Beliebtes Vinifikationsgefäß: Amphoren haben ihren Ursprung in Georgien.

Beliebtes Vinifikationsgefäß: Amphoren haben ihren Ursprung in Georgien.
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Naturweine: Die Ruhe nach dem Sturm

Natur, Orange, Amphore: Alternativ produzierte Weine boomen. Auch in den deutschsprachigen Ländern setzen immer mehr gestandene Winzer auf die »neuen« Verfahren.

Das große Kopfschütteln begann vor vielen Jahren. Plötzlich waren da Weine, die so gar nichts mit den gängigen Tropfen zu tun hatten. Begriffe wie Natural-, Orange- und Amphorenwein hallten durch die Weinwelt und stießen gestandene Weintrinker und -kritiker vor den Kopf. Vor allem der Geschmack dieser Weine war anders, ungewöhnlich, hatte mit den gängigen Profilen von Weiß- und Rotweinen wenig gemeinsam. Die Weine waren oft trüb, tieffarbig, Weißweine besaßen plötzlich eine spürbare Gerbstoffstruktur und Rotweine waren so leicht und trinkig wie Weißweine. Eine neue Ära begann. Dabei sind die Techniken und Methoden, die sich hinter diesen Weinen verbergen, nicht neu.
Maischevergorene Weißweine, die sogenannten Orangeweine, gibt es schon seit Jahrtausenden. In Georgien, das oftmals als »Wiege des Weinbaus« bezeichnet wird, wurden schon immer Weißweine auf diese Art und Weise produziert. Auch heute noch ist das Land bekannt für seine maischevergorenen Weißweine aus Amphoren. Und da wären wir schon bei den Amphoren. Einem Weinbehältnis, das Anfang der 2000er eine Renaissance in Europa erfuhr. Nicht alle Weine aus Amphoren sind jedoch auch maischevergoren. Genauso wenig wie die sogenannten Naturweine. Bei Letzteren geht es um den Verzicht und manchmal auch um den bewussten Kontrollverlust im Keller. Eine Philosophie, bei der es darum geht, Wein alleine aus Trauben und Zeit entstehen zu lassen. Keine Reinzuchthefen, kein oder nur ein minimaler Schwefeleinsatz, keine Schönungen. Bei all der Verwirrung haben die alternativen Weinbereitungsverfahren eines gemeinsam: Sie sind spannend und erweitern den Weinhorizont ungemein. Nicht umsonst setzen sich Spitzenwinzer aus aller Herren Länder mittlerweile mit den Verfahren auseinander, wagen Experimente oder steigen komplett um.

Auch weisse Trauben werden in Amphoren mit der Schale und den Kernen vergoren. Das oftmals über Monate hinweg.
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Auch weisse Trauben werden in Amphoren mit der Schale und den Kernen vergoren. Das oftmals über Monate hinweg.

»Es gibt alle Übergangsformen. Einige Kollegen arbeiten konventionell, produzieren aber trotzdem maischevergorene Weißweine, die sie aber ganz normal schwefeln. Wenn es ums österreichische Gesetz geht, werden solche Weine bald als Orangeweine auf den Markt kommen. Arbeiten die Produzenten biologisch, so wie wir, dürfen sich die Weine Natural nennen«, sagt Winzer Gernot Heinrich. Er setzt sich seit knapp zehn Jahren mit der Thematik auseinander und entwickelt sein etabliertes Weingut langsam und sanft in Richtung Natural. »Wir wollen uns ganz bewusst von Kollegen unterscheiden, die industriell produzieren«, erzählt er. Zwischen Orange und Natural unterscheidet er selbst nicht, denn beides sei für ihn unfiltriert, unbehandelt und ungeschwefelt. Heinrich schwefelt nur noch die Basis-Rotweine des Hauses und sieht den Verzicht auf das Konservierungsmittel als Herausforderung an. Er will elegante, fruchtige, lebendige Weine produzieren – und die Natur selbst bringe alles mit, um den Wein zu stabilisieren und zu schützen sowie eine Weiterentwicklung auf der Flasche zu gewährleisten. Doch um so arbeiten zu können, benötigt man Erfahrung. Auch Heinrich verlor ein paar Fässer auf dem Weg dorthin. Heute sind seine Weine komplexer, anspruchsvoller, meint er – und das findet auch bei den Kunden Anklang. »Der Kreis der Menschen, die diese Weine schätzen, wächst ständig«, erzählt Heinrich.

Der Golser Winzer Gernot Heinrich setzt im Rebberg wie auch im Keller auf ein Mindestmass an Intervention.
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Der Golser Winzer Gernot Heinrich setzt im Rebberg wie auch im Keller auf ein Mindestmass an Intervention.

Naturweinmekka

Naturweine galten lange Zeit als wahres Weinfehlerpotpourri. Das sei einfach so, wenn man auf stabilisierende Maßnahmen wie Schwefel verzichtet, hieß es schnell. Dabei wurde vergessen, dass man auch in der normalen Weinwelt die Perlen suchen muss – hier wie dort machen sie vielleicht geschätzte zehn Prozent aus. Naturweine sind noch immer Exoten, haben aber mittlerweile ihren festen Platz in der Weinwelt eingenommen. Das findet auch Sommelier Steve Breitzke von der »MAST Weinbar« in Wien, in der es ausschließlich um diese Art von Weinen geht. »Die Leute sind sehr offen für das Thema, und man muss meiner Ansicht nach mit Qualität überzeugen und über die guten Sachen sprechen«, sagt Breitz­ke. Seit etwa sechs Jahren beschäftigt er sich intensiv mit Naturweinen und arbeitete auch bei seiner vorherigen Station – dem »Le Loft« im »Sofitel Vienna Stephansdom« – intensiv mit den Tropfen. Österreich ist für ihn – nach Frankreich und Spanien – der größte Naturwein-Hotspot in Europa. »Wir haben den größten Anteil an Biolandwirtschaft in Europa, und da liegt es auf der Hand, dass die Winzer in diese Richtung arbeiten«, sagt Breitzke. In der Gastronomie sei das Thema angekommen, die Gastronomen scheuen sich nicht mehr vor Naturweinen, aber wirklich intensiv arbeiten nur wenige Restaurants und Bars mit den ungeschwefelten Tropfen.

Sommelier der «Mast Weibar» Steve Breitzke.
© Rafaela Proell
Sommelier der «Mast Weibar» Steve Breitzke.

Störrisch und Herausfordernd

Amanda Wassmer-Bulgin, Head Somme­liére im Valser Zwei-Sterne-Restaurant »7132 Silver« in der Schweiz, setzt Naturweine gerne in der Weinbegleitung ein. Vor allem zu Gemüsegängen passen sie ihrer Ansicht nach sehr gut. Die Arbeit mit den teilweise störrischen Weinen ist für sie spannend, denn für den perfekten Wein­service muss sie viel genauer planen und die Weine spüren. »Manchmal muss ich einen Wein schon Tage vorher dekantieren, damit der Gast ein gleichbleibendes Geschmackserlebnis hat«, erzählt sie. Es geht für sie darum, sich herausfordern zu lassen und sich zu hinterfragen, egal, ob man großer Anhänger der Naturweinbe-wegung ist oder nicht. Und genau das ist vermutlich eine der Errungenschaften der kleinen Naturweinwinzer, denn selbst die größten Weinproduzenten machen sich inzwischen Gedanken über den Einsatz von Schwefel und anderer Behandlungsmittel. Unter den Schweizer Winzern wird das Thema noch etwas stiefmütterlich behandelt, findet Bulgin. Für sie kein Wunder, denn die Winzer hierzulande besitzen oftmals nur kleine Flächen von ein paar Hek­tar. Totalausfälle im Keller oder Rebberg können sich schnell existenzgefährdend auswirken. Die nachrückende Winzergeneration setzt sich ihrer Erfahrung nach aber sehr stark mit der Thematik auseinander.

Amanda Wassmer-Bulgin, Head Sommeliére im «7132 Silver».
© Ian Issitt
Amanda Wassmer-Bulgin, Head Sommeliére im «7132 Silver».

Die Lust am Erklärungsbedarf

Auch in Deutschland ist das Thema Vin Nature auf dem Weg in die Mitte. Die Winzerszene ist dabei, sich stilistisch auszudifferenzieren, jedes Jahr kommen neue Namen und neue Weine hinzu. Im besonders orange-affinen Franken gehen der Tongefäßexperte Manfred Rothe und der Maischegärungspurist Stefan Vetter voran, doch auch in Riesling-Hochburgen wie der Pfalz, im Rheingau und an der Mosel entdecken die Winzer den Spaß am Experiment. In der Gastronomie verkörpert Billy Wagner vom Berliner Sternerestaurant »Nobelhart & Schmutzig« wohl am besten die Selbstverständlichkeit, die man Naturweinen entgegenbringen kann. Er war einer der ersten Sommeliers in Deutschland, die sich mit dem Thema vertieft auseinandersetzten. Für ihn müssen Naturweine zur Küche passen, und im »Nobelhart & Schmutzig« sei das eben so, ganz im Gegensatz zu einem klassischen Steak-Laden beispielsweise. Verkaufen lässt sich seiner Ansicht nach alles, hinter dem der Gastronom selbst steht. »Jeder Wein bedarf Erklärung, auch ein reifer Riesling. Die meisten Leute wissen nämlich gar nicht, was sie im Glas haben«,sagt Wagner. Wein ist eben ein Kulturgetränk, erklärungsbedürftig. Egal, welche Farbe er hat: Rot, Weiß oder Orange.
Alles über Naturwein finden Sie hier!
TASTING: Orange Wine

Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2018

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