Tour de Plaisir an der Côte d’Azur

Der Süden Frankreichs verführt seine Besucher mit azurblauem Meer, mondänen Küstenstädten und verträumten mittelalterlichen Dörfern im Hinterland – aber auch
mit einer formidablen Küche. Ein Lokalaugenschein von Nizza bis ­Saint-Tropez.

Das berühmte Hôtel Majestic in Cannes präsentiert sich nach seiner Generalsanierung in prachtvollem Glanz. Der neue Flügel mit dem 450 Quadratmeter großen Penthouse mit Dachterrasse und Pool ist nun der ganze Stolz des Hauses. Vor dem strahlend weißen Art-déco-Palast an der von Palmen gesäumten Croisette patrouillieren livrierte Doormen. In der lichtdurchfluteten Lobby sind die griechischen Skulpturen und Säulen verschwunden, dafür zeigen erdfarbene Sofas und elegante Blumenarrangements, dass man auch hier in der Jetztzeit angekommen ist. Nur von den Fotografien einstiger Hollywoodstars, die hier zu Gast waren, konnte man sich doch nicht trennen. Was soll’s – ein wenig Glanz vergangener Tage darf auch ein modernes Grandhotel noch versprühen. Die Côte d’Azur ist ja mittlerweile schon modern genug.

Alles neu
Das merkt man ganz deutlich in dem malerischen, wie Rom auf sieben Hügeln gelegenen Ort Le Cannet, nördlich von Cannes. In der Rue Notre-Dame-des-Anges herrscht schon am späten ­Vormittag reges Treiben. Denn Bruno Ogers neuer Restaurantkomplex, die »Villa Archange«, wurde nach der Eröffnung im Frühling prompt mit zwei Michelin-Sternen gekrönt. Ogers neues Provence-Imperium aus dem 18. Jahrhundert umfasst nicht nur ein Feinschmeckerrestaurant, sondern auch ein schickes Bistro mit Terrasse, das kein Loch in die Kasse reißt. Der Bretone kocht aromareicher denn je – etwa Neukreatio­nen wie Froschschenkel-Cappuccino mit süßem Knoblauch. Freilich stehen auch Klassiker, die man aus seiner vorherigen Wirkungsstätte »Villa des Lys« im Hôtel Majestic kennt, auf der Karte.

»La Réserve de Nice« ist das kulinarische ­Highlight im Hafen von Nizza / Foto:beigestellt

Vietnamesisch und leichte Mittelmeerküche
Wer in Cannes logiert, sollte unbedingt einen Abstecher zum besten Vietnamesen Südfrankreichs, dem »Le Jade«, machen und Herrn Mys Empfehlungen vertrauen. Das Interieur ist kaum der Rede wert, doch die »Griffe de Crabe au Jus de Citron vert« hat Kultstatus. Eine Reservierung ist anzuraten, da die Öffnungszeiten nach Lust und Laune des Besitzers variieren können. Die Laune dürfte übrigens dem wunderbaren Jacques Chibois in Grasse vergangen sein, hat er doch auf einen Schlag seine zwei Sterne verloren. Völlig überraschend. Wir finden Chibois’ Küche in der »Bastide Saint-Antoine« nach wie vor souverän, und seine Kompositionen schmecken keinen Deut schlechter. Chibois ist nach wie vor einer der großen Meister der leichten Mittelmeerküche und versteht sich wie kein anderer auf den perfekten Umgang mit Olivenöl, das übrigens selbst hergestellt wird. Mediterrane Gerichte wie Steinbutt mit Artischocken und Waldchampignons oder Walderdbeeren-Soufflé mit frischem Verveine-Kraut, das rund um die Bastide üppig in Heckengröße gedeiht, bringen Gourmets ob ihrer leichten und subtilen Aromen ins Schwelgen.

Ohne Schnickschnack
Auch Chibois’ ehemaliger Schüler Sebastien Mahuet macht seit einem Jahr von sich reden. Mit der Übernahme des »La Réserve de Nice«, eines schön renovierten Gebäudes aus den 30er-Jahren im Hafen von Nizza, ist es dem jungen Koch gelungen, den hohen Standard seines Vorgängers Jouni Tormanen fortzusetzen. Mahuet, der sich seine Sporen zuvor im famosen »Château de la Chevre d’Or« verdient hat, zaubert Köstlichkeiten ohne Espuma-Showeffekte in bemerkenswerter Qualität auf den Teller: Das Drei-Gänge-Menü mit in Ingwer marinierten Crevetten und Calamari, gefolgt von einem exquisiten Hasen à la niçoise und einer Crème Ivoire mit Matcha-Geschmack als Abschluss überzeugt selbst extrem verwöhnte Gaumen.

Mediterrane Haute Cuisine

Natürlich kann man in Südfrankreich an vielen Plätzen ausgezeichnet speisen. Nirgendwo sonst in Europa, Paris ausgenommen, gibt es so viele hoch dekorierte Restaurants in einer solchen Dichte. Was leicht zu erklären ist, denn hier treffen mit Italien und Frankreich nicht nur die besten Küchen Europas aufeinander, es ist auch eine stattliche Fangemeinde der feinen mediterranen Kochkunst vorhanden. Christophe Dufau in Vence bringt es fertig, den Kunstanspruch seiner preisgünstigen Küche in einer derart gelassenen Atmosphäre (manchmal wird gejazzt) zu demonstrieren, dass sein »Les Bacchanales« niemals wie ein erhabener Schlem­mer­tempel wirkt. Das moderne Ambiente ist von bunten Plastiken im Garten und zeitgenössischen Gemälden in den schlichten Speiseräumen geprägt. Auch seine Küche, in der regionale Zuta­ten und die liebevolle Gestaltung die Hauptrolle spielen, ist überzeugend innovativ.

Edel trifft populär
Von dort aus ist es ein Katzensprung zu einem der renommiertesten Häuser Südfrankreichs, dem Château Saint-Martin in Vence. Im ehemaligen Konventshaus der Tempelritter hat man einen gigantischen Ausblick, der bei klarem Wetter die Sicht bis Korsika erlaubt. Chefkoch Yannick Franques, ein ehemaliger Ducasse-Schüler, bringt dort ebenfalls die Provence in einer Neuauflage auf den Teller: »Ich besinne mich gern zurück auf eine Einfachheit, die sich auf zwei oder drei Geschmacksrichtungen konzentriert.« Interessant ist seine Küche auch deshalb, weil er Edles mit Populärem kombiniert, etwa Sellerie mit Schokolade oder Taube mit Kirschen und kleinen Rüben.

Im Château Saint-Martin werkt Ducasse-Schüler Yannick Franques / Foto: beigestellt

Klassisch, klischeehaft
Die pittoreske Gegend um Vence und Grasse ist Pflichtprogramm jeder Côte-d’Azur-Reise! Denn nur ein kleines Stück von der Küste entfernt konnten sich die Dörfchen ihre Ursprünglichkeit bewahren. Der Gang des Lebens ist dort oben um einiges langsamer und bedächtiger als an der Küste. Im Herzen dieser kleinen Provence-Orte treffen sich am späten Nachmittag Männer mit Baskenmützen unter den Platanen auf ein Boule-Spiel – für uns das klassische Südfrankreich-Klischee. Noch ein kräftiges Stückchen Richtung Süden liegt Saint-Tropez, wo die Schönen schon in den Sechzigern ihre liberale Grundhaltung durch das Weglassen von Bikini-Oberteilen zeigten und wo sich samstags alles auf dem »Marché provençal« am Place des Lices tummelt. Ein Geheimtipp für alle, die dort eher dem Trubel fernbleiben wollen: das superschicke neue »Muse – Hôtel de luxe« oberhalb von Saint-Tropez. Mit seinen verschachtelten Suiten mit Privatpools liegt das 20-Millionen-Euro-Projekt versteckt in einem terrassenförmig angelegten provenzalischen Garten, gestaltet von der bekannten Landschaftsarchitektin Sophie Agata Ambroise. Jede der 15 Suiten ist nach Musen wie Edith Piaf oder Catherine Deneuve benannt, und das Hotel wirbt mit »Sun-Butler«, Mac-Books auf jedem Zimmer und einem Bentley-Beach-Shuttle um junges betuchtes Publikum. Das fashionable »M«-Hotel-Restaurant wird kulinarisch von Clement Bruno, der in Frankreich als Spezialist für Schwarze-Trüffel-Gerichte berühmt ist, beraten.

Frische-Fetischist
Keinesfalls sollte man einen Besuch in der »Résidence de la Pinède« vor den Toren des ehemaligen Fischerdorfs auslassen. Zumindest für ein Essen, denn die Zimmerpreise des rosafarbenen Landhauses mit seinen weißen Fens­terläden sind kaum zu verschmerzen. Unter der Leitung des Chefkochs Arnaud Donckele wird abends auf der Terrasse mit Traumblick auf den alten Hafen diniert. Seine Effekte erzielt der Belgier mit dem Geschmack und der Frische seiner Zutaten, »und ich liebe es, traditionelle mediterrane Rezepte mit viel Fantasie und Eleganz neu umzusetzen«. Wo das Meer so nahe ist, erwarten den Gast Fische wie etwa eine Rotbarbe in zwei Gängen: zuerst kalt und frisch in Aspik mit einem leichten Limonenton und im zweiten Gang in Meerwasser gedünstet mit Kaviarperlen und schwarzen Spaghetti serviert. Wem das alles zu manieriert und geküns­telt ist, dem bleibt immer noch ein Abstecher zu Madame Berenguier. In ihrem einfachen Strand­restaurant »Chez Camille« kocht sie eine köstliche klassische Bouillabaisse. Das mag kulinarisch vielleicht wenig spektakulär klingen, aber dafür schmeckt sie herrlich.

Die besten Adressen an der Côte

Text von Sylvia M. Sedlnitzky
Aus Falstaff Nr. 5/2011