-Stunden-Wochen, von denen viele Kolleginnen und Kollegen oft trotzdem nicht leben können. Dazu kommen bis zu acht Stunden verkürzte Ruhezeiten, Teildienste, Zwölf-Stunden-Schichten oder Arbeit auf Abruf. Beschäftigte brauchen außerdem Sicherheit und Perspektiven.

Es muss gelingen, die Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen und vor allem in der Branche zu halten. Wer jeden Tag um seine berufliche und wirtschaftliche Zukunft Angst hat, kann nicht seine beste Leistung bringen. Wir reden vom Auskommen mit dem Einkommen, von Arbeitsplatzgarantien und einem klaren Bekenntnis an die Beschäftigten durch die Betriebe. Auch an der Realisierung lebensphasenangepasster Arbeitsmodelle werden die Arbeitgeber nicht vorbeikommen.

Warum ist die Wiederverschärfung der AMS-Vermittlung, wie sie Arbeitsminister Martin Kocher fordert, keine Lösung des Mitarbeitermangels für Sie?
Weil wir, bevor wir über Verschärfungen bei AMS-Vermittlungen reden, über die Verbesserung der Arbeitsbedingungen reden müssen!

Das Gastgewerbe leidet unter einem Strukturproblem, der Mangel an Fachkräften beim Stammpersonal ist seit längerem für viele Betriebe eine große Herausforderung. Wie kann man dieses Problem Ihrer Meinung nach beheben?
Wir haben keinen Fachkräftemangel im Tourismus. Der Arbeitsmarkt ist ein Markt mit Angebot und Nachfrage – die Branche bietet den Menschen kein attraktives Angebot, daher ist die Entwicklung hin zu zu wenig Personal nicht überraschend. Es ist jetzt bedeutsam, die Chance zu ergreifen, den Menschen eine lebenswerte Arbeitswelt anzubieten. Es sollte sich bei den Betrieben eine positive Hinzu-Bewegung etablieren, hin zu den Bedürfnissen der Beschäftigten, denn das Strukturproblem sind am Ende die Arbeitsbedingungen, die umgehend zu verbessern sind. Gelingt das nicht, leidet die Branche noch länger. Und es sind dann nicht die Beschäftigten, die man dafür verantwortlich machen kann.

Apropos Beschäftigte: Ist es überhaupt für jeden und jede möglich und auch zumutbar, im Gastgewerbe beruflich Fuß zu fassen?
Wer einen Vollzeitjob hat, soll damit und davon auch leben können. Leider ist das oft gar nicht möglich. Über Zumutbarkeit braucht man hier also nicht zu reden.

Die Einkaufsgenossenschaft HOGAST setzte bereits 2019 auf eine Lehrlingskampagne und Mitarbeiterbefragungen – wie zielführend sehen Sie diese Maßnahmen?
Umfragen und Gespräche sind immer ein gutes Mittel, um Beschäftigte einzubinden. Wichtig ist aber natürlich, dass Ergebnisse der Umfragen und mögliche Kritik dann auch eine Wirkung haben. Als Gewerkschafter sind mir aber natürlich Betriebsratsgründungen wichtig. Betriebsräte haben wie im Lehrlingsbereich Jugendvertrauensräte immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und sind Sprachrohr der Beschäftigten.

»Es liegt auch an der Regierung, diese Branche für die Betriebe aber insbesondere für die Beschäftigten krisenfest zu machen.«
Berend Tusch, Vorsitzender Fachbereich Tourismus der Gewerkschaft »vida«

Vor der Corona-Pandemie galt die Gastronomie respektive Hotellerie als krisenfest und jobsicher. Ist die Branche nach wie vor ein zuverlässiger Arbeitgeber?
Ja, gerade die Hotellerie hat sehr stark unter der Corona-Pandemie gelitten. Hier muss man aber auch sagen, dass vieles hausgemacht ist. Man braucht nur einen Blick zurück auf den zweiten Lockdown zu werfen, wo die Arbeitslosigkeit im Tourismus von Oktober auf November des Vorjahres um weitere 12.000 Personen gestiegen ist.

Wo war hier die Loyalität der Betriebe, ich meine, es gibt immerhin das Werkzeug »Kurzarbeit«. Dass dann trotzdem gekündigt wird, sorgt nicht gerade für Vertrauen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hin zu ihren Betrieben. Es liegt auch an der Regierung, diese Branche für die Betriebe aber insbesondere für die Beschäftigten krisenfest zu machen.

vida.at

Alexandra Embacher
Alexandra Embacher
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