Runder Tisch: Genuss aus dem Wald
Bundesforste-Vorstand Rudolf Freidhager (r.) und der niederösterreichische Landesjägermeister Josef Pröll (l.).
© Johannes Kernmayer

Bundesforste-Vorstand Rudolf Freidhager (r.) und der niederösterreichische Landesjägermeister Josef Pröll (l.).
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Falstaff: Warum gibt es gerade in Österreich so herrlich viel Wild?
Josef Pröll: Österreich bietet einen Variantenreichtum, der schon sehr bemerkenswert ist. Das ist natürlich der herrlichen Vielfalt unseres Biotops zu verdanken. Vom Neusiedler See, wo das Niederwild wie Hase, Fasan und anderes Wildgeflügel ideale Bedingungen vorfindet, über die ausgedehnten Waldgebiete mit Rot- und Rehwild sowie Wildschweinen in der Steiermark, in Nieder- und Oberösterreich bis zum Hochgebirge, wo wir außerordentliche Bestände an Gamswild verzeichnen dürfen: Das ist, trotz der relativen Kleinheit des Landes, schon eine einzigartig reichhaltige – und vor allem intakte – Natur, die natürlich dem Wild zugute kommt.
Rudolf Freidhager: Diese tolle Vielfalt ist das eine, die Menge an Wildbret, die uns daraus erwächst, das andere. Auf den 840.000 Hektar Jagdfläche der Bundesforste verteilen sich über 1.000 Reviere, die alljährlich mehr als 1.100 Tonnen Wildbret aus der Jagd gewinnen. Es gilt aber zu bedenken, dass unsere Reviere zu großen Teilen im Hochgebirge sind, und dass wir »nur« für zehn Prozent der gesamten Jagdfläche des Landes verantwortlich zeichnen.
Pröll: Genau, aufs gesamte Bundesgebiet ausgedehnt, kann man durchaus vom Zehnfachen ausgehen: Und das Wildschwein, das natürlich im Gebirge kaum ins Gewicht fällt, zeigt etwa in der Steiermark und in Niederösterreich eine geradezu explosionsartige Entwicklung. Früher, zu Zeiten des Eisernen Vorhangs, fiel es kaum ins Gewicht, inzwischen aber werden in Österreich jedes Jahr an die 430.000 Wildschweine erlegt. Und es sollten noch viel mehr sein, wenn es nach den Waldbesitzern und Bauern geht – in dieser Menge richten die Tiere schließlich erhebliche Schäden an.
Für Freunde des guten Essens aber ist das eine hervorragende Nachricht. In kulinarisch herausragenden Regionen wie der Toskana ist Wildschwein von den Speisekarten bekanntlich nicht wegzudenken. Das könnte also bei uns schon längst auch so sein?
Pröll: Am Angebot liegt es ganz sicher nicht. Aber Sie müssen bedenken, dass Wildschwein in der Toskana eben eine lange Tradition hat, in einer Vielzahl wunderbarer Gerichte Eingang findet und von Feinschmeckern hoch geschätzt wird. Da sind wir in Österreich leider noch weit entfernt, bei uns müssen die Jäger froh sein, wenn sie beim Wildbrethändler einen Euro pro Kilo Wildschwein erzielen können.

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Dabei lieben wir Österreicher doch die italienische Küche? Was wir in Italien als »Ragù di Cinghiale« mit Freuden essen, wollen wir daheim als Wildschweinragout nicht bestellen? Was läuft da schief?
Pröll: Essen ist eine sehr emotionale Sache, da spielen Tradition und die Erfüllung von Erwartungshaltungen eine zentrale Rolle. Nachdem Wildschwein bei uns noch keine solche Tradition hat, müssen wir hier noch viel investieren, um es als das köstliche, nachhaltige und naturbelassene Lebensmittel in den Köpfen und Herzen der Menschen zu verankern, das es ganz objektiv darstellt. Wir sind da im Jagdverband sehr aktiv, machen etwa Grillkurse und andere Aktivitäten, um die Vielfalt der kulinarischen Einsatzmöglichkeiten von Wildbret aufzuzeigen. Viele sind noch überrascht, dass Wild keineswegs in den altmodischen, dicken Saucen zubereitet werden muss. Kurz gebraten ist es nicht nur bekömmlicher, sondern gerade auch für jene zugänglich, die meinen, dass Wild immer einen gewöhnungsbedürftigen Eigengeschmack habe. Das sorgt regelmäßig für Überraschungen.
Freidhager: Derzeit sind wir in der merkwürdigen Situation, zu viel erstklassiges Wildbret in Österreich zu haben und es deshalb in kulinarisch hoch entwickelte Länder wie Frankreich oder die Schweiz exportieren zu müssen. Dort gilt Wild als absolute Delikatesse. Aber es wäre doch schön, wenn dieses herausragende heimische Lebensmittel auch in der Feinschmeckernation Österreich entsprechend nachgefragt würde.
Kann es sein, dass der Preis eine Rolle spielt? Wenn ich im Handel Rehschlögel oder gar Rücken einkaufe, ist das mitunter deutlich teurer als Premium-Beef. Läuft da etwas falsch?
Freidhager: Es stimmt, dass Wildbret im Einzelhandel schnell einmal eine Stange Geld kostet – davon sieht der Jäger aber nur einen ganz geringen Teil. Zum Glück gibt es noch andere Möglichkeiten, an erstklassiges Wild zu kommen. Immer mehr Jäger verlegen sich darauf, Wild in Direktvermarktung anzubieten, perfekt zerlegt und vakuumiert. Im Internet findet man schnell entsprechende Anbieter in den jeweiligen Regionen, da hat sich zum Glück viel getan – und da ist es ganz entscheidend viel preisgünstiger zu haben. Als Bundesforste investieren wir gerade auch im hochalpinen Raum in moderne Wildkammern, damit das Fleisch binnen kürzester Zeit in die Kühlung – und damit in bestmöglicher Qualität zum Konsumenten kommen kann.
Pröll: Dem kann ich nur beipflichten: Der beste Weg zu leistbarem Wild führt in Zeiten wie diesen, wo die Marktkultur sich doch sehr verändert hat, ganz eindeutig direkt zum Jäger. Im persönlichen Kontakt hat man auch die Gewissheit, dass die Ware wirklich erstklassig ist. Wild hat ja eine Nachvollziehbarkeit der Herkunft und Nahrungsaufnahme, die man sich bei vielem anderen Fleisch nur wünschen kann! Wir bieten im Jagdverband viele Weiterbildungsmöglichkeiten an, vom richtigen, konsumentengerechten Zerwirken des Wildbrets bis hin zum richtigen Schuss, der beste Fleischqualität sichert.

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Manche Wildarten gehen aber gerade in den vergangenen Jahren dramatisch zurück, speziell Niederwild wie Hasen und Wildgeflügel, das historisch ja als edelstes Wild überhaupt gilt. Woran liegt das, wie kann da gegengesteuert werden?
Pröll: Es stimmt, dass die Entwicklung der großflächigen Landwirtschaft die Artenvielfalt bei Niederwild, aber mindestens genauso auch bei Singvögeln und nützlichen Insekten wie Bienen, dramatisch gefährdet. Wenn Rückzugsräume wie Hecken und Böschungen ausgeräumt werden, dann geraten auch die Tiere unter Druck, die hier ihren Lebens- und Rückzugsraum vor Beutegreifern wie Fuchs oder Bussard haben. Wir kämpfen deshalb seit Jahren für mehr Investitionen für den Artenschutz in landwirtschaftlichen Gebieten. Hecken und Grünstreifen bieten ja auch Schutz vor der Bodenerosion durch Wind. Natürlich darf man das nicht auf dem Rücken der Bauern austragen. Aber was spricht dagegen, dass der Quadratmeter Rückzugsgebiet bei den Förderungen ebenso viel wert ist wie der Quadratmeter Weizen- oder Maisfeld? Damit könnten wir die traditionelle Artenvielfalt unserer Regionen deutlich stärken. Gerade Rebhühner, die es derzeit wirklich schwer haben, reagieren auf Verbesserungen ihres Lebensraums sehr rasch mit zunehmender Population. Das ist für Feinschmecker erfreulich – aber mindestens ebenso für uns alle, die wir die Schönheit der Natur gerade auch in der Wildtierbeobachtung genießen.

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