Nah am Wasser gebaut

Das Areal um den Wiener Donaukanal hat sich zu einer pulsierenden Lebensader mit spannenden kulinarischen Projekten gewandelt.

Wien hat sich im neuen Jahrtausend zu einer der ge­fragtesten Metropolen im deutschsprachigen Raum entwickelt. Geschäftsleute schätzen die positiven Wirtschaftsdaten, Numerus-clausus-Flüchtlinge die guten Ausbildungsmöglichkeiten und die hohe Lebensqualität. Touristen kommen wegen des historischen Flairs, der viel zitierten Wiener Gemütlichkeit und nicht zuletzt wegen der Gastronomie. Auch die internationale Luxushotellerie hat das Potenzial der Donau­metropole erkannt und rittert um die besten Standorte: Kempinski und Four Seasons werden in den nächsten Jahren ihre Wien-Dependancen eröffnen.

Jüngstes Mitglied in der Riege der Wiener Fünf-Sterne-Herbergen ist das Hotel Sofitel, das eben eröffnet wurde. Der spektakuläre Neubau des Stararchitekten Jean Nouvel stellt einen vorläufigen Höhepunkt in der Aufwertung eines städtebaulich lange vernachlässigten Viertels um den Wiener Donaukanal dar. Wobei: »Kanal« ist irreführend, da es sich eigentlich um einen Seitenarm der Donau handelt, der am Wiener Stadtzentrum vorbeiführt. Wie ein fliegender Teppich schwebt die beleuchtete Decke des Hotel-Restaurants »Le Loft« in der 18. Etage des Sofitel über der Szenerie und wird von den sonst so skeptischen und traditionsbewussten Wienern bereits wohlwollend akzeptiert. Für das kulinarische Konzept ist der französische Starkoch Alain Wes­termann verantwortlich, für die Umsetzung der ­Elsässer Küche mit österreichischen Einflüssen sorgt sein treuer Gefolgsmann Raphael Dworak.

Das durchgestylte »Motto am Fluss« hat sich als Publikumsmagnet erwiesen/Foto: PR, Marianne Greber

Der Wiener Donaukanal war früher wichtige Handelsroute, Nahversorger und Erholungsgebiet. Über den Wasserweg kamen Obst und Gemüse sowie Rinder, die gleich am Kanal geschlachtet, zerlegt und verkauft wurden. Im Zweiten Weltkrieg wurde ein Großteil der his­torischen Bauten und der Infrastruktur entlang des Donaukanals zerstört, und in der Not des Wiederaufbaus blieb kein Platz für gestalterische Schönheiten. Die alltägliche turbulente Szenerie hat sich also stark gewandelt, denn bis in die 90er-Jahre war der Donaukanal trotz seiner zentralen Lage lediglich Auslaufzone für vereinzelte urbane Sportler und Promenadenmischungen. Die beiden Ufer blieben auch in unmittelbarer Nachbarschaft zum Wiener Stadtzentrum lange Zeit verwaist und wurden in den Nachtstunden tunlichst gemieden.

Vorreiter
Der Wiener Parade-Gastronom Ossi Schellmann versuchte sich als kulinarischer Pionier und wagte sich mit seiner »Summerstage« vor etwa 15 Jahren als Erster unmittelbar ans Wasser. Im oberen Bereich der sommerlichen Lokalagglomeration mit Gastgärten wurde ­damals wie heute eine multikulturelle Küche verschiedener Partnerbetriebe von asiatisch über mediterran bis karibisch aufgetischt. ­Anspruchsvolle Küche wird im »Stammhaus« im Pavillon und auf der 650 Quadratmeter großen Terrasse direkt auf Wasserniveau ge­boten. Die Auswahl und Kreation der Speisen erfolgt auch dieses Jahr wieder von der österreichischen Kochlegende Reinhard Gerer in Zusammenarbeit mit »Summerstage«-Küchenchef Michael Paulus.

Christian Petz kocht auf dem Badeschiff ­schnörkellos, aber genial/Foto: PR, Citronenrot

Küche gegen den Strom
Zurzeit wird im Restaurant »Holy Moly« auf dem Badeschiff die spannendste und avantgardistischste Küche geboten. Mastermind Christian Petz, der zuvor dem Restaurant im Palais Coburg vier Gault-Millau-Hauben bescherte, bereitet raffinierte Gerichte aus ungewöhnlichen Zutaten wie Schweinsohren und Kutteln zu. Seine Signature-Dishes sind im Moment Beef Tartare mit Avocado und Pulpo mit schwarzen Bohnen. »Ich koche, was mir Spaß macht«, sagt Petz – und das ist meist weit abseits des Mainstreams. Das trifft auch auf das Interieur zu, denn auf Tischwäsche und Deko wird weitgehend verzichtet. Die À-la-carte-Auswahl ist zwar etwas begrenzt, aber drei- bis fünfgängige Überraschungsmenüs versprechen lukullisches Casual Dining zu sehr moderaten Preisen. Standesgemäß besteht das Dessert aus sündhaft guten Schokoladevaria­tionen aus der »Xocolat«-Manufaktur, wo Petz rund ein Drittel seiner Arbeitszeit verbringt. Die Weinauswahl ist überschaubar, weshalb bewusst »Bring Your Own« auf Korkgeldbasis angeboten wird.

Rattenloch
Trotz erster kulinarischer Schwalben war die Gastronomie am Donaukanal überwiegend auf jugendlichen »Summer in the City« mit aufgeschütteten Sandstränden, Liegestühlen, Mojitos und Chicken-Wings ausgerichtet. Auch der »Tel Aviv Beach« der umtriebigen Gastronomin Haya Molcho brachte neben wirklich empfehlenswerten israelischen Spezialitäten mehr südliches Lebensgefühl als kulinarische Höhenflüge. Molcho freut sich aber sehr über die aufstrebende Szene am Kanal: »Das war früher ein Rattenloch, aber jetzt ist es so schön wie in Paris!«

Schiff Ahoi und Mahlzeit

Dreh- und Angelpunkt der Revitalisierung am Kanal ist der aufwendige Neubau der Schiffsanlegestelle der City-Liner zwischen Wien und Bratislava. Dank des erfolgreichen Gastronomen Bernd Schlacher entstand dort ein kulinarisches Ensemble aus Restaurant, Bar, Kaffeehaus und Delikatessenshop. Die Küche von Vollprofi Mario Bernatovic ist modern und international ausgerichtet, leidet aber ein wenig unter dem beachtlichen Output-Druck für bis zu 140 Gäste gleichzeitig. Peter Zinter und Patron Frank Gruber machen im »Vincent« alles richtig/Foto: Andreas JakwerthDennoch ­haben die Wiener das futuristisch designte »Motto am Fluss« lieben gelernt, und die so gut wie 100-prozentige Auslastung spricht für Schlachers Zeitgeistgespür.

Mehr über das aufstrebende Viertel um den Karmelitermarkt, charmante Lokale wie das »Marktachterl« oder die »Spezerei«, das Restaurant »Vincent«, wo der »Junge Wilde« Peter Zinter virtuos den Kochlöffel schwingt sowie über die kulinarische Zukunft am Donaukanal lesen Sie im Falstaff Nr. 2/2011 - Jetzt im Handel!

Highlights am Kanal


Text von Bernhard Degen

Bernhard Degen
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