Trüffel gibt es hier, Haselnüsse, Käse, Fleisch, Risotto-Reis, Barolo – und die zweithöchste Michelin-Stern-Dichte des Landes: das Piemont.

Trüffel gibt es hier, Haselnüsse, Käse, Fleisch, Risotto-Reis, Barolo – und die zweithöchste Michelin-Stern-Dichte des Landes: das Piemont.
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Piemont-Reisetipps: Genuss mit Geduld

Touristisch ist das Piemont ein Spätzünder, wurde es doch erst in den vergangenen 20 Jahren entdeckt. Kulinarisch allerdings schöpft die Region im Nordwesten Italiens aus dem Vollen.

Carla Facchetti ist mit der Brühe nicht sonderlich zimperlich. Statt immer nur ein bisschen in den Topf zu geben, gießt sie hin und wieder einfach einen ordentlichen Schuss in die brodelnde Reismasse. Seit Jahrzehnten steht sie in der Küche, immer ohne Rezepte mit grammgenauen Mengen. Sie kocht nach Gefühl – natürlich auch diese Spezialität des Piemont: das Risotto. Wie sie das macht, demonstriert die ältere Dame mit der adretten Kurzhaarfrisur beim Showkochen in der Küche des ehemaligen Zisterzienserklosters, dessen Ursprünge bis ins 12. Jahrhundert zurückreichen. Seit den 1930ern ist es vollständig im Familienbesitz von Gräfin Clara Cavalli d’Olivola, auf deren Feldern auch der Reis für das heutige Risotto geerntet wurde.
»Vercelli ist das Reis-Zentrum Italiens«, erklärt die italienische Gräfin und berichtet, dass Mönche auf diesem Landgut schon vor Jahrhunderten Reis angebaut hätten. Zusammen mit ihrem Sohn Paolo führt sie diese Tradition fort. Als Prinz unter den hiesigen Reissorten gilt dabei der Carnaroli-Reis, der auch bei Carla gerade heftig köchelt. Nach, Pi mal Daumen, einer Viertelstunde rührt sie ihn noch einmal mit prüfendem Blick, ohne auch nur einmal auf die Uhr geschaut zu haben. »Es ist fertig, wenn es fertig ist«, sagt sie bestimmt und rührt noch Parmesan und Butter unter. Nur dann ist es so köstlich cremig, aber mit dem bisschen Biss, der für die Piemontesen unerlässlich ist. Auch beim Essen ist es in dieser Region im Grunde nicht viel anders als beim Risotto. Auch das dauert eben so lange, wie es dauert. Denn die Köstlichkeiten der traditionellen Küche wollen hier mit angemessenem Genuss zelebriert werden.

Die Reisfelder in Vercelli.
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Die Reisfelder in Vercelli.

Das Piemont liegt im Nordwesten Italiens, wobei der Name so viel bedeutet wie »Am Fuße der Berge«. Die Region, die touristisch ein Spätzünder war und erst in den vergangenen 20 Jahren langsam entdeckt wurde, reicht schließlich von den südlichen Alpen über die Weinberge nahe Alba und die Reisfelder von Vercelli bis in die Po-Ebene. Entsprechend vielfältig sind die Spezialitäten. Wer dabei jedoch nach der berühmten Piemont-Kirsche sucht? Der wird wohl eher auf ein Grinsen der Einheimischen stoßen. Denn auch wenn es zahlreiche Bäume mit saftigen Kirschen gibt: Die Piemont-Kirsche war vor allem ein einprägsamer Werbe-Coup. Die Kulinarwelt dreht sich hier vielmehr um ganz andere Köstlichkeiten: Berühmt ist sie für den weißen Trüffel, denen die Touristen mit versierten Trüffeljägern und ihren Hunden in den Wäldern nachschnüffeln können. Zudem ist das Piemont nicht nur ein Anbaugebiet für exzellente Weine. Es gibt hervorragendes Fleisch, handgemachten Käse und in der Regel immer frische Pasta auf dem Tisch. Nicht zuletzt wachsen vielerorts Haselnüsse, die die Grundlage für die Erfindung einer weltweit bekannten Nussnougatcreme waren.
»Es sind die besten der Welt«, wie Guiseppe Canobbio selbstbewusst verkündet. 82 Jahre ist er alt, einnehmend nussbegeistert und der Haselnussbotschafter für das Piemont. Einer der Gründe dafür ist sein Haselnusskuchen, den er seit Jahrzehnten nach unverändertem, geheimem Familienrezept backt. Tag für Tag steht er dafür und all seine anderen Kekse und süßen Teilchen trotz seines Alters immer noch selbst in der Backstube seiner Konditorei »La Corte di Canobbio«. »Ich liebe einfach die Arbeit mit meinen Händen. Das ist meine Leidenschaft, damit kann ich nicht aufhören«, sagt er und riecht so selig, so schwärmerisch an einem Stück Kuchen, als wäre es das erste Mal.
So wie Canobbio trifft man bei einer kulinarischen Entdeckungstour immer wieder auf Piemontesen mit einer ausgeprägten Passion: für die Erzeugnisse der Region, das Kochen und die Gerichte, die oft deftig sind, bodenständig und bäuerlich rustikal. Überdurchschnittlich häufig wird allerdings auch auf Michelin-Niveau gekocht. Ob in kleinsten Dörfern oder der Fast-Millionenstadt Turin findet man im Piemont die zweithöchste Dichte an Sterne-Restaurants in ganz Italien; über 40 sind es derzeit. Speerspitze der ansässigen Gourmetküche ist dabei das »Piazza Duomo« gleich am Dom in Albas Altstadt – mit drei Sternen.

Zu den wenigen Frauen mit Stern gehört Mariuccia Ferrero vom Restaurant »San Marco« in Canelli – seit 29 Jahren hat sie die Auszeichnung bereits. Bis heute lässt sich die Köchin begeistert von den traditionellen Gerichten und Zutaten des Piemont inspirieren: Agnolotti del Plin mit Wildragout-Füllung kommen bei ihr ebenso auf den Tisch wie in Barolo eingelegte Kalbsbäckchen oder ein Schaumwein-Risotto mit Porcini. Es sind Piemont-Klassiker in verfeinerter Bodenständigkeit.
Marcello Trentini, ein bäriger Workaholic mit Turnschuhen und Rastahaar, liefert in seinem Restaurant »Magorabin« in Turin dazu einen starken Kontrast. Auch er verwendet zwar typische Spezialitäten des Piemont. Ansonsten experimentiert er aber mit viel Finesse und überrascht mit gegensätzlichen Geschmäckern und Konsistenzen. Einen Stern hat er dafür bekommen – bislang. »Schau mal«, sagt er, zieht das Hemd etwas zur Seite und zeigt auf der Schulter sein Tattoo eines Michelin-Sterns. »Da ist noch Platz für zwei weitere.« Sein Restaurant ist nur wenige Schritte vom lebendigen Zentrum Turins entfernt, einer unterschätzten Kulturstadt und Barock-Schönheit voller prächtiger Bauten, Parks und mit über 17 Kilometer Arkadengängen. Martini kommt aus dieser Stadt. Köstliche Schokoladen ebenso – mal als Traditionsgetränk Bicerin, mal in Form eines klassischen Gianduiotto-Haselnusshäppchens.

Die UNESCO Weinkulturlandschaft

Einst war Turin Hauptstadt Savoyens; die Residenzen der damaligen Königsfamilie zählen heute zum Weltkulturerbe. Ungewöhnlich erscheint dagegen das UNESCO-Welterbe in der Gegend von Langhe-Roero und Monferrato: Dort wurde die Weinkulturlandschaft ins Verzeichnis aufgenommen, die nicht nur Weinkennern das Herz höher hüpfen lässt. Denn fährt man durch die engen, kurvigen Straßen, schiebt sich Weinberg nach Weinberg in den Blick, idyllisch, hoch und bis in den letzten Winkel mit Reben bepflanzt. Häufig wird hier die Nebbiolo-Traube angebaut. Barbaresco wird daraus gemacht – genauso wie der König der Piemont-Weine, der Barolo. Der Spumante, also der Schaumwein, hingegen hatte lange Zeit einen eher schlechten Ruf. Wer Asti Spumante noch aus den 80er Jahren als perlig süßen Flaschenkopfschmerz in Erinnerung hat, wird bei einem Tasting in der Traditionskellerei »Contratto« überrascht sein: Feinperlig, erfrischend, trocken ist der Spumante. »Es ist die Antwort des Piemont auf Champagner«, erklärt Guide Elena.
Der renommierte Winzer Giorgio Rivetti vom Weinhaus »La Spinetta« übernahm vor einiger Zeit die mit über 150 Jahren älteste Schaumweinkellerei des Piemont und produziert dort aus Chardonnay- und Pinot-Noir-Trauben wieder nach der »metodo classico«. Mindestens fünf Jahre lagern die Flaschen bei konstant 13 Grad in den Gängen der »unterirdischen Kathedralen von Canelli«. So wird der imposante Keller genannt, der weit in den Felsen hineingeschlagen wurde. Rund 1,7 Millionen Flaschen befinden sich in den Regalen oder sind gestapelt wie ein dunkles Glasmeer. Während der Flaschengärung werden sie hier nach wie vor von Hand gerüttelt – von Mauro Ferrero. »Fünf Flaschen schafft er pro Sekunde«, sagt Elena, als sie beginnt, die Flaschen für die Spumante-Probe zu öffnen.

Turin.
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Turin.

Solche Hektik, solche Eile gibt es in kulinarischer Hinsicht selten. Kein Wunder, dass gerade im Piemont bereits in den 80ern in der Stadt Bra die Slow-Food-Bewegung von Carlo Petrini gegründet wurde – als mittlerweile global agierende Verteidigungsmaßnahme gegen Fast-Food und Lebensmitteleinerlei. »Es geht uns um die Rettung der Vielfalt und gute, saubere, faire Produkte aus der eigenen Umgebung. Das ist wichtig, denn sonst haben wir irgendwann nur noch wenige Sorten Tomaten, Käse oder Getreide«, erklärt Guilia Capaldi von Slow Food International beim Gespräch in Pollenzo nahe Bra. Dort sind mittlerweile eine Slow-Food-Uni für Gastro-Wissenschaften und eine Weinbank entstanden, die Weine aus ganz Italien sammelt. Das Restaurant »Garden« folgt der Slow-Food-Philosophie und hat zudem Gerichte mit Zutaten auf die Karte genommen, die »Presidi« sind: vom Aussterben bedrohte Lebensmittel, für die lokalen Bauern Unterstützung brauchen, damit sie weiter hergestellt werden können.
Auch Silvio Pistone setzt sich für kulinarische Rettung ein – von Käserezepten der Region südlich von Alba, die verloren zu gehen drohen. Seit über 20 Jahren hat er sich mit großer Hingabe dem typischen Toma-Käse verschrieben. »Ich habe so manche alte Dame bekniet, dass sie mir ihr Rezept verrät«, sagt er, als er das Tablett mit dem Käse bringt, den er in seiner Manufaktur »Cascina Pistone« selber herstellt. Die Grundlage dafür ist die Milch seiner rund 40 Schafe, die im Stall nebenan blöken und zweimal täglich gemolken werden. Während der 52-Jährige mit Hingabe über die verschiedenen Schritte in der Produktion berichtet, kann man sich in der rustikalen Hütte vor seinem Haus mit Panoramablick durch die verschiedenen Reifegrade probieren – vom jungen, frischen, weichen bis zum gereifteren, festen, intensiven Käse.
Nach Tagen des Schlemmen und Probierens wird es am letzten Tag der Piemont-Tour mal Zeit, selber in der Küche was zu tun – bei einem Kochkurs mit Delfina Giubergia. In der Küche ihres über 100 Jahre alten Familienhauses werden piemontesische Klassiker zubereitet: Ganz simpel sind die Vorspeise Carne Crudo mit rohem Rindfleisch und der puddingartige Bunet als Nachtisch. Mehr Fingerfertigkeit hingegen braucht man bei den gefüllten Teigtäschchen Agnolotti del Plin. Nach drei Stunden aber ist das Menü fertig. Der Wein wird geöffnet, das Essen aufgetischt und zum Schluss gibt Delfina nicht nur die Rezepte mit nach Hause, sondern auch den Gedanken, dass man sich beim Kochen in der eigenen Küche häufiger mal mehr Zeit nehmen sollte.

Sascha Rettig
Sascha Rettig
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