Ab dem späten 18. Jahrhundert wurden im Weinviertel von den Winzern Kellergassen errichtet, um die eigenen Trauben verarbeiten zu können.

Ab dem späten 18. Jahrhundert wurden im Weinviertel von den Winzern Kellergassen errichtet, um die eigenen Trauben verarbeiten zu können.
© Niederösterreich Werbung | Michael Liebert

Niederösterreich: Faszination Kellergasse

Niederösterreichs Kellergassen sind längst ein Wahrzeichen und weit über die Region Weinviertel hinaus bekannt. Mehr als 1000 davon gibt es, und keine gleicht der anderen. Grund genug, diesen einen Besuch abzustatten.

Der Schriftsteller und Weinviertelkenner Alfred Komarek hat mit seinem Landgendarmen Simon Polt, im Film genial verkörpert durch Erwin Steinhauer, der »Kulturlandschaft Kellergasse« ein bleibendes künstlerisches Denkmal gesetzt. Vielfach dem Verfall preisgegeben, erlebten diese malerischen Gebäudeensembles in den letzten Jahrzehnten eine beinahe magische Wiederauferstehung.

Liebevoll restauriert laden die beschaulichen Kellergassen heute zu Entdeckungsreisen ein und sind auch abseits der beliebten Kellergassenfeste ein lohnendes Ausflugsziel.

Aus Bauern wurden freie Winzer

Die Entstehung der Kellergassen und Kellerviertel geht auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurück. Solange die Bauern in einem untertänigen Verhältnis lebten, hatten sie keine Möglichkeit, ihre Weintrauben selbst zu verarbeiten, diese wurden in den großen Zehentkellern, die sich so wie das Land selbst in den Händen von Kirche oder Adel befanden, verarbeitet.

Doch die Reformen der Herrscherin Maria Theresia und ihres Sohnes Kaiser Josef II. brachten auch für die Winzer entscheidende Änderungen mit sich und führten im Ergebnis zu einer Verbäuerlichung der Weinkultur.

In jener Zeit begannen die Weinbauern selbstständig zu wirtschaften und Schritt für Schritt auch eigenen Landbesitz zu erwerben. Doch da an ihren Wohnstätten keine Möglichkeit bestand, den Wein zu keltern und zu lagern, errichteten sie an den Rändern der Ortschaften oder in unmittelbarer Nähe zu den Weingärten ihre Kellerhäuser.

Hotspot Weinviertel

Das war die Geburtsstunde der Kellergassen, die insbesondere für das Weinviertel so prägend sind. Zwar ist diese Form der landwirtschaftlichen Architektur nicht auf das Weinviertel beschränkt, man findet sie auch in den angrenzenden Regionen von Kremstal, Kamptal und Wagram bis zur Thermenregion und sogar im nördlichen Burgenland.

Auch im verwandten mährischen Weinbaugebiet in Tschechien wurzeln die Kellergassen in der gleichen Geschichte, ähnliche Baukörper findet man zudem in der Slowakei oder in Ungarn. Das Weinviertel ist aber das Zentrum der Kellergasse.

Wollte man sie alle besichtigen, dann hätte man wirklich gut zu tun. Etwa 1100 davon gibt es alleine im Weinviertel – gemessen an den 550 Winzerorten eine stattliche Zahl. Würde man alle Presshäuser aneinanderreihen, müsste man 37.000 Hausnummern vergeben.

Typischerweise wurden die Keller in einem vorhandenen natürlichen Graben oder an einem Hang in den Löss gegraben und mit dem Aushubmaterial gleich das vorgesetzte Presshaus errichtet, dass neben der Baumpresse meist auch ein kleines Kammerl besitzt, das oft als Koststüberl ausgeschmückt ist. Und bis heute ist es ein Erlebnis, den jungen Wein direkt am Ort seiner Reife zu probieren. Und wenn der Hauer gut gelaunt ist, wer weiß, ob er nicht vielleicht auch noch ein besonderes Flascherl aus seiner Vinothek hervorzaubert …

Die Weinviertler Kellergassen entdecken


Kellergassen selbst erleben

Am besten lässt man sich die schönsten Kellergassen von einem einheimischen Profi zeigen.

Um dem Kellergassen-Neuling eine erste Orientierung zu geben, wurde im Weinviertel eine eigene Plattform gegründet. Hier findet man die schönsten Kellergassen und alle Aktivitäten rundherum.

In mehr als 100 Weinviertler Kellergassen stehen speziell ausgebildete und darüber hinaus durch ständige Weiterbildungsprogramme zertifizierte KellergassenführerInnen bereit. Sie lenken den Blick auf das Wesentliche und Verborgene, erläutern das Geschehen fachkundig und wissen Interessantes aus Geschichte und Brauchtum zu erzählen. Und spätestens bei einem guten Glas Wein wird der Rundgang durch diesen magischen Ort der Begegnung von Mensch und Wein endgültig zum Genuss für alle Sinne.

Erschienen in
Falstaff Nr. 04/2020

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Peter Moser
Peter Moser
Wein-Chefredakteur Österreich
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