Executive Crew von »Hannahs Plan – Eventagentur und Catering«: Mario Raaber, Hannah Neunteufel und Jakob Neunteufel.

Executive Crew von »Hannahs Plan – Eventagentur und Catering«: Mario Raaber, Hannah Neunteufel und Jakob Neunteufel.
© Markus Morianz

Post pandemic: Viel hilft viel

Und jetzt? Wie wird es weitergehen nach einem freudlosen Jahr, geprägt von Verzicht und Monotonie? Branchenkenner sagen: vor allem mit viel Lebensfreude. Profi stimmt in diesen Kanon nur zu gerne ein und wagt eine Prognose.

»Fast ein bisschen Partyfeeling«, schreibt eine Instagram-Userin nach ihrem Besuch im Eisgeschäft »Minus« in Hamburg. Eiscreme mit Techno-Topping, warum auch nicht? In Zeiten, in denen Gastro und Hotellerie einen Marathon-Atem beweisen musste, waren diese kleinen Ausreißer bei den leidgeprüften Menschen äußerst beliebt. Ein paar Beats, wenn man sich ein Eis holt, der Blick auf eine Diskokugel, der Hauch von Baratmosphäre – das hat dann schon gereicht. Oder reichen müssen. Die Menschen sind ausgehungert und wollen Versäumtes nachholen.

In sozialen Medien häufte sich der Hashtag »Revenge Tourismus«, also Rache-Tourismus. Ein etwas unglücklich gewählter Begriff, der nur klar machen sollte, dass viele nicht planen, es langsam angehen zu lassen, sondern eher gemäß dem Prinzip: »Wehe, wenn sie los gelassen.« »Studio 54«-Mitbegründer und Hoteldesign-Mastermind Ian Schrager sinnierte in einem Interview mit CNTraveler über das, was kommen könnte. »Die Leute wollen etwas Magisches, die große Bühne, die Theatralik. Sie wollen ihre Lebensgeister wieder zum Leben erwecken. Sie wollen diese Spannung in der Luft.« Es gehe ums gute Gefühl, so der gebürtige New Yorker. Und wenn der Mann, dessen Hotel-Imperium (Marken: »Edition«, »Public«) sich 2021 wieder um einige Standorte erweitern soll (einen Ableger am New Yorker Times Square musste er letztes Jahr schließen), das sagt, dann sollte man durchaus hellhörig werden.

Schrager gilt als Wegbereiter der Boutique-Hotels und hat so in gewissem Sinne auch zur Boutiquisierung der Branche beigetragen. Über die Jahre entstand ein Good Taste-Mainstream und die Hotels – später Privatwohnungen – fingen an, alle mehr oder weniger gleich auszusehen. Man bekam das Gefühl, diese oft sehr minimalistische Ästhetik klebt an der Hotellerie, verklebt sie zuweilen leider auch. Die These: Jetzt könnte eine Zeit des Umbruchs gekommen sein. Man denke an die »Roaring Twenties«, die nach dem Ersten Weltkrieg durchgebrochen sind. Oder die Hippie-Bewegung, eine Revolution als Antwort auf den Vietnamkrieg. Der Krieg gegen das Corona-Virus mag zwar von der Couch aus gefochten worden sein und ist nur bedingt vergleichbar, aber hat den Menschen trotzdem so einiges abverlangt.

»Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.«
Max Frisch, Schriftsteller

Was wird die Krise Neues hervorbringen? Schrager hat einst davon gesprochen, das Clubfeeling seines »Studio 54« in die Lobby der Hotels bringen zu wollen. Warum nicht, es muss ja nicht unbedingt die Beschallung sein. Das »Studio 54« war bekanntermaßen ein Kaleidoskop aus Musik, Kunst und Performance. Nehmen wir nur die Diskokugel: dieses Kultstück hebt dem Betrachter den Spiegel vor, wie sonst kaum ein Objekt – so beschreibt das die Wiener Eventplanerin Hannah Neunteufel im Interview mit Profi (siehe unten).

Die Zimmer im US-amerikanischen »Dive Motel« sind etwa mit dem »Party Switch« ausgestattet, der eine Diskokugel (über dem Bett!) und ein passendes Musikprogramm aktiviert. Oder man denke an das »Ruby Sofie« in Wien, in dem man sich E-Gitarren ausleihen kann. Im (schallisolierten) Zimmer wartet schon der Verstärker. In Florida hat diesen Frühling ein Hotel aufgemacht, das sich das Credo gleich als Namen verpasst hat. »the goodtime hotel«, mitgegründet von Musiker Pharrell Williams (»Happy«). Bei der Optik scheint der Instagram-Algorithmus mitdesignt zu haben, aber das ist nur bedingt fair, man könnte es auch als unkaputtbaren Tropic Chic betiteln. So oder so – der Kunde von heute erwartet sich »good times« und, wie Eventplanerin Neunteufel sagt: »Viel hilft viel.«

Werner Aisslinger aus dem Studio Aisslinger (u. a. mehrere »25hours Hotels«), Berlin und Singapur.
© Steffen Jänicke
Werner Aisslinger aus dem Studio Aisslinger (u. a. mehrere »25hours Hotels«), Berlin und Singapur.

Drei Fragen an Hannah Neunteufel und Werner Aisslinger

Profi: Inspiration für diesen Artikel war u. a. ein Interview mit Ian Schrager, der meinte, dass das Post Pandemic-Design davon gekennzeichnet sein wird, dass der Mensch ein unglaubliches Bedürfnis nach Feiern haben wird. Wie sehen Sie das?
Werner Aisslinger: Ich glaube eher, dass der durch die Pandemie verursachte Schub der Digitalisierung die Frage der (Selbst-)Optimierung noch weiter in den Vordergrund schieben wird. Alles muss möglichst schnell und reibungsfrei organisiert sein. Bei der Arbeit genauso wie im Privaten. Die Menschen werden überall nach dem konkreten individuellen Nutzen für sie selbst, ihr Leben fragen. Unschuldige Partypeople gehören der Vergangenheit an. Design muss in so einer Welt vor allem dafür sorgen, dass in den ganzen optimierten Abläufen die Überraschung, das Unvorhergesehene, der sinnliche Reiz noch seinen Raum hat. Das wird schwer, aber unumgänglich sein. Alles andere hieße, die humane Welt zu verabschieden.
Hannah Neunteufel: Ich sehe das wie Ian Schrager, nicht nur, weil ich in meinem High-End-Beatkeller, drei Geschoße unter dem Vienna Ballhaus eine originale »Studio 54«-Couch stehen habe. Die Gründe dafür sind weitaus vielschichtiger als die perfekt definierten Elefantensofafalten: Ausgelassenheit, mehr mit als ohne Stil, der Durst nach Schönheit, Sehen und Gesehenwerden, sich fesch machen, das Kreieren von unvergesslichen Bildern im persönlichen Fotoalbum, mehr in der erlebten Erinnerung als im komponierten Fotostream. Die Sehnsucht nach Selbst- und Genuss Inszenierung, die Lust nach Rausch als etwas Positives und Essenzielles in unserem Dasein: Echte Musik, Farben, Geschmäcker, Tanz, Berührung, Gespräche, Loslassen. Realität mit Stil.

Man denke insbesondere an die »Roaring Twenties«, die sich nach einer Krisenära entfalteten. Wäre so etwas denkbar?
Aisslinger: Die Parallelen zwischen den 1920ern und den neuen 20ern sind schlagend. Und doch ist die Situation eine andere. Der Erste Weltkrieg war ein Einschnitt, wie wir ihn in der letzten Dekade glücklicherweise nicht hatten. Auch die politische Situation ist bei allen oberflächlichen Ähnlichkeiten doch verschieden. Aber natürlich kann man hoffen, dass nach der Pandemie wie zu Beginn der 1920er nach der spanischen Grippe auch wieder eine zuversichtlichere, optimistischere, zukunftszugewandtere gesellschaftliche Phase kommt. Die Kreativen haben hier sicherlich die wichtige Funktion, diese Entwicklung mit anzustoßen und zu begleiten.
Hannah Neunteufel: Ja, klar. Nach dem unheimlichen Druck des Existenzerhaltungsdrangs in der Pandemie, diesem ehrenhaften Examen aller, kann ich mir gut vorstellen, dass die Befreiung eruptiv wird. Wir (die, die sich nicht mehr an die 80er erinnern können, weil sie aktiv dabei waren) kannten ja kaum Einschränkungen in unseren Leben. Jetzt schon. Deshalb wird neue Lebensfreude mit Glamour einen Boom erleben. Das war ja immer schon so in der Geschichte und braucht es auch. Auf die zeitgeistige Art und Weise bin ich schon sehr gespannt. Der Aufholbedarf an Unbeschwertheit, Freude und Spaß mit und im Sozialen ist riesig. Dazu kommt, dass überproportional zum steigenden digitalen Leben das Interesse und der Hunger an der analogen Welt kräftig wächst. Außerdem ist das in unserem alten Leben groß und tragend etablierte Belohnungssystem seit Beginn der Pandemie nicht mehr vorhanden.

Bedeutet das vielleicht doch final einen Abgesang auf den nordischen Minimalismus und Good Taste-Mainstream?
Werner Aisslinger: Persönlich halte ich den nordischen Minimalismus schon lange nicht mehr für zeitgemäß. Wir wollen und wir brauchen heute viel mehr Farbe, viel mehr Collage. Der vielgereiste urbane Nomade zu Beginn des 20. Jahrhunderts sucht nicht das Immergleiche, sondern die Abwechslung, die Wunderkammeratmosphäre. Totalitäre Stilwelten sind längst nicht mehr state of the art.
Hannah Neunteufel: Na hoffentlich! Das hat aber größtenteils etwas mit echtem Individualismus zu tun. Die inflationäre Kopiererei wird deshalb kein Ende nehmen. Auf den Minimalismus schielend bin ich immer schon ein Vertreter der beiden simplen Maximen »mehr ist mehr« und »viel hilft viel«. Und das, was mir schon lange abgeht, ist auch die Großzügigkeit des Gastgebens. Lokale, Feste und Feiern sind schon lange zu Logoschlachten, Produktpräsentationen und stupidem Content-Zirkus verkommen. Ich freue mich auf echte Großzügigkeit, ideelle Zurückhaltung – und hoffe auf Umsetzung mit Ecken und Kanten.

hannahs.at
aisslinger.de

Nicola Afchar-Negad
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