Suppe ist das wohl älteste »Superfood«. Ihr Duft erinnert an die Kindheit, an Liebe, Nähe und Geborgenheit. Ihre Inhaltsstoffe sollen die müden Lebensgeister wecken.

Suppe ist das wohl älteste »Superfood«. Ihr Duft erinnert an die Kindheit, an Liebe, Nähe und Geborgenheit. Ihre Inhaltsstoffe sollen die müden Lebensgeister wecken.
© Gina Mueller

»Superfood«: Suppe im Trend

In New York stehen die Leute für Knochen- und Fleischbrühe »on the go« Schlange. Immerhin soll sie nicht nur gut, sondern auch wahnsinnig gesund sein und uns glücklich machen. Was ist dran am Wundertrank-Mythos?

Nach Chia, Avocado, Gojibeeren und grünen Smoothies kommt nun die Knochenbrühe als Superfood dran. Eine Speise, die die Menschheit isst, seitdem sie Feuer machen kann, die in allen Kulturen in unterschiedlichen Varianten vertreten und stets Sinnbild grundlegender Hausmannskost war und ist.
Amerikanische Medien, Stars und Sternchen feiern heute die Knochenbrühe, »Bone Broth«, als Wellnesselixier im Häferl oder Pappbecher. Denn Suppe wird nicht mehr gelöffelt, Suppe wird »on the go« getrunken. Begründer und Testimo-nial des Trends ist der Starkoch Marco Canora, der im November 2014 eine Suppentheke in Manhattan eröffnet hat: das »Brodo« (italienisch für Brühe).
Der Run liegt – wie kann es anders sein – an den gesundheitlichen Versprechen: Die Brühe soll Haut und Haare zum Strahlen bringen, der Verdauung auf die Sprünge helfen, die Laune heben, sogar Depressionen mindern, Knochen, Gelenke und Gewebe stärken, Entzündungen eindämmen, gegen Erkältungen wirken, die Rekonvaleszenz beschleunigen und Anti-Aging-Effekte haben. 200 bis 400 Leute stellen sich täglich im »Brodo« um einen Becher Brühe vom Rind, Huhn, Lamm, Kalb, Fisch oder Truthahn an. Längst gibt es auch Gemüse- oder Pilzinfusionen. Für geschmackliche Variation sorgen Ingwersaft, Chiliöl, Knochenmark, Shiitake-Tee, geröstetes Knoblauchpüree, frische Kurkuma oder Kokosmilch. Die starke Nachfrage lässt auch zahlreiche andere Anbieter gut leben, allen gemeinsam ist die Vision: Brühe jeglicher Art soll Kaffee ersetzen – und nicht nur den. »Ich dachte, eine Tasse Brühe ist im Grunde Fleisch-Tee«, sagt etwa der Belgier David Vandenabeele, Küchenchef im New Yorker »Langham Place Hotel«. Dort steht nun Chicken-Tea für zwölf Dollar auf der Speisekarte.

Wirkungen der »Super-Suppe«

Viele der Zuschreibungen gehen auf Canoras persönliche Erfahrung zurück,  die er mit dem hohen Gehalt an Kollagen erklärt. Dieses ist nach dem rund 24 Stunden langen Auskochen der Knochen reichlich in der Brühe enthalten. Doch ist Brühe so gesund wie angepriesen? Studien gibt es dazu keine. Nur die Hühnersuppe ist einigermaßen erforscht, und zwar in Zusammenhang mit Erkältungen. Schließlich gilt im Judentum bereits seit dem 12. Jahrhundert Hühnersuppe als Medizin gegen Erkältung der oberen Atemwege. Sie ist gar als »Jewish Penicillin« bekannt. Tatsächlich gibt es einige wissenschaft-liche Hinweise, dass sie helfen kann. So bringt sie bei verstopfter Nase – verglichen mit heißem oder kaltem Wasser – die Sekrete am stärksten zum Abfließen.

«Suppen to go » lösen den Kaffee ab.
© Gina Mueller
«Suppen to go » lösen den Kaffee ab.

Dafür machen die Forscher die Aromastoffe verantwortlich. In Zellkulturen zeigte sich zudem, dass Hühnersuppe die Aktivität bestimmter weißer Blutkörperchen hemmt, die Entzündungsprozesse auslösen und bei grippalen Infekten vermehrt freigesetzt werden. Welche Suppenbestandteile die heilsame Wirkung aus-machen, ist unklar. Gemüse und Hühnerfleisch reduzieren jedenfalls unabhängig voneinander Entzündungen. Das liegt bei Lauch, Sellerie, Petersilienwurzel, Zwiebel, Knoblauch, Ingwer und Karotten an den wirksamen Vitaminen, Mineralstoffen und sekundären Pflanzeninhaltsstoffen.
Beim Hühnerfleisch geht der Effekt auf die Aminosäure Cystein zurück, die entzündungshemmend wirkt. Außerdem liefert Hühnerfleisch eine beträchtliche Menge an bei Infekten hilfreichem Zink. Rindfleisch allerdings strotzt noch mehr vor Zink. Wenn zwar nicht wissenschaftlich bestätigt, so kann aber wahrscheinlich eine kräftige Rindsbouillon (»Altwiener Suppentopf«) die Lebensgeister ebenfalls wieder wecken.
Bei anderen Inhaltsstoffen – wie dem hoch gelobten Kollagen – spricht die Stoffwechselphysiologie gegen besondere Effekte der klaren Suppe. Richtig ist zwar, dass der Körper Kollagen für den Aufbau von Bindegewebe, Sehnen, Bändern, Knochen und Knorpeln braucht, aber die Vorstellung der 1:1-Einlagerung aus der Brühe ist zu simpel. Denn bei der Verdauung zerlegen Enzyme das Kollagen in seine Aminosäuren, die werden aufgenommen und dann erst wieder im Körper eingebaut – als Kollagen oder zu anderen Zwecken. Dort wo und so wie sie gebraucht werden. Ob die Aminosäuren vom Beiried, Brathuhn oder aus der Brühe stammen, ist dabei einerlei.

Eine Umarmung von innen

Für die Gesundheit spielt aber auch die Psyche eine große Rolle. Suppe punktet hier, hat sie doch eine hohe emotionale Bedeutung. Schon der Duft erinnert viele Menschen an die Kindheit. Das hat eine qualitative Grundlagenstudie des Kölner »rheingold salons« ergeben. Suppe assoziieren fast alle Befragten mit »liebevollem Versorgtwerden«, mit einer »nahrhaften Stärkung«, mit mütterlicher Zuwendung.
Besonders mit selbst zubereiteter Suppe wird häufig familiäre Nähe, Liebe und Wärme assoziiert – das Ideal einer lang-jährigen Tradition. Auch Canora führt die Trendentwicklung auf seine Mutter zurück: »Es erinnert mich an meine Kindheit. Meine Mutter stammt aus der Toskana. Brühe war ein wichtiger Auftakt für unsere Oster- und Weihnachtsmenüs.«
Dass Brühe leicht verdaulich ist und mit Energie und wertvollen Nährstoffen versorgt, ist unbestritten. Nicht umsonst bildet sie einen Fixpunkt in der Krankenkost. Ein Wundermittel ist sie aber ebenso wenig wie all die anderen als Superfood gehypten Lebensmittel. Doch sie ist emotional stark aufgeladen und gibt scheinbar Halt. So ist es möglich, mit Suppe unterwegs und gleichzeitig ein bisschen zu Hause zu sein.

Aus Falstaff Nr. 01/2017.

Marlies Gruber
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