Rindfleisch: Geschmackvoll marmoriert

Magere Steaks galten lang als das Beste vom Rind. Das hat sich inzwischen grundlegend geändert – was die Köche Hendrik Otto, Roland Trettl und Mario Plachutta bestätigen.

Hendrik Otto kennt die Landluft. Aus seiner Heimat nördlich von Leipzig. Seit den Kindertagen auf dem Bauernhof weiß der Zwei-Sterne-Koch aus dem Restaurant »Lorenz Adlon« im Berliner Hotel Adlon: »Ein Jungbulle muss schon 18 Monate auf der Weide stehen und die Möglichkeit haben, sich ausgiebig zu bewegen. Sonst setzt sich das Fett nicht im Fleisch ab, sondern obenauf.«

Die feinen weißen Äderchen, die Filet, Roastbeef und Brust durchziehen, sind Qualitätsmerkmal für Profiköche und Gourmets. Die Rede ist von »großartiger Marmorierung« und »vorzüglichem Geschmack«.

Wolfgang Otto, Mitinhaber des Feinkostversands Otto Gourmet, ist der Auffassung, viele Feinschmecker wüssten wieder, was gutes Fleisch wirklich wert ist: »Für sie ist Fleisch nicht nur Nahrung, sondern Genuss.« Lediglich ausgewachsene Tiere, »die alt genug geworden sind und sich genug bewegt haben, liefern Fleisch mit ausgeprägter Marmorierung«, sagt der Mann, der sich selbst Fleisch-Sommelier nennt. Zudem bestimme das Erbgut den Anteil und die Größe der Muskeln. 
Für Steaks und Braten sei »eine gute Mar­morierung das Um und Auf«, weiß Mario Plachutta, Chef des »Plachutta«, der Wiener Institution für Rindfleisch. Feine Fettstreifen, die industrielle Mastbetriebe auf der Suche nach dem vermeintlich gesunden Braten wegzüchten, »geben dem Fleisch Geschmack, halten den Saft und machen es zart«, so Plachutta.

Rindfleisch hat wieder einen Namen. Auf den Speisekarten der Spitzenköche stehen Charolais, Hereford, Angus, Limousin, Blonde d’Aquitaine oder Chianina, bullige Bullen und kräftige Kühe, die in Irland, Australien und Amerika bis zum Horizont und weiter grasen.

Wie auf der Farm von Dan Morgan in den Weiten Nebraskas. Dort können die Rinder, anders als die meisten hierzulande, zwei Jahre lang in Ruhe leben. Zudem bieten die Amerikaner, so Hendrik Otto, »andere, kleinere Zuschnitte an und trennen so verschiedene Fleischsorten. Ich kann viel ausprobieren. Flankenstücke mal schmoren, mal kurz braten.«

Die Väter der Spitzenküche besinnen sich auf das Handwerk ihrer Großväter. Das Fleisch soll vom Schlachttag bis zum Suppentopf abhängen. Direkt am Knochen, dunkler als in jeder Supermarkttheke. Das sogenannte dry aged Beef ist sensationell, davon ist Roland Trettl, Spitzenkoch im »Ikarus« im Hangar-7 in Salzburg, überzeugt. »Ansonsten ist Rindfleisch, vor allem im Vakuumbeutel, turbogereift, meistens zu frisch und hat eine säuerliche Note.« Trettl lässt am liebs­ten das Rind ein Rind sein, ohne viel Tamtam, »mit einem geilen Olivenöl und einem geilen Salz pur auf dem Teller«.

Im »Plachutta« kommt zwar kein dry aged Beef in die Töpfe, aber Mario Plachutta weiß, dass auch mit der traditionellen Methode »aus einem schlechten Grundprodukt kein gutes wird«. Er selbst habe unlängst in Kopenhagen allerdings ein hervorragendes dry aged Sirloinsteak gegessen.

Nicht nur die edlen Teile der Klassenbesten lassen sich Köche und Gourmets ins Haus liefern. Selbst ältere Tiere taugen nun wieder für saftige Steaks und schmackhafte Schmorstücke. Lange Zeit war die Suche nach Rindern, die Sommer wie Winter im Freien auf Weiden oder Feldern waren, vergebens – sowohl auf Bauernhöfen wie auf Speisekarten. Deren Kraft, im Fett und in den Muskeln gespeichert, gibt ein kräftiges Aroma. Fett gilt wieder als fein. »Wir ernähren uns gesünder«, sagt Hendrik Otto, »weil auch das Tier gesund gelebt hat.« Er wünscht sich, wieder dahin zu kommen, dass »der Sonntagsbraten die Krönung der Woche« ist.

Hendrik Otto, Restaurant »Lorenz Adlon« im Hotel Adlon Kempinski Berlin: Wagyubrust mit Schnittlauchrahm, Karotte, Sellerie und Schalotte

Roland Trettl aus dem »Ikarus« im Hangar-7 in Salzburg: Rinderkotelett vom Grill mit drei Saucen

Mario Plachutta aus dem »Plachutta« in Wien: Tafelspitz mit Rösterdäpfeln, Cremespinat, Apfelkren und Schnittlauchsauce

Den vollständigen Artikel lesen Sie im aktuellen Falstaff Nr. 01/2012.

Text von Oliver Zelt  
Fotos vom Thomas Schauer  
Food-Styling von Franz Karner