Stolz darauf, nicht authentisch zu kochen: Ravinder Bhogal vereint zahlreiche Küchen in ihren Rezepten.

Stolz darauf, nicht authentisch zu kochen: Ravinder Bhogal vereint zahlreiche Küchen in ihren Rezepten.
© Ahmed Rahli

Ravinder Bhogal: Rezepte aus dem Restaurant »Jikoni«

Von überall das Beste: Das Kind indischer Einwanderer hat ein Kochbuch über ihre »wunderbare Bastardküche« geschrieben.

Wenn Sie wissen wollen, wie die Zukunft des guten Essens aussieht, Ravinder Bhogals Restaurant »Jikoni« in London ist wahrscheinlich ein ziemlich guter Ort, sie, die Zukunft, jetzt schon zu kosten. Mitten in Marylebone, einem altehrwürdigen Stadtteil im Herzen von London, tischt die junge Köchin Gerichte auf, die es so noch nicht gegeben hat.

Kimchi Paratas stehen da etwa auf der Karte, das klassisch-saure Fladenbrot Indiens mit dem scharf vergorenen Kohl Koreas gefüllt, oder Fishcakes mit Erbsen, Minze und Curry Hollandaise – ein schwindelerregender Tanz von Thai-, indischen, französischen und britischen Aromen und Techniken. Bei Prawn Toast, Scotch Egg und Tomato Ketchup werden ebenfalls mehrere Kontinente vermischt. Vergleichsweise klassisch geht es bei Spargel mit brauner Butter, geräuchertem Paneer (indischem Frischkäse) und eingelegten Salzzitronen zu.

Manches davon mag wild klingen – aber es funktioniert. Die Restaurantkritiker der britischen Hauptstadt überhäufen Bhogal und »Jikoni« seit seiner Eröffnung 2016 mit Lob und feiern die junge Frau als eines der größten britischen Kochtalente. Dabei tut Bhogal nur, was Einwanderer in großen Städten immer schon getan haben: Sie kombiniert das Beste aus verschiedenen, ihr bekannten Welten.

Wunderbare Bastard-Küche

Vor über 100 Jahren etwa entstand in Wien so aus italienischen, böhmischen, mährischen Kochkulturen das, was wir heute als urtypische Wiener Küche feiern. Und auf der anderen Seite des Atlantiks formte sich etwa zur selben Zeit aus zahlreichen europäischen Einflüssen jene US-amerikanische Esskultur mit Hamburger, Pommes frites oder Hotdogs, die mittlerweile weltweit erfolgreich ist.

Als Fusion Cuisine will Boghal ihre Form von Essen aber nicht verstanden wissen – sie bevorzugt den Begriff »Immigranten-Küche«. »Meine Rezepte sind nicht bloß eine nostalgische Ballade an mein altes Land oder meine Vorfahren«, schreibt sie. »Sie spiegeln die Tiefe und Weite meiner Immigranten-Welt wider, in der es keine Monokulturen gibt. Unsere Küche dort ist riesig und vielseitig, weil wir so viele Grenzen überschreiten. Wir bewahren unser kulinarisches Erbe und bereichern es mit Traditionen unserer vielen neuen Heimaten – und dabei kreieren wir eine wunderbare Bastard-Küche.«

Kitchen with no Borders

Bhogal ist, wie ihr Essen, ein Kind vieler Welten: Als Tochter indischer Einwanderer in Kenia geboren, übersiedelte die Familie nach London, als sie sechs Jahre alt war. In der Schule wegen ihres Akzents verspottet und nicht an das deprimierende Wetter oder winzige Londoner Wohnungen gewöhnt, wurde Kochen – und Essen – für das kleine Mädchen zu einer Möglichkeit, mit der neuen, schwierigen Situation umzugehen. 

»Es war, als könnte ich durchs Kochen meine alte und neue Welt versöhnen«, schrieb sie in einem Kommentar im britischen »Guardian«. »In der Küche und beim Lesen von Kochbüchern fühlte ich mich wohl und zugehörig. (...) Ich glaube, »Jikoni«, mein Restaurant, zu eröffnen, war für mich eine Möglichkeit, einen Ort zu schaffen, an dem ich wirklich zugehörig bin.«

Dank Internet und günstigen Langstreckenflügen können Menschen und ihre Kochtraditionen heute leichter und schneller reisen als je zuvor. Wir können also ziemlich zuversichtlich sein, dass uns mehr und mehr Talente wie Bhogal mit ihren »wunderbaren Bastard-Küchen« bekochen werden – und das ist sehr, sehr gut so. Wer die Zukunft jetzt schon kosten will, ohne nach London zu fliegen: Soeben ist Bhogals neues Kochbuch erschienen. Wir bringen auf den kommenden Seiten drei spannende Beispiele.

Foto beigestellt

Ravinder Bhogal
Jikoni – Proudly inauthentic recipes from an immigrant kitchen
304 Seiten
€ 28,–
Bloomsbury Publishing
bloomsbury.com

Erschienen in
Falstaff Rezepte 03/2020

Zum Magazin

Tobias Müller
Autor
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