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Trend aus New York: Cannabis-Cocktails

Der US-Bundesstaat New York hat vor Kurzem Cannabis für den Freizeitgebrauch legalisiert. Binnen kürzester Zeit wurde daraus ein Riesenmarkt, den Politiker, Getränkehersteller und Küchenchefs für sich entdeckt haben.

»Put CBD in your coffee – Gib ruhig etwas CBD in deinen Kaffee«, fordert eine Tafel Passanten vor dem »Bubby's« auf. Seit 30 Jahren serviert das Lokal an der Ecke Hudson und North Moore Street im New Yorker Stadtteil Tribeca US-Klassiker wie Pancakes, Buttermilk-Biskuits, Burger oder Fried Chicken Crispy Southern Style.

Das Viertel hat sich im Laufe der Jahre vom Künstlereck zu einer hochpreisigen Wohngegend mit vielen jungen Familien entwickelt. Das »Bubby's« mit seinem simplen, aber leckeren »Comfort Food« ist ein Familienrestaurant geblieben, eine beliebte New Yorker Brunch-Institution. Neu ist allerdings »Azuca«, der CBD-Mix, den »Bubby's«-Besitzer und Küchenchef Ron Silver selbst kreiert hat – und mit dem er den Begriff »Comfort Food« auf ein ganz neues Level gehoben hat: Wer zu seinen Pancakes CBD-Kaffee oder -Tee bestellt, bekommt ein Päckchen CBD-Zucker-Mix dazu. Bedingung: Der Gast muss mindestens 21 Jahre alt sein. Kostenpunkt: neun Dollar. Vier Dollar für ein Häferl typisch schwachen amerikanischen Filterkaffee, fünf Dollar für »Azuca«, die CBD-Zucker-Mischung nach Art des Hauses (abgeleitet vom spanischen Wort Azúcar für Zucker). Angst vor einem »Trip« muss man dabei nicht haben, denn CBD ist ein Teil der Hanfpflanze, der im Gegensatz zu THC nicht psychoaktiv ist und damit auch keinen Rausch zur Folge hat. Es geht vielmehr ums Entspannen, ums Relaxen. Und das bitte möglichst schnell.

Ron Silver hat sechs Jahre lang im Labor an seinem »Azuca-Mix« getüftelt. Seine »Hausmischung« soll jetzt schneller wirken als ähnliche Mixturen, schon innerhalb von zehn Minuten nämlich und nicht erst nach einer halben Stunde wie anderswo. »Es ist leicht erklärt und schwer zu machen: Cannabis-Drinks sind sehr kompliziert, weil sich das dicke Öl nicht so leicht mit Flüssigkeit vermischt«, erklärt der 58-jährige Silver. Der Küchenchef ist Autodidakt, neben seinem Restaurant in New York hat er sechs weitere in Japan.

Patenter Pionier

Sein innovatives Verfahren, das er zum Patent angemeldet hat, kapselt Cannabinoidmoleküle ein, macht sie wasserlöslich und führt dazu, dass Azuca-Produkte keinen Hanfgeschmack oder -geruch aufweisen. Eine Karte am Tisch weist darauf hin, dass ein Päckchen CBD-Zucker genau 25 Milligramm CBD und rund neun Kalorien enthält. Michelle, eine Brokerin aus Manhattan, probiert an diesem Nachmittag zum ersten Mal Kaffee mit Cannabis und ist enttäuscht: »Also, ich spüre nichts.« Doch es ist Sonntag und der Stress fängt für sie ohnehin erst wieder am Montag an. Vielleicht liegt es daran...

Das »Bubby's« habe vor ein paar Jahren schon seine Getränkekarte »infused with CBD« angeboten, erklärt Kellner Carlos. Das sei sehr beliebt gewesen, zum Beispiel die Watermelon-Margarita mit einem Schuss CBD. Doch die Gesundheitsbehörde hat den Gastwirten dann erst einmal einen Strich durch die Rechnung gemacht. »Man müsse erst die Wirkung in Essen und Getränken analysieren, hieß es«, erklärt der Kellner. Deswegen muss sich der Gast den CBD-Zucker jetzt selbst ins Getränk mischen. Der Staat New York hat zwar gerade erst Cannabis legalisiert – und erhofft sich dadurch künftig zusätzliche Steuereinnahmen von 350 Millionen Dollar pro Jahr –, aber in Speisen und Getränken dürfen Restaurants und Bars derzeit nichts dergleichen mixen. Indem der Gast selbst Azuca dazumischt, bleibt alles legal.

Online-Handel boomt

Andere Staaten sind da nicht so zimperlich. In Kalifornien, wo Cannabis bereits 2016 legalisiert wurde, bieten etliche Unternehmen Frühstücks-Granola, Schokolade, Getränke wie Seltzer-Wasser oder Gummibärchen mit THC oder/und CBD an. Verkauft wird über Dritte, die eine Genehmigung dafür haben, so schreibt es das Gesetz im Westküstenstaat vor. Das Cannabis-Internet-Kaufhaus »Ona Life« war eines der ersten am Start: »Im Schnitt geben die Kunden heute bei uns pro Bestellung 125 Dollar aus, geliefert wird durch einen Boten«, so Veronika Brooks, Chef of Cannabis Concierge bei »Ona Life«. Sie nimmt nicht nur die Bestellungen entgegen, sondern klärt auch Kunden über die Produkte auf. Der Bestseller im Essensbereich seien »Midnight Blueberry Gummies« für 20 Dollar, damit man besser schlafen kann. Die kleinen Gute-Nacht-Naschereien enthalten pro Stück fünf Milligramm THC und ein Milligramm CBN (Cannabinol, leicht psychoaktiv, aber nicht so stark wie THC).

Bei den Getränken verkauft sich »Saka Pink« am besten, ein alkoholfreier Rosé aus Pinot-Noir-Trauben mit THC und CBD aus dem »House of Saka«, das laut Veronica schon einen echten Fanclub hat. »House of Saka« ist ein Wein-Start-up im sonnigen Napa Valley. Gut eine Stunde mit dem Auto von der Küsten-Metropole San Francisco entfernt, liegt das legendäre Tal mit rund 400 Weingütern. Es hat Cabernet Sauvignon und Chardonnay made in USA international berühmt gemacht wie kein anderes Anbaugebiet. Der Name »House of Saka« entstammt der Legende mutiger, mystischer und wilder Kämpferinnen, die das Land regierten und für die die Cannabispflanze im Mittelpunkt ihrer spirituellen und rituellen Übergangsriten stand – passend für ein Unternehmen, das nicht nur von Frauen geleitet wird, sondern in erster Linie für Frauen zwischen 25 und 55 alkoholfreie Cannabis-Getränke produziert.

Neben ihrem »Saka Pink« – auch die Millennials in den USA haben eine Vorliebe für Rosé – produzieren die Damen auch alkoholfreien »Saka White« aus Cabernet Sauvignon sowie neuerdings auch einen Mimosa-Sparkling-Drink. Sie wollen mit ihren Produkten in der Luxus-Kategorie mitspielen, auf entsprechend künstlerisch gestaltete Etiketten ganz ohne psychedelische Referenzen lege man etwa großen Wert, erklärt Tracey Mason, Mitbegründerin und CEO von »House of Saka«. Sie will damit ein völlig neues Feld im Cannabis-Sektor erschließen. Im Gegensatz zum Rauchen sollen die Drinks auch eine neue Klientel ansprechen, im Gegensatz zu Joints gesellschaftsfähiger sein und nicht den typsich intensiv-süßlichen Geruch verbreiten.

Cynthia Salarizadeh (links) brachte die Expertise zum Cannabis-Business bei «House of Saka» ein, Tracey Mason (rechts) die Erfahrung aus dem Weinmarketing.
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Cynthia Salarizadeh (links) brachte die Expertise zum Cannabis-Business bei «House of Saka» ein, Tracey Mason (rechts) die Erfahrung aus dem Weinmarketing.

Covid als Umsatz-Booster

Die Pandemie sei ein Umsatz-Booster für das junge Unternehmen gewesen, das seinen ersten alkoholfreien Wein 2019 auf den Markt gebracht hat: »Absolutely«, freut sich Tracey. »Die Leute haben generell mehr getrunken. Aber bei unseren Produkten kann man, anders als bei Drinks mit Alkohol, mit einem Bruchteil der Kalorien relaxen, ohne einen Kater zu bekommen oder negative Effekte auf Leber und Haut befürchten zu müssen.«

Tracey Mason ist eine Veteranin der Branche. Unter anderem hat sie für Spirituosen-Riesen Diageo und Foster's Wine Estates (jetzt Treasury Wine Estates, einer der größten Weinerzeuger und -händler) gearbeitet. Ihre Verbindungen zu Top-Weinbauern im Napa Valley helfen jetzt, wenn es darum geht, die besten Trauben zu bekommen.

Die Herstellung läuft anfangs wie bei alkoholfreiem Bier: »Wir produzieren zunächst ganz normal Wein und fermentieren. Anschließend entziehen wir dem Wein den Alkohol und fügen unseren THC-CBD-Mix hinzu«, erläutert die Wein-Expertin. »Manchmal werden wir gefragt, warum wir nicht einfach Traubensaft nehmen. Wir sagen dann, dass wir nicht die Komplexität des Geschmacks der Trauben, des Weins bekommen würden. Wir wollen ein Produkt kreieren, das so nah wie möglich am Wein ist.« Vom enthaltenen Cannabis-Mix sei dagegen wenig zu schmecken, so Tracey. Wobei: Mehr bringt mehr – nach diesem Motto haben die Damen gerade erst den THC-Gehalt bei ihren Produkten kräftig erhöht, von 25 auf 40 Dollar pro Fasche.

»Das ist, was die Konsumenten wollen«, so Tracey. Sie verweist auf Kalifornien, wo die meisten Getränke in dem Sektor zehn Miligramm THC pro Glas enthielten. »Saka Pink« liege da, umgerechnet auf den Wert pro Glas, mit acht Milligramm THC und einem Milligramm CBD immer noch darunter.

Aber wie high wird man nun wirklich davon? »Sagen wir einmal so, es hellt deine Stimmung auf«, meint Tracey.

Andreas Prenn, Leiter der »SUPRO – Werkstatt für Suchtprophylaxe« in Vorarlberg und Beirat im Fonds Gesundes Österreich, beobachtet die fortschreitende Legalisierung in den USA genau: »Fünf bis sechs Prozent THC in einem Glas Wein, das ist so viel wie früher in einem Joint.« Süchtig mache es aber nicht: »Einstiegsdrogen sind Alkohol und Nikotin, nicht Cannabis-Produkte.« Dennoch befürchtet Prenn: »Es macht das Ganze salonfähig.«

Nicht nur »Bubby's«-Chef Ron Silver, auch das »House of Saka« verwendet zudem eine spezielle Technologie, damit der Craft-Mix schneller wirkt: »Die Nano-Motion-Technologie, die wir nutzen, spaltet Cannabis in mikroskopisch kleine Partikel auf. Die werden nicht durch die Leber verarbeitet, sondern durch Magen und Dickdarm«, erklärt Tracey. Dadurch spüre man den Effekt binnen fünf bis 15 Minuten. Sie sieht gerade das als gesundheitlichen Vorteil. So könne man besser kontrollieren, wie viel THC man zu sich nehme. Denn wenn Cannabis etwa in Essen enthalten sei, könne es schon einmal anderthalb Stunden dauern, bis man etwas spüre. Viele würden dadurch mehr konsumieren, als ihnen später lieb sei, so Saka-Co-Chefin Tracey Mason.

Für den Suchtexperten Andreas Prenn sind die gehypten Getränke dennoch alles andere als genussverheißend: »Dem Getränk wird Alkohol entzogen und CBD und THC beigefügt, da spreche ich nicht von einem Naturprodukt. Da trinke ich lieber ein Glas Rotwein. Und wer möchte, kann einen Joint dazu rauchen – wenn es denn erlaubt ist.«


»Meilenstein« Legalisierung

Die Legalisierung von Cannabis als Genussmittel breitet sich in den USA aus: Ende März hat auch der Bundesstaat New York sein Okay gegeben. New York folgt damit dem Beispiel von 14 weiteren Bundesstaaten und dem Hauptstadtbezirk Washington. Per Gesetz ist es in New York Erwachsenen ab 21 Jahren erlaubt, bis zu 85 Gramm Cannabis zu besitzen und in bestimmtem Ausmaß auch Cannabispflanzen für den eigenen Konsum anzubauen. Die Nutzung der Droge zu medizinischen Zwecken soll ausgeweitet werden. Die frühere Gouverneur Andrew Cuomo, dessen Demokraten in beiden Parlamentskammern eine deutliche Mehrheit haben, sprach von einem »Meilenstein«. Zu lange habe das Cannabisverbot »unverhältnismäßig stark« die nichtweiße Bevölkerung getroffen, gegen die oftmals schwere Gefängnisstrafen wegen des Verstoßes gegen das Cannabisverbot verhängt worden seien. Die Regierung erhofft sich dadurch nicht nur 350 Millionen Dollar Steuereinnahmen pro Jahr. Es sollen auch Zehntausende neue Jobs geschaffen werden.


Big Business

Nicht nur kleine Start-ups, auch große Brauerei- und Spirituosenkonzerne in den USA entdecken zunehmend Cannabis für sich. Der Vorreiter war Constellation Brands. Der US-Getränkeriese, der auch die Biermarke Corona verkauft, hat bereits 2017 in das kanadische Unternehmen Canopy Growth investiert und damit offenbar den richtigen Schritt gesetzt. Canopy Growh ist heute weltweit der größte Konzern für medizinisches Cannabis. Dessen Mixgetränk »Quatreau« ist seit dem Start im letzten Jahr der Topseller bei CBD-Mixgetränken in Kanada, die Nachfrage ist vor allem während der Pandemie stark gestiegen.

Constellation Brands besitzt mittlerweile 40 Prozent von Canopy Growth. Seit Kurzem wird auch in den USA »Quatreau Sparkling Wasser« mit 20 Milligramm CBD in vier Geschmackrichtungen verkauft: Gurke/Minze, Passionsfrucht/Guava, Ingwer/Limette und Heidelbeer/Acai – alle ohne Zucker. Die weißen Dosen gibt es für vier Dollar, also knapp fünf Euro, zunächst online und im Jahresverlauf auch in Geschäften.

Interessantes Detail: In der Cannabis-Industrie werden die eigenen Produkte inzwischen vor allem »funktional« verkauft. Denn die drinks mit THC- und CBD-Beigaben könnten Menschen helfen, Stress zu bewältigen und Ruhe bzw. Wohlbefinden zu erlangen.

Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2021

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Angelika Ahrens
Angelika Ahrens
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Von Redaktion