Stefan Brandtner: Der Pop-Up-Künstler

Er liebt Harley-Davidson und verabscheut das Gewöhnliche. Mit seinen Köchen und Kellnern zieht er von Ort zu Ort.

Es war ein sonniger Tag, der 12. September des Jahres 2011. Stefan Brandtner holte nach dem Frühstück seine Harley-Davidson Softail aus der Garage und fuhr einfach drauflos – in Richtung Süden. Brandtner hatte wenig Gepäck dabei, der Salzburger ließ alles zurück, auch die Gedanken an die Vergangenheit. Wenige Tage zuvor hatte er sich von seinem Feinschmeckerrestaurant »Zur Plainlinde« in Bergheim bei Salzburg verabschiedet und es für immer zugesperrt. Aus und vorbei, nach mehr als acht Jahren. Zu allem Überdruss war ihm auch noch seine Freundin abhandengekommen. Brandtner erinnert sich: »Ich hatte nichts mehr und wollte einfach frei sein im Kopf.«

Bei Ducasse in die Schule gegangen
Zurückgekommen aus dem Süden, wusste der Mann, dass er jetzt vieles in seinem Leben anders machen wird. Er, der Erfolgsgastronom, der stets von der Gourmetkritik in den Himmel gelobt wurde, der als einziger Österreicher jahrelang bei Alain Ducasse in Monte Carlo gearbeitet hatte und dem in gastronomischen Belangen so schnell keiner das Wasser reichen konnte; ausgerechnet er hatte nun die Schnauze voll von der klassischen Spitzengastronomie, die für ihn so lange ein und alles war.

Das Pop-Up-Konzept
Seither zieht Brandtner mit seinen Köchen und Kellnern von einem Ort zum anderen, nimmt ungewöhnliche Locations in Beschlag, um dort nicht länger als drei Monate zu verharren. Diese Kurzzeitlokale sind inzwischen unter der Bezeichnung Pop-up-Res­taurants zu einem weltweiten Trend geworden. Mit seinem dritten Restaurant dieser Art, dem Lokal »Mithridat« im ehemaligen Gourmetrestaurant »Purzelbaum« im Nonntal, das er heuer im Sommer eröffnete, hat der Wanderwirt nun bewiesen, dass er in Österreich diese neue Spielart als einziger wirklich beherrscht. Ein Lokalmatador einer frischen Szene, die in anderen Metropolen wie etwa Berlin schon lange für Furore sorgt.

Erfolge mit der Plainlinde
Angefangen hat alles mit dem Ende der »Plainlinde«. Das Restaurant war jahrelang fixer Bestandteil der Salzburger Gourmetwelt, zusammen mit dem Koch Gerhard Brugger holte sich Brandtner Jahr für Jahr in allen Restaurantführern hohe Bewertungen. Brugger schied 2008 aus, aber auch mit seinem Nachfolger Thomas Grininger stand das Haus weiterhin im Ruf, eines der besten Res­taurants im Salzburger Raum zu sein. Bis Brandtner die Hausbesitzerin darum bat, ein wenig in die Renovierung der schon etwas brüchig gewordenen Gemäuer zu investieren. Doch die wollte davon nichts wissen, weshalb Brandtner sich dachte: »Gut, dann bleibe ich eben nur noch ein halbes Jahr.«

Restaurant mit Ablaufdatum
Das Ablaufdatum gab er via Medien im Jänner bekannt, der August sollte der letzte Monat sein. Wie sich später herausstellte, war die rechtzeitige Bekanntgabe der baldigen Schließung eine Königsidee. Denn alle wollten plötzlich noch einmal in der »Plainlinde« essen, bevor das Lokal endgültig Geschichte werden sollte. Brandtner: »Die Hütte war über Monate hinweg ausgebucht, es war die wirtschaftlich beste Zeit, die wir je hatten.«

Biertisch auf dem Parkplatz
Brandtner erinnert sich an einen Abend, wenige Tage vor der Schließung, der zur Initialzündung seiner künftigen Pop-up-Karriere wurde. Ein Gast rief an und wollte unter allen Umständen einen Tisch für acht Personen. »Geht nicht, wir sind ausgebucht«, erwiderte der Wirt, »was soll ich denn machen, ich kann euch höchstens einen Biertisch auf den Parkplatz stellen, das Essen müsst ihr euch selber aus der Küche holen.« Brandtner hoffte, dass er mit dieser etwas abwegigen Idee den Mann von einem Besuch abhalten konnte. Doch der willigte freudigst ein und meinte: »Wunderbar, wir kommen!« Tags darauf rief der Mann an und schwärmte von dem grandiosen Abend. So etwas habe er noch nie erlebt. Es war die Geburtsstunde eines neuen Konzepts. Jetzt war Brandtner überzeugt: Ein Lokal ist offenbar leichter voll zu bekommen, so die Conclusio, wenn sein Bestehen zeitlich begrenzt ist, wenn also schon früh feststeht, wann das Ende naht. Und es muss etwas Besonderes sein, cool und lässig, eine nicht alltägliche Location.

Glockengießerei Gusswerk wurde zu »brandtner 63«
Für sein erstes Pop-up-Projekt fand Brandt­ner eine ehemalige Glockengießerei, die unter der Bezeichnung »Gusswerk« als Rahmen für ein wenig erfolgreiches Restaurant diente. Das »Gusswerk« stand schon einige Zeit leer, Brandtner schlug den Besitzern vor, er würde sich für nur drei Monate einmieten, für eine freilich bescheidene Pacht. In dieser Zeit würden Medienberichte über das Lokal dafür sorgen, dass der Wert der Immobilie steige, so versprach es Brandtner zumindest den Eigentümern, die sofort einwilligten. Kurze Zeit später wurde in Salzburg das erste Pop-up-Lokal eröffnet, das »brandtner 63«, weil es eben nur 63 Tage existieren sollte.

Bemalte Ziegelsteine
Stefan Brandtner hatte immer schon einen Hang zur unkonventionellen Gangart. Um sein befristetes Gastroprojekt zu bewerben, schien ihm keine Idee ausgefallen genug. So verteilte er etwa in ganz Salzburg 500 weiß bemalte Ziegelsteine mit der Aufschrift »brandtner 63« sowie der Adresse und Telefonnummer des Lokals. Selbst seine Freunde fielen aus allen Wolken und meinten: »Habt ihr schon den Stefan gesehen? Der fährt mit einer Scheibtruhe voll mit weißen Ziegelsteinen durch die Stadt. Der ist völlig übergeschnappt!«

»Brandtner und seine Leit’« am Mozartplatz
Das Projekt wurde jedenfalls ein voller Erfolg. Brandtner wusste jetzt, dass er mit dieser Art von Lokalen nicht nur den Schattenseiten der herkömmlichen Spitzengastronomie entkommen war, es blieb auch genug in der Kasse übrig. Sein nächster Coup: Das »Brandtner und seine Leit’« mitten in Salzburg am Mozartplatz. Fazit: wieder drei Monate lang ein volles Haus an einem der schönsten Plätze der Stadt.

Brandtners »Mithridat«
Heuer im Sommer verwirklichte Brandtner sein drittes Pop-up-Projekt: das »Mithridat«. Der Name geht auf das Mittelalter zurück, in dieser Zeit war das Haus ein sogenanntes »Mithridatshäusl«, eine Art Gegengiftmischerei als Frühform der Apotheke. Das Konzept heute: Essen ohne Gluten, Laktose und andere potenzielle Störfaktoren – all das in einer Top-Qualität. Aber auch damit wird Ende des Jahres wieder Schluss sein. Und was kommt danach? »Vielleicht mach ich als Nächstes ein richtig cooles Burger-Lokal für Motorrad­fahrer«, meint der Harley-Davidson-Freak, »so was schwebt mir schon lange vor.«

von Herbert Hacker

Aus dem Falstaff-Magazin Ausgabe 7/2013

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