Majestätische Kulisse für ein royales Schiff: Die Queen Mary 2 der Reederei Cunard fährt als einziges Schiff noch linienmäßig zwischen Europa und den USA.

Majestätische Kulisse für ein royales Schiff: Die Queen Mary 2 der Reederei Cunard fährt als einziges Schiff noch linienmäßig zwischen Europa und den USA.
© Jonathan Atkin

Queen Mary 2: Habe die Ehre, Majestät!

Die Verbindung zwischen Europa und den USA ist die traditionsreichste Strecke für Kreuzfahrtschiffe überhaupt. Früher brauchte man dafür Mut, heute kann man auf der Queen Mary 2 komfortabel unseren Vorfahren nachspüren.

Englischer Tee schwappt sanft im Tässchen, vor den großen Schiffsfenstern schwappt, gar nicht sanft, der Atlantik. Ein Kellner in Livree und Handschuhen reicht eine Etagere mit Küchlein, ein Scone darf’s schon noch sein. Afternoon Tea auf der Queen Mary 2. Er gehört zum Schiff wie Bridge und Shuffleboard auf dem Oberdeck. Die Titanic blieb 1912 auf der Strecke, doch ihre Traditionen und der gepflegte Luxus auf dem Weg von Southampton nach New York gingen nie unter. »It’s not a cruise, it’s a crossing«, sagt Kapitän Aseem A. Hashimi am Abend, als er in Gala-Uniform seine Gäste begrüßt – wir sind nicht auf einer Kreuzfahrt, sondern auf der Atlantiküberquerung. Eine Passage, die allenfalls die Mutter aller Kreuzfahrten ist, Queen Mum sozusagen. Bis die Zeit der Passagierflugzeuge anbrach, in den 1950ern. Majestätisch und still hatte sich das Schiff in Southampton vom Pier gelöst, die Bordkapelle spielte auf dem Pooldeck Dixie, tief dröhnte das Schiffshorn, Menschen winkten von den Stränden Southamptons. Nächster Halt: Amerika.

Auf der Queen Mary 2 nach New York – Mitten durch die Vergangenheit.

Anfang der 60er-Jahre fuhren noch über 100 Reedereien linienmäßig von Europa nach Amerika. Jetzt ist es nur noch eine einzige: Cunard mit der Queen Mary 2. Für Menschen, die Zeit haben – oder Flugangst. Die schon die Anreise nach New York als Urlaub genießen wollen. Die Nostalgie schätzen. Im 19. Jahrhundert war die Tour eher Tortur. Mit bis zu fünf Klassen und Anstehen für einen Teller Suppe, wenn der Wind mit acht Windstärken über den Ozean peitschte. Menschen auf dem Weg von der alten in die neue Welt. Um die Jahrhundertwende wurden die Schiffe zu schwimmenden Grand Hotels, aber die Klassengesellschaft blieb: Handelsreisende, Auswanderer, Glückssucher. In der ersten Klasse reiste man mit Schrankkoffern, in den Unterdecks mit Träumen und Ängsten. In ein Abenteuer. Oder ins Verderben.

Noblesse oblige, es ist noch immer so: Auf dem Weg zwischen den Decks, den Bars und Restaurants grüßen die Queen und ihre Verwandten von den Wänden, vor der schwungvollen Freitreppe in der Grand Lobby spielt ein Pianist Bach-Fugen, im vornehmen »Britannia Restaurant« werden Kaviar, Langusten und auf den Punkt gegartes Steak serviert. Abendgarderobe: ab 18 Uhr Pflicht.

Acht Tage dauert die Reise

Anfang des 20. Jahrhunderts dauerte das Vergnügen vier Tage. Die Queen Mary 2 lässt sich eine gute Woche Zeit. Julie, 70, zieht mit dieser Überfahrt von Newcastle nach New York um. Ella, 93, gönnt sich die Reise mit der Queen jedes Jahr. »Bald«, sagt sie verzückt zu ihrer Tochter Gilda, die das erste Mal an Bord ist, »siehst du nichts mehr als Wasser.«

Die Unendlichkeit des Meeres

Schon am nächsten Tag ist es so weit. Auf Deck sieben versinkt man in den Polstern eines der Holzliegestühle und in Gedanken an die Unendlichkeit des Meeres. Bishop Rock hinter Englands Südküste und Ärmelkanal, der offizielle Beginn der Transatlantikroute, ist passiert. Vor uns – ein unsichtbares Ziel. Nicht einmal Containerfrachter sind noch zu sehen. Woher nahm Kolumbus einst nur die Gewissheit, dass die Welt irgendwo da hinten noch weitergeht? Ein ganzes Gebirge liegt unter uns: die Maxwell-Bruchzone, ein Riss mitten im Atlantik. Faszinierend. Den Atlantik erfahren. Das ist hier nicht nur ein Wort. Rund 20 Seemeilen pro Stunde, rund 35 Stundenkilometer, bewegt sich das Schiff zwischen den Kontinenten. Durch eine Gegend, wo nur noch die Natur regiert. Die Schwanzflosse eines Wals peitscht durchs Wasser, Wind macht den Atlantik so wütend, dass man sich lieber mit einem Kaffee in die weichen Sitzecken im Schiff kuschelt und das Spektakel von innen betrachtet.

Noch vier Tage bis zur Ankunft in New York

Tag vier, die Wellen sind länger geworden, der Atlantik gleicht einer sanften Hügellandschaft. Der Weg ist das Ziel. Hier, nahe der Grand Bank von Neufundland, geht es schon mal dreieinhalb Kilometer in die Tiefe. Die Tage auf der Queen Mary 2 haben 25 Stunden. Die Uhr wird jeweils in den Nächten zurückgestellt, wir fahren ja nach Westen. Am Nachmittag lädt die Natur zur Extravorstellung: Delfine springen durchs Wasser, das sich nach dem Sturm in der Nacht zuvor wieder völlig beruhigt hat. Im »Commodore Club« auf Deck acht mixt der Barkeeper einen letzten »Transatlantic Love Affair«, den Cocktail zur Nacht: Gin, Sherry, Angostura und ein bisschen mehr. Prost, die letzte Gaumenfreude vor New York.

Tag acht. Sehr früher Morgen. Die Lichter New Yorks glitzern in der Ferne. Jetzt noch Verrazzano-Brücke, dann Brooklyn. Die Menschen auf den Passagen des letzten Jahrhunderts werden gedacht haben: »Endlich!« Wir denken: »Schade eigentlich.«
Aber: »It’s a crossing, not a cruise.«

Erschienen in
Falstaff Cruises 2019

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Silke Pfersdorf
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