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Trend: Warum Sie Verjus probieren sollten

Biowinzer nutzen selbst unreife Trauben – als Verjus. Der »grüne Saft« muss aber nicht immer diese Farbe haben. Köstlich und vielseitig ist er allemal!

Magninus Mediolanensis wird recht bestimmt in seinem Saucen-Kochbuch: »Im Winter Essig, im Sommer Verjus«, rät der Autor aus dem frühen 14. Jahrhundert im »Opusculum de saporibus«. Sein Buch über die Geschmäcker mag dazu beigetragen haben, dass sich das Gerücht von der gesunden Wirkung des Verjus gehalten hat. Denn Magninus schrieb als Arzt über Würzungen, er konnte aber auf ein Mittel zurückgreifen, das bereits antiken Winzern vertraut war: »Agrest« nannten es die alten Römer, und im Dialektausdruck »Agrassl« für die ebenfalls saure und grüne Stachelbeere schwingt noch ein wenig Latein mit.

Dass man sich in der ehemaligen Provinz Pannonia auf das alte Säuerungsmittel besonnen hat, schließt (sprach)geschichtlich gesehen also sogar einen Kreis. 2004 begann etwa Josef Umathum, die beim sogenannten Ausdünnen weggezwickten Trauben zu verarbeiten. »Vert jus« – der grüne Saft – hat sich aber nicht nur im Seewinkel zu einem Geheimtipp entwickelt. Heute muss der Frauenkirchner daher lachen, wenn er sich an die Anfänge der nachhaltigen Verwertung der grünen Weinbeeren erinnert: »Die erstaunte Frage der Kollegen im Ort lautete, warum wir im Juli schon mit der Lese beginnen.« 

Das alte Würzmittel war anfangs auch alles andere als ein Selbstläufer, »der Verkauf war mühsam und die Resonanz eher zurückhaltend«, so Umathum. Aus Winzersicht könnte man weitaus mehr Trauben aus der Grünlese als Verjus absetzen, zumal in Zeiten der Nachhaltigkeit. Rund um den See bietet sich der saure Traubensaft als alternatives Sommergetränk auch förmlich an. Einfach mit Soda gemischt, bringt er eine Erfrischung ohne Alkohol hervor, die den Körper nicht übersäuert, da sie keine Essigsäure aufweist.

Interessanterweise muss der »grüne Saft« auch nicht von weißen Weintrauben stammen. Im Seewinkel verwenden die Winzer sogar die »ausgedünnten« roten Varianten lieber – vor allem jene mit zarteren Beerenhäuten. »Ich bevorzuge ZweigeltSt. Laurent und Pinot Noir«, setzt etwa Pionier Umathum auf dünnschalige Sorten, »der Blaufränkisch etwa wird eher zu bitter«. Auch der Golser Andreas Gsellmann verwendet eine Cuvée aus sauren Zweigelt- und St.-Laurent-Trauben für seinen modern aufgemachten »Oh Verjus«, den er naturtrüb abfüllt.

Für Küche und Cocktails 

Schnell hat der Saft auch wieder in die Küche zurückgefunden, wo man ihn seit dem Mittelalter als Alternative zu den unbekannten oder unerschwinglichen Zitrusfrüchten nützte. Franz Reinhard Weninger sieht den Verjus »überall dort als raffinierte Alternative, wo Zitrusfrüchte oder Essig mit Weinnoten nicht harmonieren«. Salatdressings, die ohne Essig auskommen, haben in Zeiten der Allergien und Unverträglichkeiten ja durchaus ihre Freunde. Im konkreten Fall rät der Horitschoner Winzer zur Kombination von Agrest mit Dijonsenf. Weninger hat die wichtigsten Verwendungsmöglichkeiten der raffinierteren Säure nämlich gleich auf das Etikett seiner Abfüllungen malen lassen.

»Am besten verwendet man ihn zum Ablöschen, für Dressings oder zum Verfeinern von Fischgerichten und Ratatouille, Fleischsaucen, aber auch Desserts, für erfrischende Limonaden und exotische Cocktails«, rät der mittlerweile seit fünf Jahren als Verjus-Macher aktive Mittelburgenländer. Vor allem in der Barszene hat sich die heimische Säurequelle etabliert. Ein »Donau Gimlet«, wie ihn Sammy Walfisch in der Wiener Bar »Moby Dick« serviert, nutzt Verjus heute ganz selbstverständlich anstelle des Limettensafts im Original des Gin-Drinks.

Zurück am Neusiedler See, beschreibt sein Winzerkollege Gernot Heinrich das Wesen des »Agrests« vielleicht am schönsten, wenn er von »optimaler Unreife« spricht. Für den Golser Winzer ist sein Verjus nämlich das Ergebnis von »unzeitigen Trauben, die zur rechten Zeit geerntet wurden«. Seine orangerote Variante gibt mit ihrer Farbe auch einen Hinweis auf die Basis, 100 Prozent Zweigelt-Trauben aus dem Seewinkel. Und auch der dritte Biowinzer hält das kulinarische Potenzial – auch jenseits von Salatwürze und Erfrischungsgetränken – »noch längst nicht für erschöpft«.

Übrigens zeigen bereits die grünen Trauben je nach Jahrgang und Erntezeitpunkt Geschmacksunterschiede wie später auch die Weine. Mal gibt es mehr, mal etwas weniger Säure. Stets jedoch gibt die Natur den idealen Zeitpunkt zur Grünlese bzw. zur Verjus-Ernte vor: »Bei der Umfärbung der Trauben hat man schon Aromen und noch hohe »Säure«, so »Pepi« Umathum. Diese Phase nennt der Weinfachmann übrigens Véraison. Was schon fast nach Verjus klingt. Und das kann ja wohl kein Zufall sein!


Erschienen in
Burgenland Spezial 2021

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Roland Graf
Autor