Sizilianische Weine: Tanz auf dem Vulkan

Auch am Ätna auf Sizilien wächst Wein. In mehr als 1000 Metern Höhe entstehen dort die ungewöhnlichsten Weine Italiens.

Mehr als 1000 Meter Seehöhe. Beängstigend rattert der alte Jeep über die Steinpiste. Ringsum verkrüppelte Bäume und Geröll, ganz oben leuchtet der weiße Schnee, tief unten funkelt das Azurblau des Mittelmeeres. Nach der nächs­ten Biegung endlich das Ziel: Alberto Graci zeigt stolz auf seine Weingärten, knorrige, verkrüppelte Reben auf über 1000 Metern Seehöhe. Die seien über 100 Jahre alt, meint Graci, alle noch wurzelecht. Wir befinden uns hoch oben auf dem Ätna, dem größten Vulkan Europas. Dort wachsen tatsächlich Trauben für Weine, die derzeit Fachwelt und Konsumenten hellauf begeistern.

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Renaissance
Weinbau am Ätna in Sizilien? Ja, den gibt es und zwar schon seit der Antike. Zwei Weltkriege und die Mechanisierung der Landwirtschaft in den 1960er- und 1970er- Jahren brachten allerdings für den Weinbau am Ätna einen großen Einbruch. Es entstand dort nur noch Wein für den Hausgebrauch.

Ascheregen fällt auf die Weingärten am Ätna / Foto: © Tommaso Saccarola

Erst in den 1990er-Jahren erlebte die un­gewöhnliche und bizarre Weinregion eine
Renaissance. Es war vor allem Giuseppe Benanti, ein erfolgreicher Unternehmer der Pharma­branche, der vor etlichen Jahren gemeinsam mit seinem damaligen Berater Salvo Foti Pionierarbeit leistete und mit seinem Weingut vor den Toren Catanias aufhorchen ließ. Mit Nachdruck setzten die beiden auf Nerello Mascalese. Benantis »Rovitello« und »Serra della Contessa« zählen inzwischen zu den besten Rotweinen Siziliens.

Großes Interesse an den Weinen vom Vulkan
Ein gutes Jahrzehnt später machten schließlich Andrea Franchetti und Marco de Grazia mit Weinen vom Ätna international Furore. Der Römer Franchetti hatte zuvor schon mit seiner Tenuta di Trinoro in der Toskana gezeigt, dass er sich auf die Erzeugung absoluter Spitzenweine vortrefflich versteht. De Grazia machte als Broker in den 1990er-Jahren die Weine aus dem Piemont international bekannt. Franchetti gründete mit Passopisciaro auf 850 Metern Höhe einen der höchstgelegenen Betriebe am Ätna. Etwas tiefer, aber in Sichtweite, stellte de Grazia seine Tenuta delle Terre Nere hin. Beide behaupteten einvernehmlich, am Ätna ließen sich große Rot- und Weißweine erzeugen, die keinen internationalen Vergleich zu scheuen bräuchten. Das ließ aufhorchen. Auch der Holländer Frank Cornelissen, der seine Naturweine in Tonamphoren vergärt und völlig ohne Schwefelzusatz ausbaut, trug dazu bei, dass bei der Fachwelt das Interesse an den Weinen vom Vulkan erwachte.

Weine vom Weingut ­Passopisciaro auf 850 Metern: Guardiola Sciaranuova 2009 / Foto: beigestellt

Durch die Lage am 3400 Meter hohen Ätna, von dem immer wieder kühle Fallwinde herunterströmen, und das äußerst mineralreiche Vulkangestein entstehen Weißweine und Rotweine von besonderer Stilistik. Sie sind finessenreich und mit betont salzig-mineralischem Geschmack. Am Ätna werden hauptsächlich autochthone Rebsorten verwendet. Bei Etna Bianco sind dies Carricante (Hauptanteil) und Catarratto, bei Etna Rosso heißt die Hauptsorte Nerello Mascalese, hinzu kommt etwas Nerello Cappuccio. Die Roten tragen die helle Farbe eines Barolo, erinnern in der Jugend auch mit ihrer Tanninstrenge an Nebbiolo, zeigen zugleich aber eine Eleganz wie Burgunder. Franchetti entwickelte bei Passopisciaro eine Vielfalt an Einzellagen-Weinen. Mittlerweile gibt es fünf Cru-Lagen, alle nicht größer als ein bis 1,5 Hektar: »Contrada Chiappemacine« auf 550 Metern, »Contrada Porcaria« auf 650 Metern, »Guardiola« und »Sciaranuova« auf 850 Metern und schließlich »Contrada Rampante« auf 1000 Metern Höhe. Hinzu kommt der hervorragende »Franchetti« aus Petit Verdot und der Cesanese-Traube, die sonst im Latium bekannt ist, sowie ein mineralischer Weißer aus der Lage Guardiola.

Alberto Graci zeigt mit Stolz seine Weingärten, die auf über 1000 Metern See­höhe liegen / Foto: beigestelltIm Schatten des Erfolges von Passopisciaro und Terre Nere schossen neue Weingüter wie die Pilze aus dem Boden. Auf dem Weingut Cottanera der Geschwister Cambria wurden schon seit den Neunzigerjahren charaktervolle Weine erzeugt. Während früher französische Edelsorten den Sortenspiegel prägten, wenden Mariangela und ihr Bruder Fran­cesco Cambria sich nun verstärkt dem Nerello Mascalese zu (Fatagione, Etna Rosso).

Viele junge, engagierte Weinbauern übernahmen die Weingärten ihrer Großväter und brachten neues Leben in die alten Kellergebäude. So etwa Alberto Graci in Passopisciaro. Er bearbeitet zwei Lagen mit alten, zum Teil noch wurzelechten Reben: die Lage Arcuraia auf 600–700 Metern und die Lage Barbabecchi, die bis auf 1100 Meter hinauf reicht. Sein weißer »Arcuria« und der rote »Quota 600« sind tiefgründig, zeigen aber auch ansprechende Fülle. Eine Rarität ist der »Quota 1000« aus dem höher gelegenen Weinberg. Michele Faro erweckte 2005 in Solicchiata eine alte Kellerei zu neuem Leben: Pietradolce. Er bearbeitet elf Hektar, die sich auf drei Lagen in Höhen von 600 bis 900 Metern verteilen. Sein »Vigna Barbagalli« ist faszinierend, auch den roten und weißen »Archineri« sollte man unbedingt probieren. Silvia Maestrelli aus der Toskana und Federico Curtaz, ein Agronom, der lange für Angelo Gaja arbeitete, taten sich 2007 zusammen und gründeten die Tenuta di Fessina. Neben Benanti sind sie die einzigen, die ihren Wein länger reifen lassen. In diesem Jahr kommt vom Spitzenwein »Musmeci« der Jahrgang 2008 auf den Markt, herausragend! Vielschichtig, mit viel satter Frucht und mineralischer Dichte zeigt sich auch der weiße »A’Puddara«. Weitere Namen, die man sich merken sollte, sind Federico Graziani, Custodi delle vigne dell’Etna und Caciorgna.

Der Ätna ruft
Auch die großen Namen des sizilianischen Weines folgten dem Ruf des Ätna. Neben Firriato (»Cavanera«, weiß und rot) und Duca di Salaparuta (»Lavico«) bauten Planeta und Tasca d’Almerita eigenständige Kellereien am Ätna. Tasca d’Almerita erzeugt die Rotweine »Tascante« und »Ghiaia Nera« sowie den weißen »Bonora« aus Carricante.

Weingut Graci in Passopisciaro / Foto: Alfio Garozzo

Die Familie Planeta wiederum konnte im vergangenen Jahr das neue Kellergebäude in der Lage Feudo di Mezzo fertigstellen. Erzeugt werden ein feiner Spumante in traditioneller Flaschengärung, ein sehr gelungener »Etna Bianco« und ein »Etna Rosso«. Hinzu kommen noch ein »Carricante« und ein »Nerello Mascalese« aus einem hoch gelegenen Weingarten, beide laufen unter der Bezeichnung »Eruzione 1614«.

Damit ist der Ausbruch von 1614 gemeint, der zehn Jahre dauerte und als die größte Eruption in der jüngeren Geschichte des Ätnas gilt.

Text von Othmar Kiem

Aus Falstaff 07/13 bzw. Falstaff Deutschland 06/13

Othmar Kiem
Othmar Kiem
Chefredakteur Falstaff Italien