Orange Wine & Co – Die Wiege des Weines

Orange-Wine-Macher und Produzenten von Vin naturel wollen im Grunde Weine machen, wie sie vor grauer Urzeit in Georgien entstanden sind.

Der Ausblick hier oben ist spektakulär: Weit sieht man über die Ebene, und der Wind pfeift um das Kloster Shavnabada, das 30 Kilometer westlich der georgischen Hauptstadt Tiflis auf einem erloschenen Vulkankegel thront. Selbst auf halber Höhe unterhalb des trutzigen Bauwerks lässt ein frischer Luftzug die Nähe des Kaukasus erahnen. Hier im Freien haben sich heute einige Mönche versammelt, um die jungen Weine zu probieren. Bruder Kalenike, ein Mönch mit grauem Bart und einem vorwitzig unter der Kopfbedeckung hervorschauenden Dutt, wärmt sich die Hände in den Taschen des Anoraks, den er über die schwarze Ordenskleidung gezogen hat. Gebannt beobachtet er, wie sich ein Laienarbeiter an der Öffnung eines Kvevris zu schaffen macht. Dutzende solcher Tongefäße – jedes mit einem Inhalt von annähernd 1000 Litern – sind auf diesem Hochplateau in der Erde vergraben. Im Herbst sind die weißen Rkatsiteli-Trauben gequetscht in die Behältnisse gefüllt worden, und dort haben sie die alkoholische Gärung durchlaufen. Danach wurden die Tongefäße mit Kitt und Holzplatten sowie mit Sand und Plastikplanen luftdicht verschlossen. Monatelang blieb die Mischung aus Wein und Hefe, aus Kernen und Beerenschalen unberührt. Und jetzt ist es so weit: Der mit einem dicken Pulli bekleidete Arbeiter hat die Öffnung des ersten Kvevris freigelegt. Schon haben alle, die dem feierlichen Moment beiwohnen, ein Glas in der Hand. Mit einem Probenheber wird der Wein ans Tageslicht gebracht: leuchtend orangegelb fließt er ins Glas. Und kristallklar ist er – denn in den Monaten der Ruhe sind die Feststoffe auf den Boden des Kvevri gesunken, darüber steht der klare Wein. Schon beim ersten Riechen am Glas hellen sich die Mienen der Mönche auf. Auch Bruder Kalenike, der die Geschäfte des klösterlichen Weinguts führt, nimmt einen Schluck und nickt zufrieden. Ein kraftvoller Wein: gerbstoffreich und anhaltend, mit einer sehr eigentümlichen Frische, die einen nachdenklich macht, ob all die moderne Kellertechnik wirklich der einzige Weg zum guten Wein ist.

Hintergrund: Was ist eigentlich Orange Wine?

Starwinzer Josko Gravner aus dem Friaul ist der Gründer der mitteleuropäischen Orange-Wein-Bewegung / © Marijan Mocivnik

Denn die Weinbereitung, die die Mönche auf Shavnabada pflegen, ist schätzungsweise 8000 Jahre alt. Irgendwo am Südrand des Kaukasus muss es damals geschehen sein, dass Bauern, die einen Wintervorrat an Trauben in einem Tongefäß einlagern wollten, eine merkwürdige Verwandlung bemerkten: Durch ihr eigenes Gewicht hatten die Trauben Saft abgesondert, und nach und nach hatte der Inhalt des Behältnisses zu gären begonnen. Die wohltuende Wirkung des entstandenen Getränks muss diese ersten »Winzer« davon überzeugt haben, dass es sich lohnte, dieses Zauberwerk jedes Jahr von Neuem zu versuchen. Jahrtausendelang haben die Georgier schließlich diese Form der Weinbereitung ausgeübt. Erst die Sowjetherrschaft setze ihr ein Ende, zumindest ein vorläufiges. Denn nach 1917 begann auch im Kaukasus die Ära der industriellen Weinbereitung, mit großen Kombinaten und Massenweinen aus Stahltanks, so groß wie die Kessel einer Raffinerie. Erst nach dem Ende des Kommunismus entdeckten die Georgier ihre Tradition von Neuem. Und nicht nur sie: Einer der ersten Winzer, die aus Europa in den Kaukasus kamen, auf der Suche nach neuen Impulsen, und um aus der Weinbaugeschichte zu lernen, war Josko Gravner aus Oslavia im Friaul. Gravner, der während der Achtzigerjahre als Barrique-Pionier galt, kam aus Georgien mit einer völlig neuen Perspektive zurück. Er verbannte die kleinen Eichenfässer aus dem Keller und ließ sich stattdessen in Georgien Kvevris töpfern. Per Lkw kamen die riesigen Tongefäße 3500 Kilometer weit ins heimische Friaul – mit entsprechenden Verlusten durch Bruch. Doch Gravners erste Kvevri-Weine ließen die Fachwelt perplex zurück. Ausgerechnet aus dem Friaul, seit den Siebzigerjahren einer Hochburg des kalt vergorenen Weißweins mit strahlender Frucht, kamen nun auf einmal hochfarbene, gerbstoffbeladene Weiße, deren Aromen so überhaupt nicht der gewohnten Fruchtigkeit entsprachen. Vor allem in Gravners Heimat schlug die Irritation rasch in Faszination um – und sowohl auf der italienischen als auch der slowenischen Seite des Collio begannen in den darauffolgenden Jahren immer mehr Winzer ähnliche Experimente. So wurde die Region zu einer Hochburg des »orangenen« Weißweins, und sie ist es bis heute.

Glas des Anstoßes: Diskussion zum Thema Orange Wine

Verkostungsnotizen: Trendfarbe Orange

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Text von Ulrich Sautter
Aus Falstaff Nr. 02/2014

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland