Sweet Dreams: Süßwein im Fokus

Château d’Yquem, Kracher, Egon Müller – das sind legendäre Namen, bei denen Süßweinkenner ins Schwärmen geraten. Falstaff stellt die wichtigsten Süßwein-Stile vor.

Verschiedene Wege kann der Winzer einschlagen, um einen süßen Wein zu keltern. Man kann die Gärung frühzeitig durch Beimengen von Alkohol beenden und den restlichen Zucker, der im Most natürlich vorhanden war, erhalten – die Palette reicht hier von den französischen Vins Doux Naturels bis zu den Klassikern wie Port und Sherry. Bei diesem Verfahren spricht man von gespriteten Süßweinen. Ist im Most ausreichend Zucker vorhanden, dann kann es passieren, dass die Gärung von selbst aufhört, das Resultat sind Weine mit Restzucker. Bei dieser Kategorie stehen dem Winzer technische Möglichkeiten zur Verfügung, die bewirken, dass die Gärung stehen bleibt. Man denke an die zarten, finessenreichen Rieslinge von der Mosel, wo feine Kabinettweine mit 7,5 Prozent Alkohol und brillanter Säure eine feine Süße mitbringen, die sich mit aufsteigender Prädikatsstufe erhöht.

Hier spielt bereits die Edelfäule eine Rolle, auf die wir später zurückkommen werden.

AUF EINEN BLICK: Die Süßwein-Stile

Die Sauternes-Heraus­forderer und ihre süßen Spitzenweine aus Österreich, Deutschland und Ungarn / © Steve Haider, www.steve.haider.com


Gesund geschrumpft

Es gibt noch weitere Möglichkeiten, die Konzentration der Inhaltsstoffe der Trauben und damit auch ihren Zuckergehalt, das sogenannte Mostgewicht, zu erhöhen. Die wahrscheinlich älteste dürfte jene sein, bei der die Trauben, sobald sie eine gute Reife erreicht haben, am Stock etwas antrocknen, nachdem man die Stiele geknickt oder verdreht hat, um eine weitere Versorgung zu unterbinden. Die gesunden Beeren schrumpfen ein, die Inhaltsstoffe darin werden konzentriert. Erntet man die gesunden Beeren zuvor und legt sie zum Trocknen auf, erzielt man denselben Effekt. Aus diesen gesunden Schrumpf­beeren entsteht der sogenannte Strohwein, den die Franzosen Vin de Paille nennen. Berühmt ist etwa jener im Hermitage aus dem nördlichen Rhônetal. Lagern die Trauben auf Schilf, wie etwa im österreichischen Seewinkel, heißt das Ergebnis Schilfwein. Es gibt auch Regio­nen, wo man die Trauben auf Schnüren gebunden und hängend eintrocknen lässt. In der österreichischen Weststeiermark wird »Schnürlwein« als Schilcher-Spezialität von der Rebsorte Blauer Wildbacher erzeugt. In Venetien gehören Amarone und Recioto della Valpolicella ebenfalls zu dieser Kategorie von Süßweinen. Bei ihrer Herstellung werden die gesunden Trauben durch »Appassimento«, das Trocknen auf Holzgittern auf dem Dachboden, fast zu Rosinen. Auch der Vin Santo aus der Toskana wird aus teil­rosinierten Trauben erzeugt.

Ernie Loosen: Seit 1988 leitet der Riesling-Alleskönner das Weingut Dr. Loosen an der Mosel/ © Steve Haider, www.steve.haider.comEine weit verbreitete Methode, Trauben zu konzentrieren, funktioniert mittels Kälte – und ist somit ziemlich das genaue Gegenteil vom Verfahren der Lufttrocknung. Ein klassischer Vertreter dieser Gattung ist der Eiswein, der dem Winzer allerdings einiges an Geduld abverlangt. Zunächst heißt es warten, bis der Frost kommt – und bis dahin sollte man seine Trauben gut in Netzen verpacken, sonst sind die Vögel mit der Ernte schneller. Auch hier lässt man möglichst gesunde Trauben an den Stöcken hängen, und sobald die Temperatur unter minus sieben Grad Celsius gefallen ist, heißt es schnell sein. Die Trauben müssen nämlich im gefrorenen Zustand in die Presse kommen, denn die zuckerhaltigen Anteile haben einen tieferen Gefrierpunkt als die wässrigen Bestandteile. Die schlauen Franzosen aus dem Sauternes haben Ende der 80er-Jahre ein technisches Verfahren entwickelt, das Kryoextraktion heißt und diesen Effekt nachahmt. Das Lesegut wird vor dem Pressen über Nacht im Kühlhaus gefroren und dann zu Süßwein weiterverarbeitet. Diese Methode wurde in weiterer Folge in Regio­nen übernommen, in denen es für einen natürlichen Eiswein generell zu warm wäre, wie beispielsweise in Kalifornien.

István Szepsy: Der Tokajer-Doyen aus Mad genießt für seine ausdrucksstarken Weine weltweite Anerkennung / / © Steve Haider, www.steve.haider.comEdelsüße Spitzengewächse
Jene Weine, die unter Kennern die höchste Wertschätzung unter den Süßweinen genießen, sind die, bei denen ein Pilz entsteht, der zur »Edelfäule« auf den Trauben führt. Die »Botrytis cinerea« ist nicht irgendeine ekelhafte Fäulnis, sondern ein Pilz, der unter feuchtwarmen Bedingungen auftritt und die Haut der Weinbeeren perforiert, um sich aus dem Inneren das Wasser zu holen. Alle anderen Inhaltsstoffe bleiben in der Traube. Die Botrytis lässt die Frucht Zug um Zug einschrumpfen, es entstehen die Trockenbeeren, die schließlich auch der höchsten Kategorie der Prädikatsweine ihren Namen geben: die Trockenbeerenauslese.

HINTERGRUND: Süßwein in der Krise?

Gerhard Kracher: Der Illmitzer Ausnahmewinzer setzt das süße Vermächtnis seines Vaters gekonnt fort / © Steve Haider, www.steve.haider.comBei Spitzenprädikatsweinen ist immer Botrytis im Spiel, und das gilt für alle weltberühmten »edelsüßen« Weine gleichermaßen. Vier Länder sind traditionell für diese Qualitäten bekannt. Frankreich mit seiner langen Tradition von edelsüßen Weinen im Bordeaux, wo die Appellationen Sauternes und Barsac herausragen. Auch an der Loire werden außerordentliche Vouvray Moelleux gemacht, aus dem Elsass hingegen sind Vendange Tardive und die Sélection de Grains Nobles bekannt. Dabei stehen die Sorten Riesling, Pinot Gris und Gewürz­traminer im Vordergrund.

Die süßen Tokajer-Weine aus dem Nordosten Ungarns haben ebenfalls eine jahrhundertelange Tradition. Sie erlebten aber erst nach den schwierigen Jahren des Kommunismus ab 1989 eine langsame, aber stetige Renaissance. In Deutschland sind es die edelsüßen Prädikatsweine der Rebsorte Riesling, aus der immer wieder Weltklasseweine hervorgehen, für die bei Versteigerungen Rekordsummen gezahlt werden. In Österreich wird der Hauptanteil der Süßweine im Burgenland, rund um den Neusiedler See erzeugt, die klassische Rebsorte ist hierfür der Welsch­riesling, aber auch aromatische Sorten wie Scheurebe (Sämling 88) oder Muskatsorten und Vertreter der Burgunderfamilie kommen zum Einsatz.
Hat man übrigens den richtigen edelsüßen Wein im Keller, dann spielt die Zeit kaum eine Rolle. Das Reifepotenzial der großen Süßen ist fast unbegrenzt, da fallen auch ein paar Jahrhunderte nicht ins Gewicht.

BEST OF: 9 Top-Süßweine in der Bilderstrecke

Text von Peter Moser   
Aus Falstaff Nr. 08/2014

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