Die Weinkeller von Moët & Chandon in Reims

Die Weinkeller von Moët & Chandon in Reims
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Moët & Chandon: Ein Jahrhundert Champagner

Moët & Chandon feierte den hundertsten Jahrestag des großen Jahrgangs 1921 — der als einer der größten Champagnerjahrgänge aller Zeiten gilt — mit einer Verkostung von Weinen aus jedem Jahrzehnt. Falstaff war dabei.

Manche Verkostungen sind einzigartig und überwältigend. Die Verkostung durch ein Jahrhundert Champagner in den Kellern von Moët & Chandon im November 2021 war ein solches Erlebnis. Alle Verkostungsnotizen finden Sie im Link unten.

Der größte Jahrgang des 20. Jahrhunderts

»Ohne Zweifel ist 1921 der größte Jahrgang des 20. Jahrhunderts für alle in Europa gemachten Weißweine«, so Kellermeister Benoît Gouez. »Der Grand Vintage 1921 ist ein Beispiel der Balance und Konzentration, der den Geist der Roaring Twenties zum Ausdruck bringt: eine gewisse Sorglosigkeit und Lebensfreude.« Die Verkostung fand anlässlich des hundertjährigen Jubiläums dieses Jahrgangs statt.

In der kurzen Zusammenfassung von Moët & Chandon über diesen Jahrgang heißt es, dass das Jahr 1921 »einen sehr schönen, heißen Sommer hatte. Die Frühjahrsfröste zerstörten einen großen Teil der Ernte, aber das, was übrig blieb, wies eine fantastische Qualität auf«.

Ein Meer von Stahl und Millionen von Flaschen

Zur Einstimmung wurden die Weinberge und die hochmoderne Weinkellerei in Montaigu mit ihrem Meer aus Edelstahltanks besichtigt. Die Kapazität von 400.000 Hektolitern (eine weitere Kellerei mit der gleichen Kapazität befindet sich in Epernay) lässt erahnen, was für ein gigantisches Kraftwerk der Champagnerkonzern Moët & Chandon heute ist. Jetzt ist klar, warum man fast überall auf der Welt eine Flasche von Moët Brut Impérial Champagner genießen kann. Moët & Chandon wird in 155 Länder exportiert, doch niemand verrät die genaue Anzahl der jährlich produzierten Flaschen — aber es müssen fast 100 Millionen sein.

Tief in den Kellern

Tief unter dem Hauptsitz von Moët & Chandon in Epernay, in den Kreidekellern, die sich über 28 Kilometer unterhalb der Stadt erstrecken, war ein Tisch gedeckt und Kerzen flackerten. Eine kleine Gruppe von Champagner-Autoren und -Experten war eingeladen dort Platz zu nehmen. Wir hatten die stillen Grundweine des Jahrgangs 2021 in Montaigu verkostet, wir hatten von der Geschichte des Hauses gehört, die erstmals 1743 dokumentiert wurde, aber wahrscheinlich noch älter ist, und schließlich begann die Verkostung.

Moët & Chandon Vintage Flaschen
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Moët & Chandon Vintage Flaschen

Die Verkostung

Die Verkostung war umso spezieller, da diese Weine den Keller nie verlassen hatten. Die meisten wurden an Ort und Stelle à la volée, also von Hand, degorgiert und ohne Dosage verkostet, die übliche Zugabe einer kleinen Menge in Wein aufgelösten Zuckers, die den Weinen ihr endgültiges Gleichgewicht verleiht. Wir verkosteten die Weine also in ihrem »rohen« Zustand, an dem Ort, an dem sie gemacht wurden und reiften. Ein kleines Becken wurde aufgestellt, um das Degorgieren der Flaschen zu erleichtern, die bis zu hundert Jahre lang in diesen Kellern geschlummert hatten.

Dekaden des Champagners

Zwei Weine aus jedem Jahrzehnt sollten verkostet werden. Seite an Seite, blind serviert, beginnend mit den 2000ern. Wenn möglich, wurden die Weine in Magnumflaschen serviert von welchen einige waren unter Kork statt unter Kronkorken gereift waren. Das bedeutet, dass die Jahrgangsweine von Moët & Chandon am offenen Markt anders schmecken, da sie dosiert versandt werden und meist nur unter Kronkorken gereift sind.

Passenderweise begannen wir mit den beiden großen Jahrgängen des ersten Jahrzehnts unseres Jahrtausends, 2002 und 2008 — beide in Magnum, beide an Ort und Stelle degorgiert. Beide wurden höher bewertet als ihre dosierten Pendants in 750 ml Flaschen. Vieles spricht für eine späte Degorgierung und Magnumflaschen.

Die 1990er und 1980er Jahrgänge

Unter den 1990ern musste natürlich der säurebetonte 1996er Jahrgang mit seiner elektrischen Energie dabei sein, gepaart mit einem sanfteren, aber sehr eleganten 1995er — beide ebenfalls in Magnum, unter Kork gelagert und ohne Dosage. Die 1980er Jahre begannen dann, ihr Alter zu zeigen. Die Magnumweine des Jahrgangs 1988 waren unter Kronkorken und mit Korkeinsatz gereift und wurden 2003 mit einer Dosage von 7-8 g/l degorgiert.

Evolutionsaromen waren bei 1988 deutlich schmeckbar: weißer Wiesenchampignon und die Würze von Spekulatiusgebäck. Eine Magnumflasche des Jahrgangs 1985 wurde geöffnet, die 2002 degorgiert worden war, aber beide waren nicht vollends sauber — das kann passieren, wenn die Weine unter Kork gereift werden, denn sie unterliegen der variierenden Qualität dieses Naturmaterials. Kellermeister Benoît Gouez erklärte, dass dies der Grund sei, warum Magnumflaschen älterer Jahrgänge nicht vermarktet würden: Das Risiko von Flaschenvariation sei einfach zu groß.

Die 1970er Jahrgänge

Die 1970er mussten natürlich den Hitzewellen-Jahrgang 1976 enthalten. Er wurde in einer Magnumflasche serviert, die 2002 mit einer Dosage von 7-8 g/l degorgiert worden war und war großartig und immer noch herrlich frisch — eine großartiges Beispiel davon, dass Hitze Champagner nicht unbedingt schadet — ein Thema, dem sich aufgrund des Klimawandels jeder Winzer stellen muss. Danach folgte ein minderwertiger 1975er mit einem Hauch von Korkgeschmack.

Dieser war ebenfalls 2002 mit der gleichen Dosage degorgiert worden, wies aber ebenfalls Spuren von Bitterkeit auf, obwohl er immer noch eine lebendige Schaumkrone und einen lebhaften, frischen Abgang hatte. Dies schien ein Zeichen zu sein, dass die Weine mit zunehmendem Alter immer müder schmecken würden. Doch wie falsch ich lag!

Je weiter wir in der Zeit zurückgingen, desto frischer schienen die Weine zu werden. Dies sagt meiner Meinung nach viel über das Aufkommen industrialisierten Anbaumethoden und über eine Geisteshaltung aus, die die Landwirtschaft in den 1970er Jahren erfasste und sich zum Glück bereits wieder umgekehrt hat.

Der Kellermeister von Moët & Chandon: Benoît Gouez
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Der Kellermeister von Moët & Chandon: Benoît Gouez

Ein Wunder der Frische

Der 1964er — serviert in einer Magnumflasche aus dem Jahr 1998 mit einer Dosage von 7-8 g/l — war unglaublich frisch. Unverfälscht in der Tat, duftend. Die Magnumflasche von 1962, die damals ohne Dosage degorgiert wurde, war ebenso frisch. Meine Verkostungsnotiz lautet einfach nur »wow«. Die darauf folgende Magnumflasche von 1959 — dem reifsten Champagnerjahrgang aller Zeiten — war erst vor wenigen Augenblicken degorgiert worden und glänzte mit Frische und reinen Aromen. Was für ein Moment.

Ab 1955 wurden die Weine in 750 ml Flaschen serviert, denn von diesen älteren Jahrgängen hat das Haus keine Magnumflaschen. Der 1955er wurde gerade degorgiert, war aber nicht ganz sauber, dennoch war seine Frische nicht zu leugnen, sein Schaum war noch lebhaft. 

Ein perfektes Ergebnis

Die Flasche aus dem Jahr 1949, die kurz zuvor degorgiert wurde, war nicht appetitlich, aber die Flasche aus dem Jahr 1941 erhielt eine perfekte Bewertung von 100 Punkten. Benoît Gouez erklärte, dass das Degorgierdatum nicht klar sei, dass aber das Kellereibuch angebe, dass der Wein aus 86% schwarzen Trauben — es gibt keine Informationen über den Anteil von Pinot Noir oder Pinot Meunier — und aus 14% Chardonnay bestehe.

Bei der Verkostung des Weins konnte man nicht umhin, an die Umstände zu denken, unter denen er gemacht wurde: ein besetztes Frankreich in Kriegszeiten, das unter einem fremden, bösartigen Regime litt, und trotz all dem brachten seine Champagner-Weinberge einen Wein von solchem Geist und solcher Ausgeglichenheit hervor.

1933 und 1921

Aus diesen beiden frühen Jahrzehnten wurde jeweils nur ein Jahrgang geöffnet. Beide Flaschen wurden frisch degorgiert. Es waren die ergreifendsten Weine. Sie zeigten deutlich alle tertiären Aromen der Entwicklung und Reife, waren aber immer noch lebendig und voller Elan. Ihre Tiefe, die durch ein sanftes Prickeln verstärkt wurde, vermittelte Salzigkeit und Anklänge an Erde und Boden. Sie waren lebendig und strahlten immer noch eine zitronige Frische aus — und das obwohl sie jahrzehntelang in diesen kühlen Kellern geschlummert hatten.

Sie zu beschreiben war schier unmöglich — wie könnten Worte diese Eindrücke vermitteln? Die Weine zu verkosten war ein Privileg — und natürlich wurden sie nicht ausgespuckt, sondern genossen. Sie waren Andenken aus einer anderen Zeit, sie hatten sich ihren Geist bewahrt und waren durch ein äußerst turbulentes Jahrhundert gereift. Sie zeigten uns, dass echter Geist dem Alter trotzt, dass Schönheit auch nach Jahrzehnten noch leuchtet, dass Champagner ein Lebenselixier ist, weil er selbst lebendig ist. 

Was für eine Verkostung der Superlative, was für ein Anlass, was für eine Großzügigkeit, was für eine Dankbarkeit! Merci.

LESEN SIE DIE VERKOSTUNGSNOTIZEN HIER

Anne Krebiehl MW
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