Schweizer Geheimnis

Wird von der Schweiz gesprochen, denkt man an Schokolade, Käse, Uhren, Banken und Tourismus – aber nicht an Wein.

Manchmal ist es gut, nicht zu wissen, auf welchem Schatz man sitzt – zumal man sonst die Natürlichkeit verlieren könnte, mit der man damit umgeht. Schweizer Weine sind ein echter Schatz innerhalb der globalen Weinwelt. Sie sind qualitativ hochstehend, gezeichnet von Tradition, Partner der Gastronomie, lagerfähig und Erzeugnisse von äußerst passionierten Winzern, die ihre ­Eigenständigkeit lieben – und ihren Wein kaum exportieren. Das hat verschiedene Gründe, ein ganz wichtiger ist, dass die Schweizer ihren Wein selber trinken. Export von Schweizer Wein ist nicht zwingend, wie dies beispielsweise beim Käse der Fall ist. Von den jährlich rund 1,07 Millionen Hektolitern produzierten Schweizer Weins werden gute 95 Prozent im In der Schweiz werden auf knapp 15.000 Hektar ­Reben kultiviert, etwa 40 Prozent davon sind Weißwein/Foto: PRLand selbst konsumiert. Zusätzlich wird noch etwas mehr als die Jahresproduktion importiert, was die Schweiz zu einem äußerst weinaffinen Land macht. Der Pro-Kopf-Weinkonsum beläuft sich auf rund 38 Liter im Jahr. Kurz: Die Schweizer lieben Wein – auf unterschiedliche Art und Weise. Denn was das alpine Land im Herzen Europas ungemein prägt und ausmacht, sind die drei Landesteile mit drei Sprachkulturen: Die Westschweiz ist französisch, das Tessin italienisch und die Deutschschweiz deutsch.

Rot dominiert
In der Schweiz werden auf knapp 15.000 Hektar Reben kultiviert, was etwa der Hälfte der Champagne und 0,2 Prozent der globalen Rebfläche entspricht. Die Schweiz besteht aus 26 Kantonen, in denen praktisch überall Reben anzutreffen sind. Das Land ist in sechs offizielle Weinregionen unterteilt, die nach der Größe geordnet sind: Wallis (5113 Hektar), Waadt (3838 Hektar), Deutschschweiz (2593 Hektar), Genf (1297 Hektar), Tessin (1065 Hektar) und die Region der Drei Seen (940 Hektar). Knapp 60 Prozent der Schweizer Rebfläche sind mit roten Rebsorten bestockt. Nummer eins ist mit 4450 Hektar der Pinot Noir (Blauburgunder), gefolgt von Gamay, der im Genfer Weingebiet und im Waadtland den ersten Platz einnimmt, und dem Merlot, der vor knapp 100 Jahren im Tessin eine zweite Heimat gefunden hat. Bei den Weißweinen ist der Chasselas (4013 Hektar) Nummer eins, gefolgt von Müller-Thurgau (Riesling x Sylvaner) und Chardonnay.

Das Herz von Luigi Zanini, Winzer und Weinhändler, schlägt für Bordeaux und das Tessin./Foto: www.weinweltfoto.ch

Unterschiedliche Zugänge zum Wein
In der Westschweiz (Welschland) wird nicht nur am meisten Schweizer Wein produziert (75 Prozent), es wird auch primär der eigene Wein getrunken. Wein gehört hier zum täglichen Leben wie Pfeffer und Salz in die Küche. Wer um 11 Uhr vormittags noch einen Kaffee bestellt, outet sich als »Fremder« oder als »Deutschschweizer«, da um diese Zeit »un verre de blanc«, ein Glas Weißwein, angesagt ist. Ganz anders sind die Sitten in der deutschsprachigen Region. Die Apéro-Zeit beginnt hier erst um 18 Uhr, und Schweizer Wein ist nicht der Alleinherrscher der Weinkarten. Primär werden Weine aus Italien, Frankreich und Spanien getrunken. Generell ist der Deutschschweizer Weingenießer viel offener als der welsche. Weinhandlungen und Weingeschäfte sind voll von Weinen aus aller Welt – kaum eine Region, die nicht vertreten ist, und kaum ein önologischer Trend, der nicht entdeckt werden kann. Im Tessin verhält es sich ähnlich wie in der französischen Schweiz – der lokale Wein ist König, es gibt aber auch Abfüllungen aus dem angrenzenden Italien.

­Süßweinflaschen im Keller von ­Marie-Thérès Chappaz, ­Winzerin im Wallis. / Foto: www.weinweltfoto.chFacettenreichtum
Charakteristisch für den Schweizer Weinbau sind seine außerordentliche Vielfalt an Rebsorten und eine große Anzahl an Raritäten, die kaum in anderen Ländern zu finden sind. Die meisten dieser Sorten findet man im größten Weinbaugebiet, dem Wallis. Dieses Gebiet ist eine Region der Kontraste. Dort gibt es Gletscher und Palmen, Safran und Alpkäse, Chasselas und Heida. Mit 5200 Hektar Rebfläche verfügt das Wallis über ein Drittel der gesamten Schweizer Rebfläche und gilt als der Spezialitätenkanton schlechthin. Auch wenn hier die Hauptweißweinsorte Chasselas kultiviert wird, ist das Wallis mit weltweit einzigartigen Sorten wie Petite Arvine, Heida, Humagne Rouge, Humagne Blanche oder Cornalin ein Mekka für Wein­aficionados. Die Rede ist von 60 verschiedenen Rebsorten. Nicht ­selten setzt sich das Angebot der Winzer (auch wenn sie nur gerade drei Hektar Rebland kultivieren) aus 25 bis 30 Weinen zusammen.

Der Rieben-Rebberg steigt steil zum Himmel empor bis auf eine Höhe von 1150 Metern über dem Meer. Hunderte von Stützmauern haben die Steilhänge hier in kleine Rebgärten verwandelt, die oft nicht größer als zwei Leintücher sind. / Foto: www.weinweltfoto.chDer höchst gelegene Weingarten Europas
Die Walliser Rebberge dehnen sich entlang dem Lauf der Rhône (die ihren Ursprung im Wallis hat) aus, wobei die meisten im Haupttal zwischen Leuk und Martigny liegen. Charakteristisch für die Walliser Rebfläche ist auch ihre Zerstückelung. Es werden nicht weniger als 120.000 Rebparzellen gezählt. Einer der extremsten Weinberge und zugleich auch einer der höchsten Rebberge Europas befindet sich im Oberwallis – in Visperterminen, einem alpinen Winzerdorf. Sein Name: Rieben. Er steigt bis auf 1150 Meter Seehöhe empor. Der Walliser Weinbau profitiert von einem sehr speziellen Steppenklima, das sich durch heiße Sommer und lange, milde Herbstwochen auszeichnet. Wenig Nebel und regelmäßiger Föhnwind üben einen weiteren positiven Einfluss auf die Entwicklung der Trauben aus, indem sie unter anderem Fäulnisbildung verhindern. Die Walliser Rebberge sind stark vom Relief eines Alpentales geprägt. Die meisten Reben wachsen in Steillagen von 60 bis 70 Prozent Gefälle. Um dem etwas entgegenzutreten, hat die letzte Winzergeneration mit dem Bau zahlreicher Terrassen begonnen, die von Trockensteinmauern gestützt werden. Sie gehören heute zum Landschaftsbild und gelten als kulturelles Erbe des Kantons.

Es lebe die Vielfalt!

Spricht man vom Schweizer Wein, ist es schwierig, eine allgemein gültige Definition zu finden, denn allein schon die drei Sprachregio­nen der Schweiz führen dazu, dass es drei Wein- und Lebenskulturen punkto Genuss und Konsum gibt – ganz zu schweigen von der rätoromanischen Sprache, die seit 1938 als vierte Landessprache gilt.

Eine Wandtafel im Presskeller des Maison Carrée / Foto: www.weinweltfoto.chDie Schweiz ist ein Land des Konsenses – oder zumindest der Konsenssuche, der Präzision und des Strebens nach hoher Qualität. Die Schweizer sind von der Notwendigkeit, dieses eigenartige heterogene Gebilde der Eidgenossenschaft einigermaßen zusammenzuhalten, geprägt. Nichtsdestoweniger war die Zeit, Schweizer Weine auf dem Weltmarkt zu präsentieren, nie besser, denn so viele authentische, ­autochthone und von der Außenwelt unbeeinflusste Weine sind in ­einer global gewordenen Weinwelt mehr als willkommen.

Kaum gefragt bei den Nachbarn

Auf dem österreichischen Markt spielen die Schweizer Weine abgesehen vom unmittelbaren Grenzgebiet leider so gut wie keine Rolle. Die exzellenten Weine vom Weingut Gantenbein sind die einzigen, die bisher Einzug in die Weinkarten gefunden haben. Im Tastingbereich hat die Autorin daher eine kleine Auswahl von Weinen zusammengestellt, die als repräsentativ für das jeweilige Herkunftsgebiet gelten dürfen.

Den vollständigen Artikel mit einer ausführlichen Beschreibung der Schweizer Weinbaugebiete lesen Sie im Falstaff Nr. 03/2011 - Jetzt im Handel!

Zu den Verkostungsnotizen


Text von Chandra Kurt
Fotos: www.weinweltfoto.ch