Tomaten: Direkt aus dem Paradies

Ob Tomate oder Paradeiser, die Farben, ­Formen und Geschmäcker der unterschiedlichen Sorten sind vielfältig. Mit zwei Rezepten zum Nachkochen.

Ein sonniger Tag im Mai auf dem Hof von Erich Stekovics: Die Luft ist erfüllt von einem köstlich aromatischen Duft, der von einem seit Stunden köchelnden Paradeisermus ­herrührt. Etwa 30 begeisterte Hobbygärtner suchen sich aus einer vielfältigen Auswahl an kleinen Tomatenpflanzen die perfekte Zusammenstellung für ihre Bedürfnisse. Mittendrin steht Erich Stekovics, Europas bekanntester Tomatenexperte, und spricht über sein Lieblingsthema. 3200 unterschiedliche Sorten hat er in seinem Fundus in Frauenkirchen im ­Burgenland – und zu jeder einzelnen kann er eine Geschichte erzählen. Tomaten sind eines der beliebtesten Lebensmittel in Österreich. Meist als Gemüse bezeichnet, gehören sie als Beerenfrüchte botanisch gesehen eigentlich zum Obst. 27,2 Kilo davon verspeist jeder Österreicher durchschnittlich pro Jahr – weit mehr als von jedem anderen Obst oder Gemüse. Noch sind die meisten davon rot und rund, doch langsam spricht sich herum, dass man als Genießer viel verpasst, wenn man immer zur Einheitstomate greift.

Ungeahnte Vielfalt
Paradeiser, wie die Früchte vor allem in Ostösterreich genannt werden, gibt es in allen Größen von stecknadelkopfgroß bis 2,3 Kilo schwer. Auch rund müssen sie keineswegs sein, es gibt längliche Tomaten ebenso wie flache, herz- und birnenförmige. Manche sind hohl wie ein Paprika, andere haben einzeln verwendbare Zehen wie eine Knoblauchknolle. Ihre Farben reichen von Weiß über Gelb, Orange und Grün bis zu Dunkelviolett und Tiefbraun. Am meisten fasziniert jedoch ihre Geschmacksvielfalt: »Die Bianca, eine blassgelb abreifende Sorte, zeichnet sich etwa durch einen irrsinnig intensiven Geschmack nach süßen Champignons aus. Die gelbe Johannisbeertomate wiederum hat einen haselnussartigen Ton, die dunkle Black Cherry starke Waldaromen, und die grüne Moldawische schmeckt leicht nach Bananen«, erzählt Stekovics. Er ist überzeugt: »Alle Sorten schmecken besser als die roten. In einer Blindverkostung würden rote Paradeiser ganz weit hinten sein.«

Beliebte rote Sorten
Noch kaufen die Kunden nicht nur im ­Supermarkt, sondern auch bei Stekovics zu 80 Prozent rote Paradeiser – aus Gewohnheit und Unwissenheit. Denn wer annimmt, dass Rot die ursprüngliche Farbe der Früchte war, irrt. Die aus Südamerika stammenden Ur­tomaten waren grün, braun und orange. Erst in Europa, wo man die Früchte zunächst für giftig hielt und nur als Zierpflanze verwendete, entwickelten sich rote Sorten. Während im Süden Italiens bereits im 16. Jahrhundert Tomaten angebaut wurden, sind sie in Österreich erst seit den 1960er-Jahren flächendeckend bekannt. Umso beeindruckender ist ihr Aufstieg zum beliebtesten Gemüse.

Artenreichtum im Supermarkt
Inzwischen findet man in Österreich sogar schon im Supermarkt eine umfangreiche ­Sortenvielfalt. Merkur und Billa bieten unter der Bio-Marke »Ja! Natürlich« bereits seit einigen Jahren eine Auswahl unterschiedlicher Tomatenraritäten an. Hofer hat nun ebenfalls eine Variation alter Sorte im »Zurück zum Ursprung«-Sortiment. Der österreichische Anbieter Zeiler wiederum hat sich auf die kleinen Paradeiserarten spezialisiert und neben den frischen Sorten »rot pur« und »rubinrot« mit »Mini dry« auch getrocknete Cherry-Tomaten im Angebot. Bei der Frischgemüse-Genossenschaft LGV findet man eine Selektion von Cherry-Tomaten in drei Farben. Und in der Interspar-Filiale im Einkaufszentrum Q19 in Wien-Döbling wird es dieses Jahr sogar eine Zusammenstellung der variantenreichen Sorten von Erich Stekovics geben.

Die vielen Möglichkeiten der Verwendung
»Paradeiser spielen in unserer Küche eine ganz große Rolle. Sie sind mein Lieblingsgemüse«, sagt Thomas Dorfer vom »Landhaus Bacher«. Persönlich isst er am liebsten einfach eine dicke Scheibe einer Ochsenherztomate mit etwas Olivenöl und grobem Salz. »Für besonders guten Geschmack ist es wichtig, dass die Paradeiser nicht im Kühlschrank gelagert werden, da sie dort ihr Aroma verlieren«, ergänzt Dorfer. Wenn er sie nicht gerade roh isst, schätzt Dorfer Tomaten beispielsweise in Kombina­tion mit Wassermelone. Dafür würzt er klein geschnittene Paradeiser mit einer Marinade aus Tomatenpulp, Sherry- und Tomatenessig, Salz, Zucker und Olivenöl und mischt sie mit kurz gebratenen, lauwarmen Stücken einer kernarmen Wassermelone. Darüber etwas roter Kampot-Pfeffer, und ein großartiger Sommersalat ist perfekt. Sehr gerne serviert Dorfer Tomaten auch in Kombination mit ­gebratenen Langustinen, etwa in Form eines Paradeisersugo aus den Sorten Feuerwerk und Erika d’Australie.

Paradeiser und Süße - Eine Liaison
Dass sich Tomaten nicht nur für die herzhafte, sondern auch für die süße Küche eignen, zeigt Josef Roiss vom »Gasthaus zur Dankbarkeit« in Podersdorf am See. »Die Harmonie von Paradeisern und Süße ist sehr groß. Das wussten schon unsere Großeltern, die ihre Paradeissauce mit Zucker zubereitet haben«, sagt Roiss. Er schätzt die winzigen gelben Johannisbeertomaten ganz besonders. Als Kompott serviert er sie etwa zu Kokos-Nougat-Knödeln. Ein Dessert, mit dem man Gäste gleichermaßen überraschen wie ­erfreuen kann.

Buchtipp: Tomatenträume
Paradeiserexperte Erich Stekovics hat mit Julia Kospach und Peter Angerer ein umfangreiches Nachschlagwerk zum Thema Tomaten entwickelt. Viele Sorten werden genau vorgestellt, dazu gibt es Tipps für die eigene Tomatenzucht und Rezepte von Top-Köchen. Wer durch die appetitanregenden Bilder Lust auf mehr bekommt, nimmt am besten an einer von Stekovics' Führungen durch seine ­Paradeiserfelder teil, die von Mitte Juli bis Mitte August täglich außer Montag und Mittwoch stattfinden. Anmeldung unter office@stekovics.at unbedingt erforderlich.
Loewenzahn Verlag, 264 Seiten, € 59,90

Rezepttipps:

Gegrillte Langostinos mit Parmesan-Panna-cotta und Paradeisersugo

Kokos-Nougat-­Knödel mit Kompott von gelben Johannisbeerparadeisern

Text von Sonja Hödl

Den vollständigen Artikel mit weiteren Informationen zu Verwendungen und (Eigen-)Anbau von Tomaten finden Sie in der aktuellen Ausgabe des Falstaff Nr. 05/2012.

Sonja Hödl
Autor