Patek Philippe: Geld ist Zeit

Die Schweizer Manufaktur fertigt die kompliziertesten und teuersten Uhren der Welt.

Der amerikanische Bomber­pilot Lieutenant Charles Wöhrle geriet 1944 nach dem Abschuss seiner Boeing B17 über dem Golf von ­Biskaya in deutsche Gefangenschaft. Und so skurril es erscheinen mag, Wöhrle fiel in seinem Lager ein Prospekt von Patek Philippe in die Hände. Eine schlichte Patek in Stahl hatte es ihm angetan. Und ohne wirklich an die Erfüllung seines Wunsches zu glauben, schrieb er einen Brief an Patek Philippe: Er wolle diese Uhr be­stellen. Und wenn er heil aus der Kriegsgefangenschaft herauskäme, würde er sie natürlich ­bezahlen. Fünf Monate später ­erhielt er ein Paket mit der gewünschten ­Patek ­Phi­lippe und einem Begleitschreiben mit den schlichten Worten: Patek Philippe hoffe, dass diese Uhr seinen Vorstellungen entspreche. Charles Wöhrle kam nach Hause. Und er bezahlte 425 Schweizer Franken für die Uhr. 40 Jahre lang trug er sie als Erinnerung an ein unglaubliches Ereignis in einer unfassbaren Zeit an seinem Handgelenk. Aber dann wurde der Werbespruch »Eine Patek Philippe gehört einem nie ganz allein« wahr. Die Uhr wurde gestohlen. Doch das ist erst der Anfang der Geschichte.

Ein Meilenstein nach dem anderen
Die Manufaktur, die von dem polnischen Geschäftsmann Antoine Norbert Graf de Patek und dem französischen Uhrmacher ­Jean-Adrien Philippe 1845 gegründet

Die World Timewurde, machte von Anfang an durch bedeutsame Erfindungen auf sich aufmerksam. 1926 erschien die weltweit erste Armbanduhr mit ewigem ­Kalender. Ein Jahr später wurden die ersten Armbandchronografen produziert. Als 1931 wegen der Weltwirtschaftskrise ein finanzkräftiger Partner gesucht wurde, übernahmen die Brüder Charles und Jean Stern, deren Ziffernblattfabrik schon seit ­einiger Zeit zu den Lieferanten der Firma ­gehörte, die Aktienmehrheit von Patek Philippe. Die Familie Stern leitet die Geschicke von Patek Philippe noch heute und hat die Uhrenmarke zu einer der angesehensten ­unter allen Herstellern von Luxusuhren ­gemacht. 1932 wurde ein weiterer Meilenstein gesetzt. Patek Philippe präsentierte das Modell Calatrava, benannt nach einem 1158 von dem Abt Raimondo in der Stadt Calatrava gegründeten Ritterorden. Seit 1932 tragen diese Patek-Philippe-Uhren das Calatrava-Kreuz auf der Krone, und die Armbandschließe hat seither die Form einer stilisierten Clatrava-Lilie.Der Himmel in einer UhrAber schon ein Jahr später, 1933, setzte Patek Philippe ein neues Zeichen, indem man die damals komplizierteste und heute immer noch teuerste Uhr der Welt an Die Graves erzielte den höchsten Auktionspreisseinen Besitzer auslieferte. Der Bankier Henry Graves hatte bei Patek Philippe eine Taschenuhr mit 24 Komplikationen – abgesehen von der normalen Anzeige der Zeit – in Auftrag gegeben. Die Uhr ist ein Kunstwerk: Sie zeigt auf einer unter dem weißen Ziffernblatt sich drehenden nachtblauen Scheibe an ­jedem Tag die exakte Sternenkonstellation am Himmel über New York an. Doch damit nicht genug: Auf einer noch einmal darunter sich bewegenden Scheibe wird auch die Helligkeit der Sterne dargestellt. Aber nein, nicht nur der Sterne über New York, auch die Strahlkraft der Milchstraße, je nach ihrer Stellung am Himmel, kann abgelesen werden. Und diese außergewöhnlichen Komplikationen sind nicht die einzigen: Sollen Stunden und Minuten auf Wunsch nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören ­sein, so geschieht das mit der gleichen Melodie wie der Glockenschlag von Big Ben.Bei Patek Philippe wird jedes Teil des Uhrwerks handgefertigtBei Patek Philippe wird jedes Teil des Uhrwerks handgefertigtVon Auktionshäusern und MuseenIn der Rangliste der teuersten bei interna­tionalen Auktionen je ersteigerten Uhren ­tragen acht von zehn den Namen Patek ­Philippe. Das gilt auch für Österreich. Die GondoloGünter Eichberger, Experte für Uhren im Doro­theum: »Unsere Erfahrungen als eines der größten Auktionshäuser decken sich mit den internationalen Marktanalysen, die ­Patek Philippe als eine der Topmarken im Bereich Wertbeständigkeit und Höhe eines realisierbaren Verkaufspreises sehen. Keine ­andere Marke hat es bisher besser ­geschafft, das Interesse der Uhrensammler auf sich zu ziehen.« Auch die Verkaufserlöse im Doro­theum können sich sehen lassen. Dorotheum-Experte Eichberger: »Als Beispiel für Höchstpreise aus unseren Auktionen kann ich eine frühe Armbanduhr von Patek Philippe aus 1910 mit Minutenrepetition um 384.000 Euro oder eine Taschenuhr mit Tourbillon um 240.000 Euro nennen.« Im Herbst 2001 hat Patek Philippe in Genf ein Museum eröffnet, in dem die bemerkenswertesten Uhren der Manufaktur, die von 1839 bis 1980 hergestellt wurden, der Öffentlichkeit präsentiert werden. Viele ­dieser Objekte stammen aus Versteigerungen. Bei manchen Objekten, die bei Versteigerungen Spitzenpreise erzielen, heißt es auch, dass Patek Philippe selbst die Uhren ersteigert habe. Eine Umdrehung mehr im ZahnradwerkDie fünf Modelle werden seit Jahrzehnten auf gleiche Art, mit nur geringfügigen Änderungen, produziert. Kein noch so kleines Teil einer Patek-­­Phi­lippe-Uhr wird außerhalb der Manu­faktur in Genf hergestellt. Minutiös werden bei Patek Philippe die einzelnen Uhren nur nach Referenznummern geführt. Die derzeit bedeutendste Die Twenty-4 Small Haute Joaillerieist die Referenz 5002. Die schlichte Zahlenfolge steht für eine Uhr mit Namen Sky Moon Tourbillon. Die aus 686 Einzelteilen bestehende Uhr ist die komplizierteste Armbanduhr von Patek Philippe. Superlative sind in der Uhrmacherkunst das automatische Werk, das die Branche antreibt. Und so musste auch Patek Philippe, die Uhrenmanufaktur, die die kompliziertesten, teuersten und bei Sammlern begehrtesten Uhren fertigt, noch eine Umdrehung im Zahnradwerk weitergehen. Zum 150-Jahr-Jubiläum musste etwas Einzigartiges geschaffen werden: Durchmesser 9 Zentimeter, Dicke 4 Zentimeter, 1,1 Kilo schwer, 1728 Einzelteile, 33 Komplikationen, 24 Zeiger und 12 Hilfsziffernblätter auf Vorder- und Rückseite – die Patek Philippe Kaliber 89, die komplizierteste Uhr der Welt. Damit schließt sich der Kreis zur Graves. Patek Philippe kann für sich in Anspruch nehmen, mit der Graves Supercomplication die teuerste Uhr der Welt und mit der Kaliber 89 auch die komplizierteste Uhr der Welt gefertigt zu haben. Die Sky Moon TourbillonHerz und Geschenk aus GoldDoch Patek Philippe ist nicht nur in der großen Uhrmacherkunst an vorderster Stelle. Auch was Kundenservice anbelangt, ist das Unternehmen schweizerisch präzise: Nachdem dem US-Bomberpiloten Charles Wöhrle sein so außergewöhnliches Erinnerungsstück an eine schlimme Zeit gestohlen worden war, kontaktierte seine Nichte Patek Philippe, um ein ähnliches Stück für ihren Onkel zu kaufen. Patek bedauerte, dieses Modell in Stahl nicht mehr liefern zu können – und machte ihm ein ähnliches in Gold zum Geschenk.Text von Thomas MartinekDen vollständigen Artikel mit allen Informationen zu Geschichte und Meisterwerken von Patek Philippe finden Sie im aktuellen Falstaff 04/2012.

Thomas Martinek
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